Wer investiert, ist gut beraten, die Abhängigkeit vom Erdöl zu reduzieren. Genauso wenig wie Atomenergie kann Erdöl eine Grundlage für unsere langfristige Energieversorgung sein. Trotzdem hoffen viele, dass das Erdöl zumindest noch für die nächsten 20 Jahre billig und reichlich vorhanden sein wird. Doch das neue Buch „Europa im Erdölrausch“ des Energie- und Friedensexperten Daniele Ganser zeigt, dass diese Hoffnung falsch ist.
Um es vorweg zu nehmen, die Zahlen, die Daniele Ganser präsentiert (1), sind nicht neu, aber sie sind nicht verschleiert und nicht schöngeredet und sie werden in einen friedenspolitischen Zusammenhang gebracht. Denn obwohl jeder weiss, dass Erdölreserven endlich sind und die Fördermengen stagnieren, hat ein wirklich schonender Umgang mit dieser wertvollen Ressource immer noch nicht eingesetzt. Drei kurze Fragen an den Buchautor und Experten:
Journal21: Man findet immer wieder irgendwo Erdöl, und seit Jahren heisst es, es reiche noch für rund 40 Jahre. Ist es da nicht verständlich, dass viele der Überzeugung sind, dass wir mittelfristig gar kein Problem haben?
Daniele Ganser: Ob etwas ein „Problem“ ist, ist immer eine Frage der Sichtweise. Natürlich gibt es mittelfristig immer noch Erdöl, auch 2050 noch. Die Frage ist, in welcher Menge und zu welchem Preis. Und wenn die Preise stark ansteigen, kann dies Rezessionen auslösen, zudem steigen die sozialen Spannungen, weil in armen Ländern ganze Bevölkerungsgruppen noch tiefer in Not geraten, weil sie sich Erdöl nicht mehr leisten können.
Ressourcenkriege werden zunehmen. Schon jetzt werden Kriege um Erdöl geführt. Schon heute wird für Erdöl getötet. Das ist für Waffenproduzenten kein Problem, ihr Geschäft läuft gut. Aber wir brauchen eine andere Vision für das 21. Jahrhundert, mehr friedliche Konfliktlösung und mehr erneuerbare Energien, also ein anderes Bewusstsein.
Das beantwortet aber noch nicht die zugegebenermassen etwas zynische Frage, ob wir, die wir nicht direkt unter diesen kriegerischen Auseinandersetzungen leiden, die Probleme nicht wenigstens für uns in der Schweiz durch die Entdeckung neuer Erdölvorkommen hinausschieben können.
Neue Erdölvorkommen werden das Problem nicht lösen, weil es sie in den benötigten Mengen gar nicht mehr gibt. Beim „normalen Erdöl“, also dem konventionellen, flüssigen und leicht zu fördernden Erdöl haben wir weltweit den Peak Oil (die höchste geförderte Menge pro Jahr) erreicht. Seit sechs Jahren stagnieren die Fördermengen. Erdöl ist nur in endlichen Mengen vorhanden, eines Tages ist es verbraucht; das wissen alle. Die Knappheit wird sich in den nächsten 20 Jahren immer deutlicher zeigen. Die aktuellen Verbrauchsdaten machen deutlich, wie sehr wir uns daran gewöhnt haben, dass immer mehr Erdöl angeboten wird. Daher können wir uns eine Abnahme des Angebotes kaum vorstellen, denn das gab es bis jetzt noch nciht.
1914 brauchten wir auf der Welt eine Million Fass Erdöl pro Tag, 1945 bereits 6 Millionen Fass. Heute sind es täglich 88 Millionen Fass Erdöl; das sind 44 Supertanker! Weil das konventionelle Erdöl bei rund 70 Millionen Fass pro Tag stagniert, müssen wir die Differenz zu den 88 Millionen Fass füllen. Wir machen dies mit Gaskondensaten, die aus der Gasförderung stammen, mit Biotreibstoffen aus Mais und Zuckerrohr und mit Formen der Erdölförderung, welche die Umwelt massiv belasten: mit Teersand aus Kanada und mit Bohrungen in grosser Meerestiefe.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Erdölfirmen ihre Erdölförderung nicht mehr separat ausweisen, sondern mit der Erdgasförderung vermischen. So müssen wir nicht das hören und sehen, was wir nicht hören und sehen wollen: dass konventionelles Erdöl knapp ist.
Immerhin scheinen wir den Preis klaglos zu bezahlen, wenn man die enormen Preissteigerungen betrachtet, die nur teilweise zu einem Umdenken geführt haben?
Dies zeigt, wie abhängig, wie süchtig unsere Gesellschaft nach dem Stoff „Erdöl“ geworden ist. Nur ein Süchtiger nimmt solch enorme Preissteigerungen hin, ohne auf ein alternatives Produkt umzusteigen. In den 1950-er und 1960-er Jahren kostete das Fass weniger als 2 Dollar, damals wurden überall in der Schweiz Erdölheizungen installiert, die Autos brauchten 10 Liter und mehr für 100 Kilometer. Seit das konventionelle Erdöl stagniert, haben wir einen Anstieg des Erdölpreises von 50 auf 150 Dollar gesehen, dann einen Absturz auf 40 Dollar im Jahr 2008, und jetzt sind wir wieder bei über 100. Die Zeiten des billigen Erdöls sind vorbei und werden nicht mehr zurückkehren.
Wir brauchen die Energiewende: einerseits den Ausbau von erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne, Wasser, Erdwärme, Holz und Biogas, anderseits die Verbesserung der Energie-Effizienz. Die Botschaft ist einfach und klar: Wir sollten das Erdöl verlassen, bevor es uns verlässt.
Daniele Ganser, Europa im Erdölrausch - Die Folgen einer gefährlichen Abhängigkeit, Orell Füssli, Zürich 2012, 416 Seiten