Als im Rahmen einer Affäre um mutmassliche Korruption auch sein Name fiel, trat António Costa im November 2023 als Regierungschef in Portugal ab. Ins Zwielicht gerieten mittlerweile aber vor allem die Ermittler. Costa wird neuer Vorsitzender des EU-Rates. Er gilt als Politiker mit der Fähigkeit zum Bau politischer Brücken – eine Fähigkeit, die der Sozialist in Brüssel brauchen wird.
In den portugiesischen Nachrichten íst es nicht selten, dass der Fussball die Politik und andere Themen auf hintere Plätze verdrängt. In den letzten Tagen war das umgekehrt. Am Mittwoch verlor die Fussball-Nationalelf bei der Euro 2024 unerwartet mit 0:2 gegen Aussenseiter Georgien. Am Gruppensieg ist nicht zu rütteln, die Nation sah plötzlich aber mit Sorge dem Achtelfinale gegen Slowenien an diesem Montag entgegen. Am Donnerstag und Freitag stürzten sich die Medien zum Trost auf die Politik. In Brüssel sicherte sich Ex-Regierungschef António Costa seinen neuen Job als Vorsitzender des EU-Rates.
Eine peinliche Verwechslung
Schon in den letzten Jahren seiner Zeit als Ministerpräsident von 2015 bis 2023 hatte Costa als möglicher Kandidat für dieses Spitzenamt bei der EZ gegolten. Am 7. November letzten Jahres erklärte der knapp 63 Jahre alte Sozialist seinen Rücktritt als Regierungschef. Er reagierte damit auf ein wenige Stunden zuvor veröffentlichtes Communiqué aus dem Amt der Generalanwältin über Durchsuchungen in einer Affäre um mutmassliche Korruption, das auch Costa erwähnte, wenngleich eher als Nebenfigur. Ihm wurde nichts vorgeworfen. In abgehörten Telefonaten hätten Verdächtige ihn aber als jemand mit der Fähigkeit zur Ausräumung von Hindernissen erwähnt, hiess es.
Zwei Tage später gab Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa die vorzeitige Auflösung des Parlaments und die Ansetzung von Neuwahlen bekannt. Weitere zwei Tage später stellte sich heraus, dass Costa das Opfer einer peinlichen Verwechslung geworden war. Nicht von Ministerpräsident António Costa war in den abgehörten Gesprächen die Rede gewesen, sondern von Wirtschaftsminister António Costa Silva.
Gefallen oder abgesprungen?
Politisch war Costa aus anderen Gründen angeschlagen. Obwohl sein Partido Socialista im Januar 2022 die absolute Mehrheit im Parlament errungen hatte, knisterte es im Gebälk seiner nach etlichen Rücktritten geschwächten Regierung. Beobachter fragten sich, wann Präsident Rebelo de Sousa der Geduldsfaden reissen würde. Ist Costa als Regierungschef also gestürzt oder eher abgesprungen? Er ist, so viel steht fest, nach oben gefallen oder gesprungen – obwohl ihm die Ermittlungsbehörden den Weg nach Brüssel nicht gerade erleichtert haben. Nach seinem Rücktritt verging immerhin mehr als ein halbes Jahr, bis sie ihn endlich vernahmen. Und er verliess die Vernehmung, ohne irgendwie als verdächtig eingestuft worden zu sein.
Costas Rücktritt hat mittlerweile einer bürgerlichen Allianz den Sieg bei der vorgezogenen Parlamentswahl im März und die Übernahme der Macht in Lissabon ermöglicht. Immerhin hat die neue Regierung seine Kandidatur für das neue Amt aber unterstützt. Ein Portugiese in einem Spitzenamt der EU, das will niemand verschmähen, unabhängig von der Couleur.
Brückenbauer vor schweren Herausforderungen
Was bringt Costa mit? Als Sozialist gehört er zu einer der drei grössten politischen «Familien» im EU-Parlament – Europäische Volkspartei, Liberale, Sozialdemokraten und Sozialisten. Und er führte in den letzten Jahren eine der wenigen Parteien seiner Familie, die in EU-Ländern überhaupt noch Wahlen gewann. Nach Jahren harter Entbehrungen in dem von der Finanzmarktkrise geschüttelten Land war er 2015 in Lissabon mit dem Versprechen angetreten, das Blatt der Austerität zu wenden. Seine Regierung schaffte es, Erhöhungen der Steuern und Kürzungen der Saläre rückgängig zu machen und dennoch das nationale Haushaltsdefizit gemäss EU-Vorgaben zu drücken. Und das verhalf ihm in Brüssel zu Respekt – obwohl das Land heute an harten Engpässen im Gesundheitswesen und in anderen Sektoren zu knacken hat.
Costas Regierung bewerkstelligte das scheinbare Haushaltswunder mit einer Minderheitsregierung, die sich im Parlament von kleineren linken Parteien tolerieren liess – im Tausch gegen Zugeständnisse. Er riss damals eine Mauer zwischen seinen Sozialisten und den weiter links stehenden Parteien nieder. So profilierte sich Costa – Sohn eines Kommunisten und einer Sozialistin – nicht zum ersten Mal als ein gewiefter Taktiker, der es vermag, politische Brücken zu bauen.
Vor allem diese Fähigkeit wird er jetzt als Vorsitzender des EU-Rates gebrauchen. In Brüssel dürften die Klüfte allerdings tiefer sein als im eigenen Land, insbesondere nachdem grosse Länder wie Italien und Frankreich nach rechts gerückt sind und die Rechtspopulisten auch in Deutschland im Aufwind sind. Eine leichte Zeit dürfte Costa also nicht bevorstehen.