Ausserhalb der Insel der Aphrodite spricht kaum jemand darüber; auch die Medien berichten nicht. Doch nun könnte es ernst gelten. Der zypriotische Präsident Nikos Anastasiades sagte am Freitag nach einer weiteren Verhandlungsrunde mit dem türkischzypriotischen Volksgruppenführer Mustafa Akıncı, dass die Verhandlungen über die Lösung des Zypern-Problems sich bald den territorialen Fragen zuwenden werden.
Dieses Kapitel ist zusammen mit der Sicherheitsarchitektur dasjenige Verhandlungskapitel, das noch die grössten Stolpersteine bietet. Die Verhandlungen über diese Kapitel werden wahrscheinlich in der Schweiz stattfinden – eventuell schon im November.
Die Zeit drängt
Insbesondere die türkischzypriotische Seite drängt seit längerem auf eine Internationalisierung der Verhandlungen. Einerseits, weil für die beiden noch nicht verhandelten Kapitel die Zustimmung der Garantiemächte Griechenland, Grossbritannien und Türkei nötig ist, andererseits weil die türkischzypriotische Seite fürchtet, dass der Verhandlungsfortschritt durch Indiskretionen zunichte gemacht wird.
Es ist wichtig, dass die Verhandlungen höchst vertraulich geführt werden, da das Prinzip gilt: „Es ist nichts vereinbart, bevor alles vereinbart ist.“ Das bedeutet, dass bis am Schluss alle Dossiers für Kreuzkonzessionen hinzugezogen werden können. Akıncı fürchtet ebenfalls, dass ihm die Zeit davonläuft. Die türkische Regierung hat bisher positiv auf die Verhandlungen reagiert, möchte aber gern ein Resultat noch im laufenden Jahr sehen. Der türkischzypriotische Volksgruppenführer und Präsident der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern fürchtet daher, dass das Fenster für eine mögliche Lösung bald schliesst.
Schwierige Fragen praktisch gelöst
Anastasiades sagte, dass die Verhandlungen über die vier Kapitel Regierungsführung, Wirtschaft, Europäische Union und Eigentum kurz vor dem Abschluss stünden. Es handelt sich hier zum Teil um schwierige Kapitel.
Die Regierungsführung gemäss der Verfassung von 1960 hat vor der türkischen Invasion 1974 nicht funktioniert – es musste eine neue Lösung gefunden werden, die sich dem Vernehmen nach stärker an dem schweizerischen Modell orientiert.
Doppelte Staatsbürgerschaft
Bei der Wirtschaft ist vorgesehen, dass der Norden ab dem 1. Tag voll in die Eurozone eingebunden wird. Hier drehen sich die Diskussionen noch um die Frage, ob und wer bei den Banken im Norden Stresstests durchführen kann und soll, damit diese nicht gleich pleite gehen, wenn sie von einem Tag auf den anderen nach 40 Jahren wirtschaftlicher Isolation der Konkurrenz ausgesetzt werden.
Beim Kapitel EU ist vorgesehen, dass ab dem 1. Tag alle Freiheiten voll gelten. Es wird auf der ganzen Insel Personenfreizügigkeit geben, etwas, das im Annan-Plan von 2004 noch nicht vorgesehen war. Auch in Bezug auf die Staatsbürgerschaft ist man sich offenbar praktisch einig. Es dürfte ein Modell geben wie auf den Åland-Inseln. Es gibt eine zweistufige Staatsbürgerschaft: Diejenige des griechischzypriotischen oder türkischzypriotischen Landesteils und diejenige des Gesamtstaates. Das aktive und passive Wahlrecht wird im jeweiligen Landesteil ausgeübt, auch wenn der Wohnort im anderen Landesteil ist. Die Äusserungen der Verhandlungsführer implizieren, dass man sich auch in Bezug auf die Siedler praktisch einig ist. Diese Frage galt lange Jahre als fast unüberwindlicher Stolperstein. Nach der türkischen Invasion von 1974 änderte die starke Einwanderung aus der Türkei die demographischen Verhältnisse der Insel sehr stark.
Menschenrechte, Religionsausübung
Auch das Kapitel zum Eigentum galt als schwierig, denn hier geht es um Fragen der Restitution von beschlagnahmtem Eigentum – vor allem im türkisch besetzten Norden – oder der Entschädigung.
Auch über Fragen der Menschenrechte und der Religionsausübung scheint weitgehend Einigkeit zu herrschen. Das ist gar nicht selbstverständlich, denn den wenigen Griechischzyprioten, die nach der türkischen Invasion im Norden verblieben sind, wurden selbst grundlegende Menschenrechte sehr oft vorenthalten.
In Bezug auf die Territorialverhandlungen betonte Anastasiades, dass sich die Türkei erstmals wird äussern müssen und dass die britische Regierung bereit ist, ihre Militärbasen auf der Insel auf die Hälfte zu verkleinern – dies gibt zusätzlichen Verhandlungsspielraum.
Türkische Truppen in Nordzypern
Die Frage der Sicherheitsarchitektur dürfte sich als der grösste Brocken herausstellen. Die griechischzypriotische Seite ist der Meinung, dass ein modernes europäisches Land keine Garantiemächte und keine ständige Truppenpräsenz auf eigenem Territorium braucht.
Die Türkei hat bis heute eine sehr grosse Anzahl von Truppen in Nordzypern stationiert und hat bisher noch nie Bereitschaft signalisiert, auf den Status als Garantiemacht zu verzichten. Mit etwas gutem Willen ist aber eventuell hier eine Lösung möglich.
Rückgabe von türkisch besetzem Land
In Bezug auf die territoriale Aufteilung der beiden Gliedstaaten ist klar, dass die Türkischzyprioten etwas zurückgeben müssen. 1974 stellten sie 18% der Bevölkerung, und seit diesem Jahr hält die Türkei einen Drittel des Territoriums besetzt. Unklar ist, wie viel Land zurückgegeben wird, wo dieses Land liegt und was mit den jetzt dort siedelnden Menschen passiert.
Bei den laufenden Zypernverhandlungen sind also schon einige sehr schwierige Probleme gelöst worden. Es ist also sehr gut möglich, dass auch die restlichen Fragen geregelt werden. Dazu braucht es aber nicht nur den guten Willen der beiden Verhandlungsdelegationen, sondern auch Unterstützung durch die Zivilgesellschaft und die drei Garantiemächte.
Volksabstimmung in beiden Teilen
Hie gibt es sehr gute Ansätze: Jüngst hat sich zum Beispiel der türkischzypriotische Lehrerverband für eine föderale Lösung ausgesprochen; auch Umweltorganisationen auf beiden Seiten der grünen Linie arbeiten heute zusammen.
Diesen Sommer wurde in Famagusta auch ein antikes griechisches Theaterstück in griechischer Sprache aufgeführt. Solche Initiativen sind wichtig, denn nach der Lösungsfindung muss auf beiden Seiten noch eine Volksabstimmung gewonnen werden – und schliesslich muss die Lösung gelebt werden.
Opposition
Es gibt aber auch auf beiden Seiten Opposition: Parteien, aber auch einzelne Menschen, die eine Verständigung rundweg ablehnen. Letzte Woche fragte eine griechischzypriotische Mutter, ob sie ihr Kind vom Schulunterricht dispensieren könne, wenn dort türkischzypriotische Literatur behandelt wird.