Christoph Mäder, Präsident des stärksten Wirtschaftsverbandes, will Schutz gegen hohe Zuwanderung. Geht das, wenn die Wirtschaft weiterwachsen will?
Das Ausmass der Einwanderung bewegt seit über 60 Jahren die Gemüter. Erstmals verlangt auch die Wirtschaft Schutz vor zu hoher Zuwanderung, wie Economiesuisse-Präsident Mäder in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» ausführte. Das sind neue, überraschende Töne. Gleichzeitig will er an der Freizügigkeit mit der Europäischen Union (EU) festhalten. Auf die Frage, wie das Ziel erreicht werden könne, meinte Mäder, man müsse das inländische Arbeitskräftepotential besser ausnutzen und eine Ausbildungsoffensive lancieren. Weiter wurde nichts gesagt und es wurde auch nicht nachgefragt.
Kontingentierung wenig erfolgreich
Die Bundesbehörden haben bereits Mitte der 60er Jahre eine Höchstzahl von ausländischen Arbeitskräften für jedes einzelne Unternehmen festgesetzt. Doch die Zahl der Fremdarbeiter stieg weiter. Im Zusammenhang mit der vom Volk knapp abgelehnten Schwarzenbach-Initiative verschärfte der Bundesrat die Kontrolle der Einwanderung: Jeder Kanton erhielt ab 1970 Jahr für Jahr eine Höchstzahl von Aufenthaltsbewilligungen für Ausländer und Ausländerinnen zugeteilt. Die Wirtschaft der Schweiz wuchs weiterhin und gleichzeitig die Zahl der Ausländerinnen und Ausländer. Die Kontingentierung erwies sich als wenig erfolgreich. Eine rasche und starke Herabsetzung der ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter erfolgte erst infolge der Erdölkrise Mitte der 1970er Jahre: Sie bremste die wirtschaftliche Tätigkeit in der westlichen Welt sehr stark. Die Folge: Etwa 220’000 Frauen und Männer, zu einem grossen Teil Saisonniers, mussten die Schweiz verlassen, während nur wenige Schweizerinnen und Schweizer arbeitslos wurden; damals gab es noch kaum Schutz für Arbeitskräfte aus dem Ausland.
Besorgt über gegen 70’000 Ausländer mehr pro Jahr
Es ist verständlich, dass auch weltoffene Schweizerinnen und Schweizer beunruhigt sind, da seit Einführung der Freizügigkeit mit der EU die ausländische Bevölkerung jährlich um rund 70’000 Personen steigt. Wie kann die Einwanderung gebremst werden? Der Economiesuisse-Präsident schlägt vor, das inländische Arbeitskräftepotential besser auszunutzen und eine Ausbildungsoffensive zu lancieren. Wie das geschehen soll, sagt er nicht.
Günstigere Kinderkrippen und Tagesschulen
Es bräuchte schweizweit ein Angebot von genügend Kinderkrippen zu günstigen Preisen und gleichzeitig Tagesschulen. Das könnte viele Mütter ermuntern, auch gut ausgebildete, wieder ausser Haus zu arbeiten. Doch das ist nicht gratis, am Preis können solche Pläne in der reichen Schweiz scheitern, zusätzliche Kosten mögen bürgerliche Politiker nicht. Doch, wie heisst es im Volksmund: «Den Fünfer und das Weggli» gibt es nicht. Die dauernden Klagen vom Fachkräftemangel scheinen mir zudem im Widerspruch zu stehen zu unserem Stolz auf die Berufslehre. Diese bietet heute vielseitige Weiterbildungsmöglichkeiten für die jungen Frauen und Männer. Der Wirtschaft stehen jedes Jahr neue einheimische Fachkräfte zur Verfügung. Wollen die Unternehmer heute vor allem praxiserfahrene Spezialisten einstellen, die sie aus dem ungleich grösseren Reservoir an Fachkräften der umliegenden Länder auswählen können? Die vom Economiesuisse-Präsidenten gewünschte Ausbildungsinitiative wäre nur erfolgreich, wenn die ausgebildeten Männer und Frauen von den Unternehmen auch eingestellt würden. Diesen ist zuzumuten, die Fachkräfte in die praktische Arbeit einzuführen.
Flüchtlinge als Ressource für die Wirtschaft
Fast alle Asylsuchenden erreichen die Schweiz nach einer gefährlichen und beschwerlichen Reise. Sie sind froh, endlich in Sicherheit zu sein, und haben die Hoffnung, hier ihre Zukunft aufzubauen, zu arbeiten oder sich auszubilden. Die Aufnahme in den Verfahrenszentren des Bundes sind durch die Bürokratie geprägt, oft sind die Flüchtlinge enttäuscht, sie haben schnell das Gefühl, nicht willkommen zu sein. So wird bei Geflüchteten der Enthusiasmus, ein neues Leben zu beginnen, gebremst. Manche haben eine gute Ausbildung, doch ihre Diplome werden hier nicht anerkannt. Deshalb arbeiten viele als Hilfsarbeiter, obschon sie nach Sprachkursen und Umschulung anspruchsvolle Arbeiten übernehmen könnten. Vielen Asylsuchenden wird keine Berufslehre angeboten, weil sie unsere Sprache nicht ausreichend beherrschen und oft in ihrer Heimat nur kurz zur Schule gegangen sind. Sie werden als Hilfskraft arbeiten. So werden sie zwar finanziell unabhängig von der Sozialhilfe. Wenn Ihre Sprachkenntnisse dann besser sind und sie in der Lage wären, einen handwerklichen Beruf zu lernen, scheitert es am Geld. Wem es gelungen ist, sein Leben selber zu verdienen, muss, sofern eine Lehrstelle gefunden wurde, erneut ein Gesuch um Sozialhilfe einreichen, denn von einem Lehrlingslohn kann man nicht leben. In den Kantonen bestehen unterschiedliche Regelungen. Im Tessin ist es beispielsweise ungewiss, ob ein junger Mensch für die Dauer der Lehre wieder Sozialhilfe beziehen kann.
Weshalb spannen Arbeitgeber, Wirtschaftsverbände und Kantone nicht zusammen, damit sich diese jungen Menschen ausbilden können? Es fehlen schon heute Berufsleute. Zudem zeigen Schätzungen, dass in etwa zehn Jahren in der Schweiz viel mehr Menschen in Pension gehen werden als junge Menschen ins Arbeitsleben eintreten werden. Der Widerstand, noch vermehrt Arbeitskräfte aus dem Ausland einzustellen, wächst, offenbar auch bei Economiesuisse. Deshalb wäre es sinnvoll, Geflüchtete auszubilden, denn sie befinden sich schon hier.