Der «Atomdeal» mit Iran steht, trotz vier Monate dauernder Wiederbelebungsversuche bei den Verhandlungen in Wien, nicht nur auf der Kippe – er ist jetzt eben in eine kaum mehr aufhaltbare Schieflage geraten. Kein Wunder, dass nun (müssen wir sagen: wieder einmal?) die Frage aufgeworfen wird, ob Iran bald über die Atomwaffe verfügen werde und ob das nicht zu einem mörderischen Konflikt im Mittleren Osten führen werde.
Am Montag gab es noch Anlass zu Hoffnung (vergl. Beitrag «Atomabkommen auf der Zielgeraden?»), aber zwei Tage später begannen sich die Gewitterwolken zusammenzuziehen. Da verbreiteten jene iranischen Medien, die sich vorwiegend an Interessierte im Ausland richten (Presstv.ir, die Agentur IRNA etc.), auffällig ähnlich gestimmte Kommentare des Inhalts, man werde nie darauf verzichten, das Recht auf friedliche Nutzung der Atomtechnologie zu beanspruchen.
Druckversuche von irgendwelchen Seiten seien nutzlos, und das, was die USA für eine Neu-Ausgabe des JCPOA (so heisst das Atomabkommen ja mit seinem sperrigen Titel, «Joint Comprehensive Plan of Action») anbieten würden, sei schlicht nicht genügend. Am Tag danach publizierte die Nachrichtenseite der BBC in Farsi eine US-amerikanische «Quelle», welche die Haltung der iranischen Regierung als «nicht konstruktiv» bezeichnete. Und am Freitag veröffentlichte die israelische Zeitung «Haaretz» einen mit interessanten Details gewürzten Artikel, der in die Aussage mündete, Israel müsse sich wohl oder übel damit abfinden, dass Iran, wenn es das wirklich wolle, eines Tages Atom-Macht sein werde. Auch andere Staaten hätte man nicht an der Entwicklung der Bombe hindern können – erwähnt wurden im Haaretz-Beitrag Nordkorea, Indien und Pakistan – und das gelte wohl, so wurde kryptisch angefügt, «according to foreign reports» auch für Israel.
Der Haaretz-Beitrag geht ungewöhnlich offen auf die geheimen Aktionen Israels in Iran in den letzten Jahren ein, alle getätigt im Bemühen, Irans Atomprogramm zu sabotieren. Um sich gegenüber möglichen juristischen Folgen (in Israel) abzusichern, beruft sich der Autor immer wieder auf «foreign sources», aber es ist offenkundig, dass er direkt Informations-Quellen anzapfen konnte.
Über gross Distanzen verbunkert
Dutzende Sabotage-Akte habe der Geheimdienst Mossad in Iran gegen nukleare Einrichtungen durchgeführt und mindestens zehn Wissenschaftler ermordet. Selbst die Tötung von Mohsen Fakrizadeh, «Vater des militärischen Nuklearprogramms Irans», habe die Weiterentwicklung des Programms nicht verzögert – jetzt sei ein Mann namens Sajed Borji zuständig für die Entwicklung eines Detonators für die Zündung einer Atombombe.
Mossad-Chef David Barnea sowie der israelische Armeechef und der neue Kommandierende der Luftwaffe würden zwar weiterhin verdeckte Aktionen gegen Iran planen, aber früher oder später müssten sie erkennen, dass solche Operationen erfolglos bleiben. Denn die nuklearen Anlagen in Iran seien über derart grosse Distanzen verbunkert worden, dass sie von der israelischen Luftwaffe selbst mit den neuesten F-35-Maschinen nicht zerstört, ja nicht einmal wesentlich beschädigt werden könnten. «Helfen» würden einzig Bomben, welche auch die massivsten Panzermauern brechen könnten – die besässen zwar die USA, aber die Regierung in Washington habe die Lieferung solcher Waffen an Israel verweigert. Ein offener Krieg mit Iran mit den verfügbaren Waffen anderseits würde fürchterliche Opfer bei den Angehörigen der israelischen Luftwaffe zur Folge haben, also käme diese Option nicht in Frage.
Der Haaretz-Artikel endet mit dem Hinweis auf die offene Frage, ob Iran überhaupt eine Atombombe anstrebe oder nicht. Immerhin habe das Land der Ayatollah ja selbst 35 Jahre nach dem Beginn nuklearer Forschung noch immer nicht die Schwelle zur Atomwaffenfähigkeit überschritten.
Abkehr vom Säbelrasseln
Nun, Haaretz steht nicht auf der Seite der israelischen Regierung, weder der gegenwärtigen noch der nächsten (die möglicherweise wieder von Benjamin Netanjahu geführt wird), aber in den Fragen der Verteidigung respektive des Militärischen gibt es zwischen fast dem gesamten Spektrum der Opposition und dem Regierungslager keine wesentlichen Differenzen. Also darf man wohl davon ausgehen, dass – in etwa – die im erwähnten Beitrag skizzierten strategischen Linien jene Erkenntnisse erfassen, die bei den Entscheidungsgremien in Jerusalem gelten. Ein Trost insofern, als dies den Schluss zulässt, dass Israel selbst dann keinen Breitflächen-Krieg gegen Iran lancieren würde, wenn die Islamische Republik die kritische «Schwelle» zur Atomwaffe überschreiten würde.
Eine Abkehr vom Säbelrasseln früherer Jahre gegenüber Iran ist auch in Saudi-Arabien und den Emiraten am Golf zu beobachten. Die Regierungen beider Staaten erkennen: So schwierig es ist, Iran als Nachbarn zu haben, so unumgänglich ist es anderseits, mit diesem Nachbarn eine Beziehung wenigstens knapp unterhalb der Kriegsschwelle zu unterhalten. Allerdings: Wenn Iran wirklich Atommacht werden sollte, dann wird zumindest Saudi-Arabien den gleichen Weg beschreiten.
Doch weshalb gerieten die Verhandlungen über die Wiederbelebung des sogenannten Atomabkommens nun in wohl hoffnungslose Schieflage? Weil die Iraner auf der Forderung beharren, dass in den Vertragstext «Sicherheitsgarantien» eingebaut werden, Garantien des Inhalts, dass ein neues Abkommen über die Amtsdauer der jetzigen US-Administration hinaus Bestand haben müsse. Die Forderung ist verständlich, aber sie zielt schlicht an den Realitäten vorbei. Kein US-Präsident kann für einen Vertrag in diesem oder einem vergleichbaren Bereich Verpflichtungen eingehen, die, absolut, auch für eine nachfolgende Administration gültig wären. Eine «Garantie» nach dem Wunsch Teherans könnte es nur geben, wenn sie in der Verfassung der Vereinigten Staaten verankert würde – ein Ding der Unmöglichkeit und der Undenkbarkeit.
Probleme im internationalen Finanzverkehr
Das Misstrauen Irans gegenüber den USA hat allerdings auch praktische Gründe – sie beruhen auf der Alltags-Erfahrung aus den Jahren des «Tauwetters», also den Jahren zwischen 2015 und 1018 (2015 wurde das damals als historisch gefeierte «Atomabkommen» unterzeichnet, 2018 wurde es durch einen Federstrich Donald Trumps zerstört).
In jenen Jahren wollten unzählige westliche Unternehmen in Iran investieren oder zumindest mit iranischen Partnern normale geschäftliche Beziehungen aufnehmen. Dank Tricks und Kniffen gelang es der iranischen Erdöl- und Erdgasindustrie damals zwar, die Exporte zu steigern, aber die Probleme im internationalen Zahlungs- und Finanzverkehr erwiesen sich bald als derart monströs, dass die meisten Kooperations-Projekte bald wieder annulliert wurden. In der Schweiz schreckte Stadler-Rail von einem Grossprojekt zurück, auf internationaler Ebene am prominentesten der Konzern Total, der erkennen musste, dass ein 3-Milliarden-Projekt für die Förderung von Erdgas im Persischen Golf nicht realisiert werden konnte. Und weshalb? Nicht etwa, weil die US-Regierung den Unternehmen Hindernisse in den Weg gelegt hätte, sondern weil die (mehrheitlich von konservativ gesinnten) Chefs der grossen US-Banken den Unternehmern in Europa zu verstehen gaben: Passt auf, wenn ihr mit Iran Handel betreiben wollt, dann verliert ihr das US-Geschäft.
Das wirkte und es wirkte sofort. Jeder Unternehmer in Europa konnte sich ausrechnen, wie viel wichtiger für ihn das USA-Geschäft war im Vergleich zu jenem mit Iran. Ich rechnete es einmal selbst flächendeckend aus: Für eine Firma in EU-Europa war das US-Geschäft selbst in den Jahren des «Tauwetters» 90 mal wichtiger als jenes mit Iran. Für die Schweiz errechnete ich sogar das Zahlenverhältnis von 100 zu 1.
Auch diese Erfahrung floss wohl in das iranische Misstrauen beim General-Vorbehalt zu einem neuen «Atomabkommen» ein.
Also bleibt es dabei, dass die US-Sanktionen gegen Iran (denen sich die Europäer nicht entziehen können oder wollen) bleiben, dass Iran weiterhin diese Sanktionen so trickreich wie möglich unterlaufen und sein Atomprogramm weiter vorantreiben – und Israel, wann immer möglich, «covert operations» mit Todesfolgen durchführen wird?
Ja, leider, sieht die vorhersehbare Realität in der Region etwa so aus.