Auf der Seite des Regimes wirkt sich die Unterstützung von aussen aus. Hizbullah aus Libanon entsendet seine erfahrenen und entschlossenen Kämpfer. Die Iraner helfen ohne Zweifel, indem sie die Ausbildung von syrischen Milizen, meist aus der
Minderheit der Alawiten, voranbringen, möglicherweise auch, indem sie
direkt in die Kämpfe eingreifen. Die Berichte darüber sind
unterschiedlich.
Die Russen schicken Waffen, Munition und Gelder. Es
gibt Schiiten aus dem Irak, die sich zugunsten von Asad mobilisieren
lassen. Die neuen Milizen sind wichtig für das Regime, weil es zwar
weiterhin über eine schwer bewaffnete und einsatzfähige Armee verfügt, diese aber zu klein ist, um alle Teile Syriens zu besetzen und
niederzuhalten. Dazu sind mehr Mannschaften nötig.
Streit mit und unter den Islamisten
Auf der Seite der Rebellen oder des Widerstandes besteht die
wichtigste Entwicklung aus der Zunahme der Spaltungen zwischen den
verschiedenen Kampfgruppen. Die radikalen Islamisten von Nusra Front und von ISIS (Islamic State in Irak and Sham) sind periodisch in
Kämpfe untereinander und mit Einheiten verwickelt, die zur FSA (Freien
Syrischen Armee) gezählt werden.
Es gibt aber auch Episoden von Erhebungen gegen ihre "Regierung" von Seiten der Bevölkerungen, die sie zu beherrschen suchen. Solche Erhebungsversuche, offenbar blutig niedergeschlagen, werden zur Zeit aus der Stadt Raqqa gemeldet. Die Stadt ist heute mit den einströmenden Flüchtlingen auf 200 000 Bewohner angewachsen
und am Euphrat unterhalb seines grossen Stausees gelegen.
ISIS ist ein Sammelgefäss von ausländischen Islamisten, die meist über die Türkei nach Syrien eingeströmt sind. Die Nusra Front besteht eher aus
syrischen Islamisten. Sie zeigt etwas mehr Verständnis für die
syrische Tradition des Zusammenlebens vieler Religionen und
Konfessionen als die landesfremden Islamisten von ISIS.
Die Kurden streben nach Autonomie
In Nordsyrien sind die in den Grenzregionen zur Türkei hin lebenden
Kurden ebenfalls mit Islamisten zusammengestossen, offenbar soweit
erfolgreich, dass sie kürzlich eine provisorische Regierung für die
kurdischen Enklaven in Nordsyrien erklären konnten. Ihre wichtigste
Partei und Kampfgruppe ist die PYD, (für Kurdische Unions Partei),
welche der PKK nahesteht, die in der Türkei weiterhin gegen die
Regierung aktiv ist und ein Zufluchtsgebiet in den Bergen irakisch
Kurdistans besitzt.
Es gibt auch andere kurdische Parteien unter den
rund eine Million ausmachenden syrischen Kurden. Sechs von ihnen haben sich dieser Tage zu einem Bund zusammengeschlossen und sich den Namen einer Kurdischen Sozialdemokratischen Partei gegeben. Masud Barzani, der Präsident irakisch Kurdistans, ist dabei Gevatter gestanden. Doch die PYD ist die einzige, die über Einheiten von bewaffneten Kämpfern verfügt. Wie weit und wie freiwillig die zahlreichen anderen Kurden Parteien mit der PYD zusammenarbeiten, ist unklar.
Der türkische Staat ist im Begriff einen befestigten Grenzzaun
zwischen dem türkischen Staatsgebiet und dem der syrischen Kurden zu errichten, weil er verhindern will, dass die kurdische
Autonomiebewegung aus Syrien auf das türkische Gebiet übergreift, wo
ebenfalls Kurden leben. Die syrischen Kurden protestieren gegen diese
Abschnürung durch die Türkei. Sie behaupten sogar, die Türkei fördere
ihre Feinde, die syrischen Islamisten, um sie zu schwächen.
Alarmruf der Kampfgruppen von Aleppo
Am vergangenen Montag, dem 11. November, haben sechs islamistische Kampfgruppen, unter ihnen die Nusra Front, gemeimsam zur Mobilisierung aller Kräfte des Widerstandes in Aleppo aufgerufen. Am Donnerstag darauf schloss sich ISIS dieser Mobilisierung an. Die Islamisten in Aleppo erwarten eine Regierungsoffensive, nachdem die
Regierungstruppen ausserhalb der Stadt wichtige Fortschritte gemacht
haben. Sie nahmen die Militärbasis 80 wieder ein, die seit dem
vergangenen März von den Rebellen beherrscht wurde, und sie eroberten den Flecken Safira zurück, an der wichtigsten Strasse, die Aleppo mit der nördlichen Grenze verbindet. Der kleinere Ort Tell Aran an der gleichen Strasse, näher bei Aleppo, wurde soeben von ihnen
eingenommen.
Diese Geländegewinne ausserhalb der nördlichen Hauptstadt
verbesseren die Lage der dort immer noch grössere Stadtteile
beherrschenden Regierungstruppen.
Umzingelte Rebellen vor Damaskus
Im Umfeld von Damaskus macht die Regierungsarmee ebenfalls langsame Fortschritte. Manche der Vorstädte, in denen sich immer noch Rebellen halten, sind von der Aussenwelt abgeschnitten und leiden Hunger. Die Zivilbevölkerung der Aussenstadt Al-Adhamyia, aus der Hungertote gemeldet wurden, konnte dank eines kurzfristigen Waffenstillstandes, der zwischen den Kampfparteien vereinbart wurde, mindestens teilweiseevakuiert werden. Die Vorstadt Hujaira soll soeben von der Regierung eingenommen worden sein.
Die Rebellen sind immer noch in der Lage, gelegentlich Raketen und Mörser-Geschosse auf die von der Regierung gehaltene Innenstadt zu richten. Doch es handelt sich dabei um nur grob ausgerichtete, nicht wirklich gezielte einzelne Einschüsse, die sporadisch vorkommen. Die Niederlage und Flucht der Widerstandskämpfer in den verarmten und weitgehend zerstörten Vorstädten rund um die Hauptstadt scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Schrecken ohne Ende
Ein Ende des Bürgerkrieges ist jedoch nicht in Sicht. Die Islamisten
sind zähe Kämpfer. Sie wissen, dass es keine Versöhnung zwischen ihnen und dem Regime geben wird. Noch gibt es weite Gebiete, vor allem im Nordosten Syriens und in der gebirgigen Provinz von Idlib an der türkischen Grenze, wo die Regierung kaum Zugriff besitzt.
Und sogar wenn die Aufständischen soweit militärisch unterliegen, dass sie keine Gebiete oder Ortschaften mehr beherrschen, werden die islamistischen Gruppen im Untergrund mit Selbstmord Bombenanschlägen fortkämpfen. Vielleicht in ähnlicher Art wie dies heute im Irak geschieht.
Diplomatie als verlorene Hoffnung
Die Aussenwelt hofft auf "Genf 2". Wenn die Lage der Rebellen
schwächer wird, werden sie sich gezwungen sehen, doch noch
Verhandlungen zuzustimmen, so lautet ihre Rechnung. Doch die
Schwierigkeit dabei ist: wenn Asad seine Seite als die siegende sieht,
dürfte er eher auf Zeitgewinn spielen, als auf echte Verhandlungen
setzen. Ohne wesentliche Konzessionen von Seiten des Regimes wird es jedoch keinen Frieden geben.
Die Abhängigkeiten von aussen
Wie das Ringen weiter verläuft, hängt wahrscheinlich weitgehend davon
ab, ob und wieweit die Rebellen weiterhin vom Ausland unterstützt
werden. Oder in wie weit die unterschiedlichen Mächte, die Hilfe
geben, ihr Verhalten angesichts der immer wachsenden Bedeutung der
islamistischen Kampfgruppen und auch angesichts ihrer inneren Kämpfe verändern.
Dabei dürften sich Unterschiede ergeben zwischen der
Syrien-Politik der USA, der europäischen Nato-Staaten, der
Golfstaaten, jener Saudiarabiens und der Türkei Erdogans. Die
Entwicklung der 5+1 Verhandlungen mit Iran und ihr Endergebnis werden ebenfalls Einfluss auf das Verhalten der "Freunde Syriens" ausüben.
Der Zerfall ist am schnellsten
Dies alles geht überaus langsam voran. Doch der Zusammenbruch des
Landes Syrien verläuft schnell. Nach-Uno Schätzungen sind 40 Prozent
der Bevölkerung hilfsbedürftig geworden; mehr als ein Drittel der 23,5
Millionen Syrer sind innere oder äussere Flüchtlinge, die aus ihren
Häusern vertrieben worden sind. Gute 2 Millionen davon sind im Ausland, 6,5 Milionen innerhalb Syriens. Im Monat September alleine habe die Zahl der Obdachlosen um 30 Prozent zugenommen. Im November dürfte sie nochmals in ähnlichem Masse anwachsen, besonders wenn die zu erwartenden Kämpfe in den beiden Siedlungschwerpunkten, Damaskus und Aleppo, weiter zunehmen.
Die internationalen Hilfsorganisationen klagen über mangelnden Zugang zu den betroffenen Zonen. Eine Polio-Epidemie ist ausgebrochen, die erste in Syrien seit 14 Jahren. Eine grosse Impfaktion für Kleinkinder wurde begonnen. Doch ob sie alle Ansteckungsherde erreichen kann, ist sehr ungewiss.
Für den Krieg sind immer noch Geld da
Die Wirtschaft liegt darnieder. Das syrische Pfund wird immer
wertloser. Doch für den Krieg gibt es immer noch Gelder. Die
Bewaffneten aller Ausrichtungen werden die letzten sein, die Mangel
leiden. Die ausländischen Partner auf beiden Seiten unterstützen sie,
nicht die Bevölkerung.
Die rasche Zunahme des Elends spricht dafür, dass ein Staatszerfall
als eine ebenso wahrscheinliche Entwicklungen zu erscheinen beginnt
wie der Sieg des Asad Regimes. Der Zerfall Syriens jedoch würde
wahrscheinlich auf mittlere und längere Frist einen noch
unheilvolleren Ausgang für die syrische Bevölkerung darstellen als die
Alternative eines heute nicht mehr auszuschliessenden Endsiegs des
Asad Regimes.