In der Nacht auf den Pfingstmontag wurde der Flughafen von Karachi, der grösste Pakistans, von pakistanischen Taliban-Kämpfern angegriffen. Die Armee wurde von den Flugplatzwächtern zu Hilfe gerufen. Es kam zu einem mehrstündigen Gefecht, das am Morgen zu enden schien, jedoch am frühen Vormittag nochmals auflebte. Schwere Explosionen waren zu hören. Eine erste Bilanz sprach von 28 Toten, unter ihnen die rund zehn Angreifer.
Zerstörung, Chaos und Panik
Die Terroristen waren in zwei Gruppen aufgeteilt und griffen von zwei Seiten her an. Sie sollen mit falschen Ausweisen auf das streng kontrollierte Gelände gelangt sein. Nachdem sie Luftfrachtareal und Technikzentrum in ihre Gewalt gebracht hatten, führten sie dort Sprengungen und Zerstörungen durch. Obwohl sie die Pisten erreichten, doch soll es ihnen nach den Aussagen der Militärs nicht gelungen sein, die auf dem Flughafen stationierten Flugzeuge zu zerstören. Bei drei Flugzeugen wurden jedoch Einschüsse gemeldet. Ein Pilot, der offenbar soeben gelandet war, meldete aus seinem Flugzeug: «Explosionen, wir wissen nicht was geschehen ist, volle Panik an Bord.» Später wurden alle Flugzeuge umgeleitet.
Das angebliche zweite Gefecht am Montagmorgen soll nach den Regierungserklärungen gar keines gewesen sein. Überhitzte Benzin Tanks seien explodiert, was einen Alarm ausgelöst und die Wächter und Truppen zum Schiessen veranlasst habe.
Druck auf die Regierung
Die Taliban kommentierten die Ereignisse mit der Aussage: «Die Aktion wurde durchgeführt, um der Regierung zu zeigen, dass wir Taliban weiterhin in der Lage sind, dem Staat empfindliche Schläge beizubringen, trotz der Bombardierungen von unschuldigen Dörfern in den Stammesgebieten durch die pakistanische Armee.»
Der Talibansprecher, der sich Shahidullah Shahid (Märtyrer Gottes, der Märtyrer) nennt, erklärte auch: «Wir haben Rache zu nehmen für Tausende von Unschuldigen und für Einen.» Mit dem Einen ist der Talibanchef Hakimullah Mehsud gemeint, der im vergangenen November einen Drohnenangriff zum Opfer viel. »Dies ist nur der Anfang,» erklärte der Sprecher. «Weitere Massnahmen folgen.»
Zum Hintergrund der Aktion gehört, dass seit Februar Verhandlungen zwischen der Regierung und den Taliban im Gange sind. Diese waren zuerst von einem Waffenstillstand begleitet. Doch dieser brach am 1. April zusammen, weil es trotz dem offiziellen Waffenstillstand immer weitere Mordanschläge der Taliban gab. Dies geschah wahrscheinlich, weil die aus einem losen Zusammenschluss vieler Kämpfer in den Stammesgebieten, aber auch in Punjab und in Karachi bestehenden Taliban sich nur begrenzt an die Weisungen ihrer offiziellen Führerschaft halten.
Armee-Eingriffe in Waziristan
Die Armee ging dazu über, schwere Bombenangriffe auf die Basen der Taliban in den Stammesgebieten des Nordens durchzuführen. Sie hat auch eine Landoffensive nach Nordwaziristan unternommen.
Das Herzland der Pakistanischen Taleban, Nordwaziristan, ist ein Gebiet an der afghanischen Grenze, das die Taliban zusammen mit dem Mehsud-Stamm, zu dem ihre Führerschaft weitgehend gehört, so gut wie ausschliesslich beherrschen. 2007 hatte die Armee mit den Mehsud einen Vertrag abgeschlossen, nach dem sie nicht in Nordwaziristan intervenieren werde, solange die dortigen Stämme nicht ausserhalb ihrer Stammesgebiete aktiv würden. Doch die enge Verbindung zwischen den Taliban und den Mehsud hat dieses Abkommen untergraben.
Trotz den Eingriffen der Armee wurden die offiziellen Friedensverhandlungen mit der Talibanführung, die die Regierung unter Ministerpräsident Nawaz Sharif betreibt, nicht abgebrochen. Noch kurz vor den jüngsten Ereignissen auf dem Flughafen von Karachi erklärte der Ministerpräsident öffentlich, er habe immer noch Hoffnungen auf einen guten Ausgang der Verhandlungen mit den Taliban.
Man kann vermuten, dass der Regierungschef von Hoffnungen spricht, weil er keine brauchbare Alternative zu seinem ursprünglichen Plan finden kann, mit den Taliban zu verhandeln. Er hatte diesen Plan im vergangenen Jahr, vor seiner Wahl vom 11. Mai 2013, zu einer Leitlinie seines Wahlprogramms gemacht. Nach seiner Wahl hatte es dann aber lange gedauert, bis die versprochenen Verhandlungen ihren Anfang nahmen.
Kein Sieg der Armee zu erwarten
Schläge gegen die Taliban durch die Armee sind natürlich eine Alternative zu den Friedensgesprächen. Doch sie können bestenfalls dazu dienen, die Talibanführung zu mehr Kompromissbereitschaft zu zwingen. Dass es der Armee gelingen könnte, die Taliban völlig niederzuschlagen, glauben offenbar weder die Armeechefs noch der Ministerpräsident. Dies ist mehrmals versucht worden, als die Armee grössere Bodenoffensiven durchführte. Doch jedesmal gelang es den Pakistanischen Taliban, auf andere Gebiete der weiten und tief zerklüfteten Stammeszone des Nordens auszuweichen.
Die Armee ist sich bewusst, dass sie unmöglich alle Stammesgebiete besetzen und voll kontrollieren kann. Dazu würden ihre Mannschaften nicht ausreichen. Jedenfalls nicht, solange die Armee die Bereitschaft an der indischen Grenze und an der sogenannten «Line of Control» im Hochland von Kaschmir aufrechterhalten will. Bisher hat die Armee stets ihre Hauptaufgabe in der Wachsamkeit gegenüber den überlegenen indischen Streitkräften gesehen, mit denen sie ja auch mehrmals Kriege geführt hat.
Taliban am längeren Hebel
Was die pakistanischen Taliban angeht, so dürften sie die Friedensverhandlungen mit Islamabad in erster Linie als politisches Instrument sehen, das dazu dienen kann, den Druck zu vermindern, den die Armee auf sie ausübt.
Zu diesem Druck gehörte auch in den letzten Jahren der Einsatz amerikanischer Drohnen, die von pakistanischen Flugplätzen aus operierten, obwohl die pakistanischen Behörden in offiziellen Bekanntmachungen beharrlich erklärten, sie seien gegen den Einsatz von Drohnen der amerikanischen Macht über pakistanischen Gebieten. Auf Drängen der gegenwärtigen Regierung scheinen diese amerikanischen Aktionen zurzeit eingestellt worden zu sein. Was allerdings nicht ausschliesst, dass Drohnen über den Stammesgebieten von der afghanischen Seite aus eingesetzt werden.
Der Talibanführung dürfte es auch einfach um Zeitgewinn gehen. Sie kann damit rechnen, dass nach dem Abzug der Amerikaner und der Nato-Truppen aus Afghanistan das politische Gleichgewicht auch in Pakistan sich verschieben wird, und zwar ohne Zweifel zu ihren Gunsten. Die Stützung des pakistanischen Staates und der pakistanischen Armee durch die Amerikaner wird wahrscheinlich zurückgeschraubt werden. Sogar wenn es einige Talibanführer geben sollte, die wirklich bereit wären, mit der pakistanischen Regierung ernsthaft zu verhandeln (wie Nawaz Sherif dies offenbar glauben möchte), läge es jedenfalls in ihrem Interesse, die Verhandlungen hinauszuziehen, bis sie dank dem Abzug der Amerikaner und der Nato-Truppen aus dem Nachbarland Afghanistan an einem noch längeren Hebelarm sitzen.ß