40,8 % stimmten am Sonntag bei der Europa-Wahl für den sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD) des 39-jährigen Ministerpräsidenten Matteo Renzi. Noch nie hat Italiens Linke ein solch blendendes Ergebnis hingelegt.
Das Resultat ist nicht nur ein überraschend deutlicher Vertrauensbeweis für Renzi: das Ergebnis bläst seinem Reformkurs starken Wind in die Segel.
Bei den Europa-Wahlen geht es in Italien nur in zweiter Linie um Europa. Der Urnengang ist in erster Linie ein nationaler Stimmungstest für die italienischen Parteien: Barometer-Wahlen.
Die Wahl bedeutet eine schwere Schlappe für Silvio Berlusconi. Seine Forza Italia, die anti-deutsche Ressentiments ansprach, landete mit 16,8% auf dem dritten Platz. Dem Populisten Berlusconi scheint mit seiner Anti-Europa-Kampagne der Sinn für das popolo abhanden gekommen zu sein.
"Auch der schönste Granatapfel fällt vom Stamm"
Das Ergebnis ist für Berlusconi umso erschreckender, als dass er und seine Medien seit Wochen die Italiener mit einer aggressiven Kampagne bearbeiteten und belästigten.
Die Zeit des bald 78-Jährigen scheint nun doch langsam abzulaufen. Das Resultat zeigt auch seinen Parteifreunden, dass mit ihm kaum noch Staat zu machen ist. Natürlich ist Berlusconi immer für Überraschungen gut, doch „auch die schönsten Granatäpfel fallen einmal vom Baum“, sagt zynisch ein Römer Sozialdemokrat. Den Hardcore-Berlusconianern jedenfalls stehen in der eigenen Partei schwere Zeiten bevor. Die Erosion wird sich fortsetzen.
Kein Zittern mehr
Immer wieder pochte Berlusconi darauf, dass er vom Volk gewählt worden sei – im Gegensatz zu seinen Nachfolgern Mario Monti, Enrico Letta und jetzt Matteo Renzi. Das stimmt. Das Parlament hatte Monti, Letta und Renzi gewählt – und nicht das Volk. Doch die 41 Prozent, die Renzis Partei jetzt erhielt, kommen einer Volkswahl des Ministerpräsidenten gleich.
Vor fünf Jahren hatte Berlusconi noch 35,3 Prozent der Stimmen erobert, und im Februar letzten Jahres waren es immerhin noch 21,6 Prozent. Er drohte immer wieder, die Regierung zu stürzen, wenn sie nicht nach seiner Pfeife tanzt. Wie oft prophezeite er Neuwahlen – und die Linke zitterte. Nach den miserablen 16,8 Prozent zittert sie weniger.
Schlappe für den Schreihals
Eine Schlappe bedeutet das Ergebnis auch für den Ex-Komiker Beppe Grillo und sein „Movimento 5 stelle“. Die „5 Sterne-Bewegung“ wird zwar mit 21,1 Prozent zweitstärkste Partei. Doch das ist weit weniger als sich Grillo erhofft hat. Er, der den Mund nicht genug voll nehmen kann und von Como bis Syrakus um die Wette schreit, prophezeite einen Stimmenanteil von 30 Prozent. Er redete den Italienern ein, dass der Euro vom Teufel sei und verlangte eine Rückkehr zur Lira. Bei den Parlamentswahlen im Februar letzten Jahres hatten die "5 Sterne" noch 25,6 Prozent errungen. Jetzt sind es viereinhalb Prozent weniger. Die Sterne verblassen.
Sowohl Berlusconi als auch Grillo steuerten einen klaren Anti-Europa-Kurs. Vor allem Angela Merkel wurde zum Sündenbock für die italienischen Probleme gekürt. Berlusconi warb mit dem Slogan „Mehr Italien, weniger Deutschland“. Grillo beschuldigte Ministerpräsident Renzi, er „krieche“ vor Angela Merkel. „Wir werden den Fiskalpakt in Stücke reissen“, wetterte Grillo.
Hausgemachte Probleme
Dass Forza Italia und die „5 Sterne“ trotz ihrer flächendeckenden anti-europäischen und anti-deutschen Hetze zusammen nicht einmal 38 Prozent der Stimmen erhielten, erstaunt. Offenbar scheint vielen Italienern endlich klar geworden zu sein, dass die meisten ihrer Probleme hausgemacht sind – und nicht wegen Europa bestehen.
Doch auch Renzi ging vorsichtig auf Distanz zur „Austeritäts-Politik“ von Angela Merkel. Aber er tat es weniger plump als Berlusconi und Grillo. Italien werde seine Budgetverpflichtungen nicht brechen, doch der Stabilitätspakt sei veraltet, erklärte der Ministerpräsident. Im Juli übernimmt Italien die EU-Ratspräsidentschaft. Dann werde er, sagt Renzi, eine Diskussion über die europäische Sparpolitik in Gang setzen. Um die Wirtschaft anzukurbeln, will er die Budget-Disziplin lockern.
Jetzt muss er liefern
Renzi kommentierte das Ergebnis mit einem schönen Satz: „Die Hoffnung hat doppelt so viele Stimmen erreicht wie die Wut“. Renzi ist es in den letzten Monaten gelungen, einem grossen Teil der Italiener wieder Hoffnung auf Besserung zu geben.
Das brillante 41 Prozent-Ergebnis hat Renzi gestärkt und seine Kritiker – auch in der eigenen Partei – mundtot gemacht. Vorläufig. Jetzt hat er freie Fahrt. Doch jetzt muss er Ergebnisse liefern.
Bisher hat er viel angepackt, doch viel Grundlegendes, Konkretes und Schmerzhaftes bleibt zu tun.
"Silvio Renzi"?
Zehn Millionen Italiener sollen künftig jeden Monat einen Bonus von 80 Euro erhalten – auch die Pensionierten. Diese Massnahme - kurz vor den Europa-Wahlen bekanntgegeben - hat sicher zum guten Ergebnis beigetragen. Sie trug ihm auch den Vorwurf des Populismus ein. „Silvio Renzi“ höhnten seine Gegner. „Il piccolo Silvio Berlusconi“. Wie will er das finanzieren? Da bleibt er noch viele Antworten schuldig. Die öffentlichen Schulden belaufen sich auf 2‘000 Milliarden Euro.
Doch Renzi ist auf dem richtigen Weg. Er sagt der Bürokratie den Kampf an, ebenso den von Sturheit strotzenden italienischen Gewerkschaften. Die grotesk aufgeblasene Leerlauf-Verwaltung soll verschlankt werden. Staatsbetriebe, wie die Post, will er zumindest teilweise verkaufen oder an die Börse bringen.
"Wir bleiben bis 2018"
In seiner ersten Medienkonferenz nach seinem historischen Sieg sagt Renzi: „Jetzt gibt es kein Alibi mehr, die Reformen hinauszuschieben“. Er spricht sich auch klar gegen vorgezogene Neuwahlen aus, wie sie Berlusconi einst anstrebte. „Wir bleiben bis 2018“, erklärt Renzi trotzig.
Und er tut das, was Berlusconi nie tat: Er verhöhnt seine Gegner nicht. Er reicht ihnen die Hand. Zusammen mit Forza Italia und den andern Parteien wolle er ein besseres Italien schaffen. Das ist eine Chance.
Auch die Mailänder Börse hofft. Sie legte am Montag um 3,61 Prozent zu. Das gab's schon lange nicht mehr.