Dabei spielt es keine Rolle, ob sie im Mittelmeer beinahe ertrunken wären, ob sie auf dem Balkan an diversen Grenzzäunen fast totgeschlagen worden wären, ob sie erfroren oder ihre Kinder an schierer Verzweiflung gestorben wären: Wir haben es mit Reisenden zu tun, die sich offenbar ihre Destinationen so aussuchen, wie wir es gewohnt sind: komfortabler Transportweg, allzeit sehr gute Verpflegung und x-Sterne-Unterkunft – wehe, wenn Mängel im Internet die Runde machen!
Warum kann man nicht sagen und schreiben: Flüchtlinge reisen nicht, sondern sie sind unbehaust. Manche von ihnen müssen ohne allen Schutz die Nächte unter freiem Himmel verbringen – den Ausdruck „schlafen“ wird man in diesem Zusammenhang kaum gebrauchen. Die weitaus grössten Strecken legen sie zu Fuss zurück, und ihr ständiger Begleiter ist die nackte Angst.
Eine Flucht aus purer Not und Verzweiflung ist keine Reise. Aber es gibt kaum Worte, die die Weise der Fluchtbewegung angemessen beschreiben. Das ist schon merkwürdig genug. Noch merkwürdiger ist aber, dass sich der Begriff der Reise nahelegt, weil Flüchtlinge Grenzen überschreiten und Grenzkontrollen an „Reisenden“ vorgenommen werden. Die Flüchtlinge werden also spätestens an den Grenzen zu „Reisenden“, um dann wieder zu Asylsuchenden zurückgestuft zu werden. Oder aber sie sind schlicht „Wirtschaftsflüchtlinge“, wobei dieser Ausdruck auch ein Euphemismus ist. Denn sie fliehen vor Armut, Hunger, Hoffnungslosigkeit.
Lügt die Sprache oder ist sie bloss ungenau? Oder drückt sie nur auf ihre Weise aus, dass wir mit Flüchtlingen so wenig wie möglich zu tun haben wollen und am liebsten wegschauen?