Am letzten Sonntag haben in Danzig Wahlen für den Bürgermeisterposten stattgefunden. Diese waren notwendig geworden, nachdem der Amtsinhaber und populäre Oppositionspolitiker Pawel Adamowicz Mitte Januar ermordet worden war (Journal21.ch, 15.1. 2019). Polen stand unter Schock und die Trauerfeierlichkeiten wurden zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen Gewalt und Hass.
Tiefer Graben
Es setzte eine Debatte um die weit verbreiteten Praktiken von verbaler Aggression und Hetze ein. Bei einer Umfrage gaben über die Hälfte der Befragten an, schon damit konfrontiert worden zu sein. Prominente Politiker versprachen in ihrer Wortwahl Besserung. Die Behörden gingen etwas entschiedener gegen Täter vor, die Gewaltdrohungen ins Netz gestellt hatten. In den Medien wurde dem Thema viel Platz eingeräumt. Künstler und Wissenschaftler engagierten sich. Letzte Woche fand schliesslich in Lodz ein Grosskonzert statt, an dem über einhundert bekannte Musiker teilnahmen.
Dass sich allerdings in der Politszene viel ändern wird, ist nicht anzunehmen. Zu stark ist die Polarisierung, und der Graben zwischen der herrschenden nationalkonservativen PiS (Partei Recht und Gerechtigkeit) und der Opposition ist tief. Nach einer anfänglichen Mässigung hat sich der Tonfall in den Auseinandersetzungen weiter verschärft. Der Wahlkampf für die Wahlen ins Europaparlament von Ende Mai hat bereits begonnen.
PiS unter Druck
Der Mord von Danzig stellte für die PiS eine Belastung dar. Obwohl der Täter psychisch gestört war und nach bisherigen Ermittlungen keine direkten politischen Motive hatte, wurde der PiS von vielen eine indirekte Mitverantwortung zugeschrieben. Vor allem gegenüber dem von der PiS kontrollierten Staatsfernsehen gab es Vorwürfe. Dieses hatte durch seine oft einseitige Berichterstattung nicht nur das allgemeine Klima angeheizt, sondern konkret in verschiedenen Beiträgen Adamowitz negativ dargestellt.
Die PiS war sonst schon durch verschiedene Affären unter Druck geraten. Eine pikante Geschichte stellte die Aufdeckung sehr hoher Gehälter dar, die zwei enge Mitarbeiterinnen des Nationalbankpräsidenten bezogen. Dass diese relativ jung sind und attraktiv aussehen, steigerte das Skandalpotential zusätzlich. Die PiS versuchte, die Affäre zu entschärfen, indem sie ein Gesetz verabschieden liess. Dieses verpflichtete die Nationalbank auch zur Veröffentlichung der Löhne ihrer Führungskräfte.
Bauprojekt mit Fragezeichen
Besonders brisant war eine Artikelserie, die die grösste Oppositionszeitung, die Gazeta Wyborcza, seit Ende Januar veröffentlichte. Sie betraf unmittelbar Jaroslaw Kaczynski, den Parteichef und Big Boss der PiS. Ein österreichischer Geschäftsmann hatte Klage eingereicht, er sei um sein Honorar betrogen worden. Er hatte für eine der PiS nahestehende Firma ein Projekt zum Bau von zwei Hochhäusern in Warschau eingefädelt. Präsident dieser Firma war Kaczynski, der selber die Verhandlungen geführt hatte. Von den Gesprächen gab es Tonbandmitschnitte, aus denen in den Artikeln zitiert wurde.
Kaczynski hatte das Projekt gestoppt, nachdem die Aussicht auf eine Baubewilligung gering war und er auch politische Nachteile befürchtete. Kaczynski erklärte in einem Interview mit einer der PiS nahestehenden Zeitschrift, die Firma habe nicht bezahlt, weil die Forderungen zu hoch und zu wenig dokumentiert gewesen seien. Der Geschäftsmann wurde dann insgesamt 30 Stunden von der Staatsanwaltschaft befragt. Eine Entscheidung, ob ein Verfahren eröffnet wird, steht noch aus. Wie auch immer die Affäre rechtlich ausgeht, der Imageschaden ist auf jeden Fall beträchtlich.
Besonders die – allerdings nicht beweiskräftig belegte – Aussage, Kaczynski habe auch Geld bekommen, um ein Mitglied der Geschäftsleitung für das Projekt zu „überzeugen“, warf hohe Wellen.
Die PiS sucht den Befreiungsschlag
Die PiS versuchte, die Affäre klein zu halten und verteidigte Kaczynski. Sie beschuldigte ihrerseits die Opposition, aus einer Bagatelle einen Skandal zu machen. Wohl nicht ganz zufällig wurden auch ehemalige Spitzenmanager von der Antikorruptionsbehörde verhaftet und angeklagt.
Die Umfragewerte für die PiS gingen nur relativ wenig zurück. Sie kam immer noch auf einen Wähleranteil von rund 35 bis 40 Prozent. Ihre eigentliche Basis mit einem Wähleranteil von rund 25 Prozent steht weiterhin zu ihr. Aber auch die sonstigen Wähler liessen sich offenbar nicht allzu sehr beeindrucken. Für sie dürften vor allem die sozialen Verbesserungen, die die PiS bisher realisiert hat, eine wichtige Rolle gespielt haben.
Die PiS versuchte denn auch an ihrem Parteikonvent vor gut 10 Tagen einen Befreiungsschlag. Sie setzte erneut vor allem soziale Reformen auf die Programmagenda. Die populäre Kinderzulage von 500 Zloty soll nun auch schon für das erste Kind und nicht erst ab dem zweiten ausbezahlt werden. Zudem bekommen alle Rentner eine 13. Rente in der Höhe der Minimalrente. Und die Jungen müssen in Zukunft erst ab 24 Jahren Einkommenssteuern bezahlen. Kurzum, teure Wahlgeschenke für fast alle, die zum Teil schon dieses Jahr umgesetzt werden sollen.
Neue Oppositionspartei
Die Probleme der PiS gaben der Opposition zusätzlich Auftrieb. Sie hatte schon bei den Lokal-und Provinzwahlen im letzten Herbst Erfolge erzielen können, vor allem in den grösseren Städten (Journal21.ch, 24.11. 2018). Die Opposition gruppierte sich teilweise neu.
Auf der politischen Bühne ist ein neuer Player aktiv, die linksliberale Partei Wiosna (Frühling). Ihr charismatischer Führer Robert Biedron ist eine Ausnahmeerscheinung unter den Politikern Polens. Er wirkt sympathisch, sieht gut aus, ist schwul und kommunikativ begabt. Er hat die Parteigründung lange vorbereitet und den Gründungskonvent anfangs Februar zu einem eigentlichen Event gemacht.
Das Programm verbindet weltanschaulich liberal-progressive Positionen mit linken sozialen Anliegen. Gefordert wird beispielsweise eine Trennung von Kirche und Staat und eine Fristenlösung bei der Abtreibung, aber auch eine deutliche Erhöhung der Renten und der Mindestlöhne. Wiosna setzt sich bewusst ab von den bisherigen Hauptakteuren, der PiS und der ehemaligen Regierungspartei, der liberal-konservativen PO (Bürgerverständigung).
Umfragen zeigen, dass Wiosna mit einem Wähleranteil von rund 10 Prozent rechnen kann. Vor allem bei den Jungen, in den Städten und bei den Frauen findet sie überdurchschnittliche Zustimmung. Allerdings neigt Biedron etwas zur Selbstüberschätzung.
Seine Strategie, alleine bei den Wahlen anzutreten, ist allerdings durchaus rational. Wiosna nimmt zwar nach einer Umfrage vor allem den andern Oppositionsparteien Stimmen weg, aber rund ein Viertel sind neue Wähler.
Breite Koalition von Oppositionsparteien
Für die Europawahlen haben die wichtigsten etablierten Oppositionsparteien erstmals eine Koalition gebildet. Sie nennt sich auch Europäische Koalition. Ihr gehören neben der eindeutig grössten Oppositionspartei, der PO, auch die kleine liberale Nowoczesna (die Moderne) an sowie die traditionsreiche Mittepartei PSL (Polnische Volkspartei), die sozialdemokratische SLD (Bündnis der demokratischen Linken) und die PZ, die Kleinstpartei der Grünen.
Dabei handelt es sich um eine Zweckallianz mit dem Ziel, die PiS bei den Europawahlen zu schlagen. Da die Parteien programmatisch recht weit auseinanderliegen, enthält die Koalitionsvereinbarung wenig Konkretes. Polen soll vor allem wieder eine bessere Position in der EU gewinnen, so dass auch polnische Interessen wieder vermehrt durchgesetzt werden können.
Umfragen zeigen, dass ein Sieg der Koalition durchaus möglich ist, da sie meist vor der PiS rangiert. Und zählt man noch das Ergebnis der neuen Partei Wiosna dazu, ist eine Niederlage der PiS sogar wahrscheinlich. Sie hat auch Konkurrenz von zwei kleinen rechtspopulistischen Parteien zu befürchten. Allerdings hätte eine Niederlage der PiS vor allem symbolische Bedeutung, dürfte der Opposition aber deutlichen Auftrieb geben.
Für die im Herbst stattfindenden entscheidenden Parlamentswahlen werden die Karten wohl wieder neu gemischt. Dass bis dahin eine auch programmatisch überzeugende breite Oppositionskoalition entsteht, ist bis jetzt noch nicht absehbar. Immerhin scheint die politische Entwicklung wieder offen zu sein.