Manche Bilder geben Rätsel auf. Handelt es sich bei der aufgebahrten Person um eine Art Heiligen? Das Gebilde im Hintergrund ganz links erinnert an einen Engelsflügel, und die Ergriffenheit insbesondere des Mannes im Vordergrund legen diesen Gedanken nahe. Und es sind zahlreiche Besucher gekommen, um Abschied zu nehmen.
Oder wollen sie nur ihre Neugier befriedigen? Ohne Bildlegende käme man aus dem Rätseln nicht heraus. Tatsächlich handelt es sich bei dem Toten um den amerikanischen Gangster John Dillinger, der am 22. Juli 1934 beim Verlassen eines Kinos in Chicago von BOI-Agenten erschossen wurde. Auf ihn war ein Kopfgeld von 10’000 US-Dollar ausgesetzt worden, was einer heutigen Kaufkraft von etwa 200’000 US-Dollar entspricht.
Die kriminelle Karriere von John Dillinger begann mit einem Autodiebstahl, aber im Jahr 1929 geriet er auch wegen des Diebstahls von 41 Hühnern in ernsthafte Schwierigkeiten. Sein Vater trat für ihn ein, so dass er einigermassen glimpflich davon kam.
Sein weiterer Weg führte ihn über wiederholte Überfälle, vorzugsweise auf Banken, zu mehreren Gefängnisaufenthalten, die jeweils mit spektakulären Ausbrüchen vorzeitig endeten. Er überfiel auch Polizeistationen und konnte dort Waffen erbeuten. Schliesslich erhielt der Vorläufer des heutigen FBI, das BOI, von einer Bekannten Dillingers einen Tipp. Sie erzählte, dass sie und ihre Freundin mit Dillinger in einem Kino in Chicago verabredet seien. Für diesen Tipp verlangte sie 10’000 Dollar und die Einbürgerung in die USA. Damit die Beamten Dillinger leichter identifizieren konnten, trug sie ein orangefarbenes Kleid, das allerdings im Licht der Strassenlampen beim Verlassen des Kinos rot erschien. Es gelang den Beamten nicht, Dillinger festzunehmen, so dass er bei einem Schusswechsel getötet wurde. Die Dame, die ihn verriet, musste sich daraufhin mit 5’000 Dollar zufrieden geben und wurde nach Rumänien abgeschoben. Wegen ihres rot erscheinenden Kleides ging sie als «Lady in red» in die späteren Bücher und Verfilmungen ein.
Aber Dillinger gab keine Ruhe. Zwar wurde er ordnungsgemäss beerdigt, doch waberten immer wieder Gerüchte, dass die beerdigte Person nicht wirklich Dillinger sei. Wiederholt wurden Anträge auf Exhumierung gestellt, die sogar vom «History Channel» gesponsert wurden. Zuletzt sollte er am 31. Dezember 2019 exhumiert werden, was wiederum verschoben wurde. Wahrscheinlich wird das jetzt gar nichts mehr mit der Exhumierung, zumal da auch sein Neffe und seine Nichte von diesem Plan abgerückt sind.
(Journal 21)