Der gallische Hahn steigt krächzend aus der Tunnelröhre. Der stolze britische Löwe flüchtet. Die 1885 im amerikanischen Satire-Magazin «Puck» erschienene Karikatur illustriert die britischen Ängste vor einem Tunnel unter dem Ärmelkanal. Auf dem flüchtenden Löwen sitzt Garnet Wolseley, der Oberbefehlshaber der britischen Armee. Trotz britischer Bedenken wurden der Eurotunnel dann doch gebaut und vor dreissig Jahren eingeweiht.
Königin Elizabeth II. und der französischen Präsidenten François Mitterrand waren es, die am 6. Mai 1994 den längsten Unterwassertunnel der Welt eröffneten. Der erste Güterzug verkehrte im 50 Kilometer langen Tunnel zwischen Coquelles bei Calais (Frankreich) und Folkestone in Kent (UK) am 1. Juni 1994. Der Zugverkehr mit Passagieren wurde am 14. November 1994 aufgenommen. Ein 37 Kilometer langer Streckenanteil des 50 Kilometer langen Tunnels liegt unter Wasser.
Die Bauzeit des längsten Unterwassertunnels der Welt hatte sieben Jahre gedauert. Die Baukosten waren mit 15 Milliarden Euro doppelt so hoch wie ursprünglich geplant.
Erste Pläne für einen Tunnel unter dem Ärmelkanal gab es schon 1751. Vorgesehen war, dass im Unterwassertunnel Pferdekutschen verkehren würden. Napoleon sprach während der Friedensgespräche von Amiens mit dem britischen Staatsmann Charles James Fox über das Projekt, das schliesslich als unrealisierbar verworfen wurde. Im 19. Jahrhundert folgten zahlreiche weitere Pläne und Ideen zur Kanalunterquerung. 1973 wurde es dann ernst: Der britische Premierminister Edward Heath und der französische Ministerpräsident Georges Pompidou unterzeichneten eine Vereinbarung, die den schnellen Bau eines Kanaltunnels vorsah. Doch erst 1985 erfolgte die Ausschreibung für das Projekt. Den Zuschlag erhielt das britisch-französische Konsortium «The Channel Tunnel Group Ltd/France-Manche SA». Frühere Pläne, wonach der Tunnel kein Eisenbahn-, sondern ein Strassentunnel sein sollte, wurden verworfen.
Der Eurotunnel (offizieller Name: Channel Tunnel/Tunnel sous la Manche) besteht aus drei Röhren: aus zwei eingleisigen Fahrtunnels und – dazwischenliegend – einem Servicetunnel für schmale Autos. Der Eurotunnel ist der sechstlängste Eisenbahntunnel der Welt (der Gotthard-Neat-Tunnel ist mit 57 Kilometern der weltweit längste Eisenbahntunnel).
(Journal 21)