Vor 40 Jahren, am 25. Oktober 1984, trat der CDU-Politiker Rainer Barzel von seinem Amt als Bundestagspräsident zurück. Er war erst am 25. April 1983 in dieses Amt gewählt worden. Auslöser für seinen Rücktritt war ein politisches Beben, das damals die Bonner Republik erschütterte.
Dabei ging es um «Steuerbefreiungen» im Zusammenhang mit einem Aktiengeschäft des Flick-Konzerns. Der hatte Aktien der Daimler-Benz AG im Wert von 1,9 Milliarden DM an die Deutsche Bank verkauft. Dafür wären Steuern in der Höhe von 986 Millionen DM fällig gewesen. Verständlich, dass der Flick-Konzern nach Mitteln und Wegen suchte, diese Zahlung zu vermeiden. Und er fand sie! Denn mit einigermassen gutem Willen und entsprechender politischer Biegsamkeit konnte das Aktiengeschäft nach § 6b des Einkommenssteuergesetzes als «volkswirtschaftlich förderungswürdige» Reinvestition betrachtet und eingestuft werden. Man brauchte dafür nur einen willigen Politiker. Den fand man im damaligen Wirtschaftsminister Hans Friderichs, FDP, der die entsprechende Weisung erteilte.
Der Verdacht, dass es dabei nicht mit rechten Dingen zugegangen war, hatte eine reale Grundlage. Im Jahr 1981 war der Steuerfahnder Klaus Förster im Zuge anderer Ermittlungen auf Schliessfächer bei der Dresdner Bank mit hoch interessanten Kassenbüchern gestossen. Denn diese enthielten akribische Aufstellungen von beträchtlichen Zahlungen seitens des Flick-Konzerns – zum Teil in der Höhe von mehreren Hunderttausend Mark – an führende Politiker von CDU/CSU und FDP. Das führte zu Anklagen gegen Eberhard von Brauchitsch und Manfred Nemitz vom Flick-Konzern und gegen die Politiker Hans Friderichs und Otto Graf Lambsdorf. Der Prozess zog sich eineinhalb Jahre hin, und dem Richter fielen die Angeklagten durch ihr schlechtes Erinnerungsvermögen auf. Es kam zu vergleichsweise milden Verurteilungen.
Aber damit war die Sache noch nicht ausgestanden, denn der Steuerfahnder Klaus Förster gab keine Ruhe. Er deckte weitere illegale Machenschaften auf, was zur Konstituierung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages führte. Und so kam es für Rainer Barzel zum grossen Knall: Denn der Flick-Konzern soll ihm Geld dafür bezahlt haben, dass er «freiwillig» auf den Partei- und Fraktionsvorsitz der CDU verzichtet und damit den Weg für Helmut Kohl geebnet hatte. Aufgrund dieses Vorwurfs, der allerdings nie ganz aufgeklärt wurde, trat Rainer Barzel als Bundestagspräsident zurück.
Natürlich geriet auch Helmut Kohl ins Visier der Ermittler, von denen es der Grüne Bundestagsabgeordnete Otto Schily ganz besonders auf ihn abgesehen hatte. Als Kohl zur Vorladung erscheinen musste, liess sich Schily ein grosses Stück Torte servieren. Aber den Kanzler plagten ebenfalls Erinnerungslücken. Das gab in der Öffentlichkeit zu reden, und der damalige Generalsekretär der CDU, Heiner Geissler, sprang ihm vermeintlich zur Seite, indem er die Möglichkeit eines «Blackouts» ins Gespräch brachte. Kohl hat ihm das nie verziehen.
Heute ist die Flick-Affäre nahezu vergessen, aber sie hat zumindest einen gelehrigen Schüler hinterlassen: Olaf Scholz. Denn der beruft sich bei allen Befragungen im Zusammenhang mit seiner Rolle bei der Cum-Ex-Affäre ebenfalls auf Erinnerungslücken, durch die auf wundersame Weise immer nur ganz bestimmte, eng umgrenzte Termine, Gespräche und Weisungen fallen.
Das Bild zeigt Rainer Barzel am 5. November 1984 im Deutschen Bundestag während der Wahl seines Nachfolgers Philipp Jenninger.
(Journal21)