Auf diese Weise ist ein ungewöhnlicher Bildband entstanden. Den 48 Impressionen sind nur knapp jeweils die Ortsangabe und der Monat und das Jahr der jeweiligen Aufnahme beigefügt. Sonst nichts. Sonst nichts? Doch, es gibt eine Widmung: „For Hélène“.
Meditation
Schweigen die Wälder? Und sprechen die Bilder für sich? Alles, was ablenken könnte, ist weggelassen worden. Wie von selbst entsteht Stille, und die Bilder laden zum Verweilen ein. Man weiss nicht, ob es die Strukturen sind, die einen in den Bann schlagen, oder doch die ungeheure Formenvielfalt, die in diesen Mustern steckt.
Jeder Baum, jedes Blatt wirkt für sich, aber alles fügt sich zu einem übergeordneten Ganzen. Der Blick des Betrachters und die mentale Aufmerksamkeit pendeln zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen hin und her und finden Halt in der Stimmigkeit der Bildkompositionen – eingetaucht in jeweils spezielles Licht. Diesen Bildband wird man nicht einfach durchblättern und in ein Regal stellen. Man wird einzelne Bilder wie zur Meditation wieder und wieder auf sich wirken lassen.
Der Fotograf und der Verleger haben grosses Vertrauen in die Betrachter. Der Steidl Verlag kommt den Lesern nicht gefällig entgegen, sondern will allein durch Qualität überzeugen. Eindrucksvoll belegen diesen Sinn und Geist die Verlagsvorschauen, die sich mehr und mehr zu bibliophilen Kostbarkeiten entwickeln.
In der Vorschau „Spring/Summer 2017“ findet man in der Ankündigung von „Woodlands“ die Angaben, die im eigentlichen Bildband planvoll weggelassen worden sind. Mat Hennek ist Deutscher, Jahrgang 1969, und hat sich mit seinen Fotografien seit langem einen Namen gemacht. Seine Bilder erschienen in diversen namhaften Magazinen und Illustrierten.
Und wer ist Hélène? Hèlène Grimaud, die berühme Pianistin, die Wölfe liebt und pflegt und mit der er in New York lebt.
Tiefer als Daten
Nun müssen wir aber zusätzlich einen Blick in die Wikipedia werfen. Dort erfahren wir, dass Mat Hennek, bevor er sich für die rein künstlerische Fotografie entschied, Werbefotos für Spitzenmarken wie Montblanc und auch Musiklabels wie die Deutsche Grammophon Gesellschaft anfertigte. In der Folge hat er sich einen Namen als Porträtfotograf gemacht. Und wen hat er porträtiert? Mit Vorliebe Solisten in der klassischen Musik, Dirigenten und Opernsänger.
Und wir erfahren, dass seine Bilder „Woodlands“ schon in verschiedenen Ausstellungen zu sehen waren. Hélène Grimaud hat einige dieser Ausstellungen musikalisch begleitet.
Nun wissen wir das und sind zufrieden. Aber auch ohne dieses Wissen könnten wir uns der Stille der 48 Fotos von den Wäldern aussetzen. Denn es gibt ein Verstehen, das tiefer reicht als alle Daten.
Mat Hennek, Woodlands, 96 Seiten, 48 Abbildungen, Steidl, Göttingen 2017, 65 Euro