Das geschah, obwohl das Portfolio, das sie bei ihrer Bewerbung vorlegte, verglichen mit dem von Morath eher bescheiden war. Aber auch das gehört zu den vielen bemerkenswerten Geschichten, die sich um Eve Arnold ranken.
Der Fotobetrieb
Sie wurde 1912 in Philadelphia, Pennsylvania, geboren. Ihre Familie trug den Namen Cohen und lebte in wirtschaftlich schwierigen Verhältnissen. Ein Jugendfreund schenkte ihr eine Rolleicord-Kamera, die preisgünstige Variante der Rolleiflex, und diese Kamera entzündete ihre Leidenschaft für Fotografie. Allerdings hatte sie ursprünglich ganz andere Pläne, als Fotografin zu werden: Eve Arnold begann ein Medizinstudium.
1946 stiess sie in der New York Times auf eine Annonce. Darin wurde ein Amateurfotograf gesucht. Diese Annonce sprach sie sehr an, und sie bewarb sich. Allerdings war der Job alles andere als attraktiv. Es handelte sich um eine Tätigkeit in einem für damalige Verhältnisse grossen Fotodruck- und Retuschierbetrieb. Statt Kreativität war technisches Können gefragt, aber sie konnte dort noch andere wichtige Fähigkeiten entwickeln: Management und der Umgang mit Menschen.
Sie stieg auf und machte in ihrer Freizeit weiterhin ihre Fotos. In diesen Jahren lernte sie ihren Mann, den Designer Arnold Arnold kennen. Er war ebenfalls jüdischer Abstammung, und seine Familie hatte vor den Nazis fliehen müssen. In England genoss er eine vorzügliche Ausbildung und muss überhaupt ein sehr kreativer Mensch gewesen sein. Jedenfalls ermutigte er Eve 1948, einen Kurs in der damals kreativsten Fotoklasse zu belegen, die an der New Yorker „New School for Social Research“ von Alexey Brodovitch geleitet wurde.
Kreativer Lehrer
Diese Klasse hatte es in sich. Aus ihr gingen berühmte Fotografen wie Richard Avedon und Irving Penn hervor, und Brodovitch war nicht nur ein vorzüglicher Lehrer, sondern selbst ein ausgewiesener Könner: Art Director bei Harper´s Bazaar. Seine Lehrmethode bezeichnete er selbst als sokratisch. Er stellte den Schülern Aufgaben, liess sie dann aber die Fotos gegenseitig beurteilen und kritisieren. Ganz am Anfang geriet Eve Arnold dabei ziemlich unter die Räder. Aber, so sagte sie später, an dem Nachmittag, an dem Ihre Fotos in Grund und Boden kritisiert worden sein, habe sie das Entscheidende für ihren weiteren Weg gelernt.
Brodovitch ermutigte sie, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das damals völlig unbeachtet war: schwarze Modeschauen in Harlem. Das stellte sie auch vor technische Herausforderungen. Sie musste mit dem vorhandenen Licht auskommen, weil sich der Einsatz von Blitzlicht nicht bewährte. Und sie musste es schaffen, als Weisse in diesem Milieu akzeptiert zu werden. Hierin liegen schon die Elemente ihrer ganzen weiteren Arbeit: die Fähigkeit, auch unter schwierigen Bedingungen zu fotografieren und menschliche Nähe zu den Fotografierten herzustellen.
Es waren eben diese Fotos, mit denen sie sich im Jahr 1951 bei Magnum bewarb. Die Agentur beauftragte sie mit Aufnahmen von Marlene Dietrich während ihrer Dreharbeiten. Diese Bilder waren so gelungen, dass sich eine andere junge Schauspielerin bei ihr meldete: Merilyn Monroe. Mehr als zehn Jahre sollte sie Marilyn von nun an begleiten und auch Bilder machen, die Einblick in ihr persönliches Unglück geben. Am berühmtesten ist das Foto, auf dem ihr damaliger Ehemann, der Schriftsteller Arthur Miller, ihr Tanzschritte für den Film Misfits beibringt – und die beiden können sich gegenseitig nicht mehr ertragen.
Fasziniert von Malcolm X
Auch Eve Arnolds persönliches Leben ist von Brüchen gekennzeichnet. Mit ihrem Mann erlebte sie zunächst zutiefst erfüllte und glückliche Jahre, und ihr Sohn Frank wurde geboren. Weil Arnold Arnold wollte, dass sein Sohn auf dieselbe Schule in London ging, die er als junger Emigrant ebenfalls besucht hatte, zog man dorthin. Aber schlagartig kam es zum Bruch. Eve hat sich nie offen darüber geäussert, aber hinter der Trennung von ihrem Mann steckte wohl eine langjährige Liaison seinerseits, aus der auch Kinder hervorgegangen sein sollen. Jedenfalls zog er wieder in die USA, wobei Eve und er noch über Jahre eine durchaus innige Verbindung aufrecht erhalten haben.
Eve Arnold war nicht nur regelmässig an Drehorten, sondern sie entwickelte sich auch mehr und mehr zu einer versierten Reportagefotografin. Herausragend sind ihre Bilder von Malcom X, dem grossen Gegenspieler von Martin Luther King. Malcolm X führte damals die radikale „Nation of Islam“ an, und Eve Arnold, die von ihm persönlich über ein rein professionelles Verhältnis hinaus fasziniert war, wurde von seinen Kollegen hin und wieder als eine Art weisse Schlampe abqualifiziert.
Magnum Legacy
Mit ihren Bildern von zahlreichen Reisen schaffte es Eve Arnold immer wieder auf die Titelseiten der damaligen grossen Reportage Magazine: Sunday Times, Newsweek und Life. Wenn sie nicht gerade unterwegs war, genoss sie ihr Leben in London mit ihrem grossen Bekannten- und Freundeskreis sowie den zahlreichen Pubs. Ihr Sohn Frank behielt auch während seines Studiums zu ihr engen Kontakt und diente ihr als „sounding board“ bei der Auswahl ihrer Bilder. Sie starb 2012 im Alter von 99 Jahren.
Die Magnum Foundation hat mit einer Serie von Büchern über herausragende Fotografen der Agentur Magnum begonnen. Das erste Buch ist Eve Arnold gewidmet und in diesem Jahr bei Prestel auf Englisch erschienen. Die Texte stammen von Janine di Giovanni. Sie hat das Leben von Eve Arnold gründlich recherchiert und es spannend und anschaulich erzählt. Unaufdringlich schildert sie eine Persönlichkeit, die ausserordentlich beeindruckend und faszinierend gewesen sein muss.
Die Bildauswahl gibt ebenfalls vorzügliche Einblicke in die Vielschichtigkeit des Werkes von Eve Arnold. Bisweilen blitzen Witz und Ironie auf, man erkennt ihren Sinn für Glamour, aber auch für die Schattenseiten des Lebens. Und erst in Verbindung mit dem Text erschliesst sich der tiefere Hintergrund des einen oder anderen Bildes, zum Beispiel von dem berühmten Bild einer Schwester, die von einem Neugeborenen Mass nimmt. Es stammt aus Serie „A Babys Momentous First Five Minutes“ von 1959. Mit diesem Foto Essay hat Eve Arnold die Trauer verarbeitet, die eine Fehlgeburt in ihr ausgelöst hat.
Nun darf man auf den zweiten Band der Serie „Magnum Legacy“ gespannt sein.
Janine di Giovanni, Eve Arnold: Magnum Legacy, Englisch, 192 Seiten, 68 farbige,114 s/w Abbildungen, Prestel, München, London, New York 2015