Die Zusammensetzung des neuen Bundesparlaments steht nach den zweiten Wahlgängen für den Ständerat fest. Europapolitisch interessant ist, dass die EU-freundlichen Kräfte im Ständerat gestärkt wurden, im Nationalrat dagegen geschwächt. Die Fortsetzung des bilateralen Wegs mit der EU dürfte damit nicht einfacher werden.
Die Beziehungen zur EU sind das wichtigste ungelöste aussenpolitische Problem der Schweiz. Dennoch war es im Vorfeld der Wahlen 2023 ins eidgenössische Parlament seltsam abwesend. Die Parteien vermieden das Sujet im Wahlkampf tunlichst. Die EU-feindliche SVP hatte mit dem Schreckgespenst einer unkontrollierte Migration und einer 10-Millionen-Schweiz ein zugkräftigeres Thema gefunden. Die anderen, tendenziell EU-freundlichen Parteien griffen die in der Bevölkerung kontrovers diskutierten Beziehungen zur EU aus Angst vor Wählerverlusten nicht auf. Sie wollten von der wählerstarken national-konservativen SVP nicht als Euroturbos gebrandmarkt werden können.
Nun sind die Wahlen vorbei und die Beziehungen zur EU kommen wieder aufs Tapet. Bereits hat der Bundesrat angekündigt, bis Ende Dezember ein Mandat für Verhandlungen mit der EU über ein weiteres Vertragspaket namens Bilaterale III zu verabschieden. Danach soll das Mandat im Januar den aussenpolitischen Kommissionen der eidgenössischen Räte, den Kantonen und den Sozialpartnern zur Vernehmlassung weitergeleitet werden. Das endgültige Mandat dürfte dann im Verlauf des Februars feststehen. In der Folge könnten im März die Verhandlungen mit der EU beginnen.
Spätestens mit der Vernehmlassung im Januar sind verbindliche europapolitische Stellungnahmen der Parteien gefragt. Dann wird sich zeigen, wie sich die neuen Kräfteverhältnisse in National- und Ständerat auf die vom Bundesrat angestrebte Fortsetzung des bilateralen Wegs mit der EU auswirken. Was ist dabei vom neuen Bundesparlament zu erwarten?
Ständerat: Keine Chance für die Isolationisten
Zunächst zum Ständerat. Dort gingen in der Deutschschweiz die zweiten Wahlgänge vom vergangenen Sonntag allesamt zugunsten von Kandidatinnen und Kandidaten aus, die für geregelte Beziehungen zur EU eintreten. Tiana Moser (GLP) gewann in Zürich, Franziska Roth (SP) in Solothurn, Simon Stocker (SP) in Schaffhausen und Marianne Binder (Mitte) im Aargau. Die SVP- und SVP-nahen Herausforderer, die für eine isolationistische Schweiz stehen, hatten keine Chance.
Damit sind in der kleinen Kammer die tendenziell EU-freundlichen Kräfte gestärkt worden. Zu diesen gehören die Vertreterinnen und Vertreter der Mitte (15 Sitze), der FDP (11), der SP (9), der Grünen (3) und der GLP (1). Diese verfügen damit über 39 von insgesamt 46 Sitzen im Ständerat – eigentlich eine solide Mehrheit. Allerdings gibt es in einigen dieser Parteien etliche Abweichler von der EU-freundlichen Linie – bei der SP etwa die Vertreter der Gewerkschaften. Auch reicht der Konsens in dieser Koalition nicht über die Fortsetzung des bilateralen Wegs mit der EU hinaus. Ein zweiter Anlauf zu einem EWR-Beitritt fände gegenwärtig nur wenige Anhänger. Und kaum jemand würde sich zum jetzigen Zeitpunkt für einen EU-Beitritt stark machen.
Das Lager der EU-feindlichen Kräfte ging dagegen geschwächt aus den Ständeratswahlen hervor. Die Vertreterinnen und Vertreter der SVP (6 Sitze) sowie des rechtspopulistischen Mouvement Citoyens Genevois (MCG; 1) können deshalb zumindest eine Fortsetzung des bilateralen Wegs mit der EU nicht verhindern. Dies auch dann nicht, wenn sich zu ihnen noch Abweichler aus den tendenziell EU-freundlichen Parteien gesellen.
Nationalrat: EU-Mehrheit könnte schnell kippen
Die Ergebnisse zumindest der zweiten Wahlgänge für den Ständerat korrigieren zum Teil den Rechtsrutsch, der sich im Nationalrat einstellte. Dort gewann die SVP 9 Sitze und kommt nun auf insgesamt 62 Mandate. Rechnet man noch die Vertreterinnen und Vertreter der EDU (2), des MCG (2) und der Lega (1) dazu, die sich der SVP-Fraktion anschliessen wollen, sind es sogar 67 Sitze. Das ist damit die mit Abstand grösste Gruppe im 200-köpfigen Nationalrat. Die SVP wehrt sich traditionell gegen jeglichen Ausbau der Beziehungen der Schweiz zur EU. Doch trotz ihrer Stärke kann sie auch in der grossen Kammer die Fortsetzung des bilateralen Wegs allein nicht blockieren.
Findet die SVP aber Partner im Nationalrat, könnte die Mehrheit zugunsten der EU schnell einmal kippen. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Asylpolitik – ein Dossier, das aufgrund der Dublin- und Schengen-Assoziierungsabkommen mit der EU ebenfalls europapolitischen Charakter hat. In diesem Bereich tritt aufgrund der verstärkten illegalen Migration nicht nur die SVP, sondern etwa auch die FDP (28 Mandate, -1) für Verschärfungen ein. Zusammen kommen die rechtsbürgerlichen Parteien auf 95 Sitze im Nationalrat. Zur Mehrheit fehlen damit noch 6 Stimmen. Und die lassen sich angesichts der Brisanz des Asyl- und Migrationsthemas etwa in der politischen Mitte leicht finden.
Einen starken Partner hat die SVP mit den Gewerkschaften auch in der Ablehnung der Personenfreizügigkeit mit der EU gefunden. Diese wehren sich vehement gegen eine Abschwächung des Lohnschutzes für Schweizer Arbeitnehmer. Zusammen könnten die beiden in einer Volksabstimmung die Fortsetzung des bilateralen Wegs torpedieren.
Für die EU-freundlichen Kräfte verliefen die Nationalratswahlen enttäuschend. Die GLP, die als einzige Partei vorbehaltlos für das gescheiterte institutionelle Rahmenabkommen mit der EU eingetreten war, verlor 6 Sitze und kommt jetzt noch auf 10 Mandate in der grossen Kammer. Die Grünen, die zusammen mit der Operation Libero eine Europa-Initiative lancieren wollen, büssten 5 Sitze ein und haben neu nur noch 23 Vertreterinnen und Vertreter im Nationalrat. Einen Mandatsverlust gab es auch für die EVP (-1 auf 2 Sitze). Verbessern konnten sich dagegen – allerdings nur leicht – die SP (+2 auf 41 Sitze) und die Mitte (+1 auf 29 Sitze).