Eine echte Wahl? Dies mag in manchen Ohren komisch oder zynisch klingen. Man könnte fragen, lasse die Islamische Republik überhaupt eine freie Wahl zu? Oder man könnte einwenden, diese zwei übriggebliebenen Kandidaten hätten doch keine Entscheidungsfreiheit, nach der Wahl das tun zu können, was sie versprechen. Nein, diese Freiheit werden sie nicht haben.
Man könnte auch sagen, die eigentliche Macht im Iran liege doch beim Revolutionsführer Khamenei, er sei ja der mächtigste Man des Landes und nicht der Präsident. Khamenei bestimme letztendlich, welchen Kurs das Land einschlage. Ganz richtig.
Weitere, hunderte Fragen und Einwände könnte man aufzählen, warum die iranische Präsidentenwahl keine Wahl nach westlichen, demokratischen Massstäben ist.
Schicksalswahl während der Krise
Trotzdem findet heute Freitag im Iran eine Schicksalswahl statt. Eine Wahl, die über die Zukunft, manche sagen sogar, über die Existenz des Landes entscheidet. Diese Feststellung scheint auf den ersten Blick übertrieben zu sein, doch näher betrachtet klingt sie realistisch.
Im Iran stehen zwei Kandidaten zur Wahl, die völlig verschiedene Wege vorschlagen, um das Land aus seiner innenpolitischen Krise zu führen. Und vor allem: Beide Kandidaten haben unterschiedliche Vorstellungen, wie man mit den iranischen Nachbarn umgehen soll. Der eine plädiert für Mässigung, der andere schlägt kriegerische Töne an.
Trotz Atomdeal: kein Aufschwung
Im Iran herrscht zurzeit eine schwierige Wirtschaftskrise: steigende Arbeitslosigkeit und zunehmende Armut sind überall zu beobachten. Präsident Rouhani hatte vor vier Jahren alles mit dem Atomprogramm verknüpft und versprochen, dass mit der Aufgabe des Atomprogramms die internationalen Sanktionen aufgehoben würden und ausländische Investoren ins Land kämen. Das Ende der Isolation brächte dann einen normalen Geschäftsverkehr mit dem Ausland. Diese Versprechungen haben sich aber nicht voll erfüllt, obwohl der Atomkonflikt gelöst wurde. Rouhanis gemässigte Politik zahlte sich in den Augen vieler Iraner nicht aus.
Er hatte zwar einiges erreicht, wie zum Beispiel die Eindämmung der horrenden Inflation, doch er konnte die Früchte seiner Atomdiplomatie nicht voll einbringen. Khamenei liess ihn gewähren und US-Präsident Trump wollte und will keine Annäherung. Die internationalen Banken fürchten amerikanische Strafen und meiden den iranischen Markt.
Kündigt sich ein heisser Krieg an?
Parallel zur Wirtschaftskrise im Innern braut sich auch eine auch gefährliche Situation jenseits der iranischen Grenze zusammen. Zufall, Termindiktat oder genaue Planung? Wie auch immer: Genau während der Präsidentenwahl im Iran weilt US-Präsident Trump in Saudi-Arabien. Und die Saudis haben diesen Besuch zu einem Gipfeltreffen der arabischen Welt gegen den Iran hochstilisiert.
Dazu hat der saudische König dutzende arabische Herrscher nach Riad eingeladen, um mit Trump über eine Strategie gegen den Iran zu beraten. Der kalte Krieg zwischen Iran und Saudi-Arabien kann sich leicht und schnell zu einem heissen Krieg entwickeln. An einem solchen haben nicht nur Waffenlieferanten der Welt ein Interesse, sondern auch viele Mächtige in der Region, Israel eingeschlossen. Doch Rouhani will trotz gebundenen Händen seine vorsichtige und gemässigte Diplomatie fortsetzen. Einen anderen Weg, gibt es nicht, um dem Abgrund zu entkommen. Sogar Revolutionsgardisten und Geheimdienstler sehen diesen Abgrund.
Zurück zu Zeiten Ahmadinedschads?
Rouhanis Gegner, Ibrahim Raissi, ist ein Hardliner, der innen- und aussenpolitisch das Rad zurückdrehen will in die Zeit von Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Fast alle wichtigen Leute in seinem Wahlkampfteam sassen in Ahmadinedschads Kabinett oder gehören zu seinen Vertrauten. Direktes Geldverteilen sollte wieder zum Normalfall werden. Raissi will nach eigenem Bekunden das Ölgeld den Bedürftigen verteilen. Das Land will er ähnlich verwalten wie jene religiöse, schwerreiche Reza-Stiftung, die er kontrolliert. Eine grassierende Inflation, wie unter Ahmadinedschad wäre zwar die Konsequenz einer solchen Politik, doch ein anderes Wirtschaftsprogramm hat Raissi nicht.
Dafür hat er eine Radikalität in der Aussenpolitik, die sehr beängstigend ist. Vor allem will er das militärische Engagement in Syrien und im Irak verstärken und Saudi-Arabien in der ganzen Region die Stirn bieten. Diese Politik bedeutet nicht weniger als einen heissen Krieg, den alle verlieren werden.
Ein gnadenloser Revolutionsrichter
Raissi war bisher hauptsächlich als Revolutionsrichter tätig, er liess hunderte, manche sagen tausende Gegner hinrichten, darunter viele Minderjährige. Viele nennen ihn „Ayatollah des Massenmords“. Deshalb ist es fraglich, ob Raissi als Präsident je den Iran verlassen könnte, denn es gibt bereits hochrangige Anwälte, die für diesen Fall notwendige Dokumente über den Revolutionsrichter den internationalen Gerichten vorlegen wollten.
Es stehen also zwei Mullahs zur Wahl, die aus dem inneren Machtzirkel kommen, und beide pflegen gute Kontakte zu den Geheimdiensten und Sicherheitskräften. Doch ihre Wege könnten nicht unterschiedlicher sein, wie man die Islamische Republik am besten bewahren und wie man sich in der Aussenpolitik benehmen sollte. Mehr Konflikte mit der Aussenwelt und mehr Druck im Inneren – das ist es, was man von einem Präsidenten Raissi zu erwarten hätte. Während man von Rouhani erhofft, dass er in seiner zweiten Amtszeit mutiger wird: im Inneren gegenüber Khameinei, und dass er mit einer gemässigten Politik noch mehr eine Normalisierung mit der Aussenwelt anstrebt.
Wahlbeteiligung ist entscheidend
Das will auch die Mehrheit der Bevölkerung. Ob Rouhani tatsächlich gewählt wird, hängt von der Wahlbeteiligung ab. Sie muss mindestens 70 Prozent hoch sein, nur so wird eine massive Wahlfälschung unmöglich.
Mit Rouhani wird keine neue Zeit anbrechen, aber man entfernt sich vom Abgrund. Was nach dieser Wahl kommt, wird sowohl für die Region als auch für den Westen entscheidend sein. Deshalb haben die Iranerinnen und Iraner eine echte Wahl.
Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal