Die Rettung der Welt 2008 zur Vermeidung einer gigantischen Finanzkrise war – unter Führung der US-Notenbank – eine viel gelobte, historische Massnahme der Zentralbanken. Durch die Senkung der kurzfristigen Zinsen auf fast 0 Prozent und durch den Aufkauf von Wertpapieren, finanziert mit frisch gedrucktem Geld, konnte eine Wiederholung der Grossen Depression von 1930 knapp vermieden werden.
Der Patient überlebte …
Die Flutung der Märkte mit Liquidität rettete die Weltwirtschaft tatsächlich vor einem globalen Desaster, unter dem auch wir sehr gelitten hätten. Doch die erwartete Genesung des Patienten verzögerte sich: die Geldschwemme hätte eine Inflation in Gang setzen müssen – diese blieb jedoch aus. Die Erklärung dafür liegt beim Verhalten der Banken, die einen Grossteil dieses Geldes nicht in Form von Krediten weiterleiteten, sondern diese Mittel zur Aufstockung ihres Eigenkapitals nutzten. Nicht zuletzt, weil die Eigenmittel dieser Banken viel zu klein waren im Vergleich zu ihren Bilanzen, mussten sie ja als Folge der neuen Bankenregulierungen erhöht werden. Zudem landete sehr viel des laufend frisch gedruckten Geldes auf den Aktienmärkten, da diese flexibler sind als die Kreditmärkte.
… doch die Nebenwirkungen sind gravierend
Damit stieg und steigen immer noch die Kurse von Wertpapieren, die Aktienmärkte sind längst in ungesunde Höhen geklettert. Da gleichzeitig bei den Zentralbanken keine Zinsen mehr bezahlt werden (die Schweizerische Nationalbank belastet ihre Kunden gar für Guthaben mit einem happigen Negativzins) suchen die grossen Konzerne (wie Versicherungen) für ihre flüssigen Mittel andere Wege, um Renditen zu erzielen. Sie kaufen in grossem Stil Liegenschaften – Geschäfts- und Wohnhäuser – sanieren diese auch dort, wo Privatbesitzer keinen Bedarf sehen – um ihr Geld loszuwerden. Was ist die Folge dieser vermeintlich so cleveren Ausweichmanöver? Aktien- und Liegenschaftenmärkte bewegen sich seit Jahren steil nach oben. Wenn sie dann irgendwann oben angekommen sind, werden die Blasen platzen. Dass sich dann auch die Renditeziele in Luft auflösen werden, darf vermutet werden.
Zu viel des Guten
Diese ungesunde Entwicklung, die Blasenbildung bei Aktien-, Obligationen- und Immobilienpreisen, beschäftigt Ökonomen je länger desto mehr. Es ist ja nicht ganz auszuschliessen, dass wir damit zur Ausgangslage der Immobilien- und Bankenkrise vor 10 Jahren zurückkehren. Damals krachten die Häuserpreise zusammen, der Hypothekenschuldner sass auf einer Hypothek, die höher war als der drastisch gesunkene Häuserpreis; und sie konnten die verlangten Rückzahlungen nie und nimmer finanzieren. So verloren sie alles, Erspartes und Wohnheim. Die Folgen dieses Desasters in den USA sind heute noch nicht ausgestanden.
Wenn heute in der Schweiz immer mehr Kreise den warnenden Finger erheben und prognostizieren, dass in unserem extrem hoch verschuldeten Land diese Blasen-Entwicklung zu einem Immobilien-Crash führen könnte, beziehen sie sich also auf Erfahrungsszenarien, die kaum mehr als zehn Jahre zurückliegen. Damit würden sich die Spätfolgen der globalen Rettungsaktion als Bumerang erweisen – als zu viel des Guten.
Ein Ende mit Schrecken
Wenn der Volksmund meint: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“, so liegt er nicht ganz falsch. Bereits mehren sich die Warnrufe kompetenter Insider, dass die Leitzinsen der Zentralbanken längst angehoben, die Flutung der Märkte durch das Geld aus den Druckmaschinen gestoppt werden müssten. Es ist zu offensichtlich, dass heute nicht nur die Nebenwirkungen der „Unter-Null-Zinspolitik“, sondern auch der Liquiditäts-Ozean falsche Anreize zuhauf produzieren. Erstere sehen wir tagtäglich in unserem Umfeld, letztere haben zur Folge, dass die grossen Schuldnerländer der EU (Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, Griechenland) die überfälligen internen staatlichen Systemreformen viel zu zögerlich, wenn überhaupt, anpacken – der tiefe Zins für ihre Milliardenschulden verleitet zur Passivität.
Die Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB)
Seit Monaten werden Zinspolitik und Anleihekäufe der EZB hart kritisiert. Tatsächlich fällt es schwer zu verstehen, dass – obwohl die US-Zentralbank (Fed) mit dem Abbau der angehäuften Anleihenbestände begonnen hat – die EZB die Gelegenheit nicht beim Schopf packt, parallel dazu auf eine Normalisierung ihrer Geldpolitik einzuschwenken. Statt sich weiterhin an ihre extrem expansive Geldpolitik zu klammern und dazu erst noch Monate im Voraus zu verkünden, daran würde sich bis September 2018 nichts ändern. So kauft sie weiterhin für 60 Milliarden Euro monatlich Wertpapiere.
Aufgrund der immer grösseren negativen Nebenwirkungen der massiven Anleihenkäufe haben bereits diesen Sommer deutsche Verfassungsrichter die Frage gestellt, ob dieses Programm nicht gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstosse und deshalb das Mandat der EZB sprengen würde. Mit anderen Worten: Dieses kritisierte Wertpapierprogramm (APP) der EZB ermöglicht den Staaten, sich viel zu billig verschulden zu können. Wenn die seinerzeitige Begründungsformel für solche Ausnahmemassnahmen glaubwürdig nachwirken sollte, müsste jetzt entsprechend gehandelt werden. Die Ausnahmesituation ist vorbei. Wenn einzelne Staaten auch nach Jahren dieser Verwöhnungskur nicht in der Lage sind, die höheren Zinsen für ihre Staatsschulden zu begleichen, soll dafür nicht das übrige Europa in Geiselhaft genommen werden.
Wie weiter?
Zugegebenermassen ist die Rolle der Zentralbanken zurzeit nicht einfach. Dazu, wie sich aus dieser heiklen Lage Richtung Normalisierung herauszuwinden sei, gibt es wohl mehr Expertenratschläge als unbedingt nötig. Beachtenswert ist jedoch der Hinweis an die bösen Erinnerungen von 1930, als die Inflation – zufolge ähnlicher Verhältnisse – anschliessend stark zunahm, mit allen desaströsen Folgen. Diese Geschichte darf sich nicht wiederholen.
Wir alle sind konkret betroffen. Auf Erspartes keinen Zins zu erhalten, ist ein Frust und verleitet zu falschen Reaktionen. Deshalb betrachten wir die Schweizerische Nationalbank mit Argusaugen. Sie ist natürlich in einer Zwangslage, da sie in der kleinen Schweiz keine Möglichkeit mehr hat, unabhängig zu entscheiden. Ihr gegenwärtiger Zins von -0,75% war denn auch berechtigt, ebenso der Aufkauf von Wertpapieren in ausländischer Währung. Doch inzwischen tendiert der Schweizer-Franken schwächer und diese seit Jahrhunderten noch nie dagewesene Ausnahmesituation könnte somit ein Ende finden.
Die Schweiz, Europa und der Rest der Welt warten ungeduldig auf eine Normalisierung der Geldpolitik.