Die Saudis spielten so unglaublich schlecht, dass man sich fragte, wie sie sich überhaupt hatten qualifizieren können. In 90 Minuten zwei Mal vor dem russischen Tor – das war es. Bedenkt man, dass die unersättliche FIFA unter ihrem neuen Präsidenten den Teilnehmerkreis künftiger WMs doch tatsächlich von 32 auf 48 Mannschaften erhöhen will, kommt einem das Gähnen. Reihenweise Drittliga-Niveau bei einer Fussballweltmeisterschaft – nur, damit noch mehr Geld in die Kassen des von Korruptionsaffären gebeutelten Weltverbands mit Sitz in Zürich fliesst und das ganze Spektakel noch länger dauert als ohnehin schon.
Stanislaw Tschertschessow, Trainer der russischen Sbornaja, die im vergangenen Jahr kein einziges Testspiel gewinnen konnte, schaute vor dem Anpfiff im 80’000 Zuschauer fassenden Luschniki-Stadion zu Moskau so grimmig, angespannt, ja verängstigt in die Kameras, als drohe ihm bei einer schlechten Vorstellung seiner gastgebenden Mannschaft die Deportation nach Sibirien. Er darf also erst mal durchatmen.
Präsident Putin, der auf einer gespenstisch leergeräumten Ehrentribüne, nur durch FIFA-Präsident Infantino getrennt, gemeinsam mit dem saudischen Erbprinzen Platz genommen hatte, muss mit dem Strafgericht gegen den Nationaltrainer also noch ein wenig warten. Warten musste er auch auf Staats- oder Regierungschefs aus dem Westen. Kein einziger war gekommen, nur grosse Freunde der Demokratie wie die Präsidenten aus Weissrussland und Aserbaidschan gaben sich die Ehre. Und auch der abgehalfterte deutsche Altkanzler Schröder sass breit in seinem Sessel, wie es sich für ein Aufsichtsratsmitglied von Gazprom gehört.
„Russland ist ein offenes und gastfreundliches Land“, betonte Putin in seiner kurzen, mit viel Pathos gespickten Ansprache. Sein politischer Gegner und Oppositionsführer Alexei Nawalny, den er vor 30 Tagen hatte einbuchten lassen wie rund 1600 andere Demonstranten, war erst am Morgen der WM-Eröffnung wieder freigekommen. Der ARD-Journalist Hajo Seppelt, der mit seinen Dokumentarfilmen in den letzten Jahren das russische Staatsdoping in Leichtathletik und Wintersport enthüllt hatte, musste wenige Tage vor der Eröffnung auf eine Einreise nach Russland verzichten. Die deutschen Geheimdienste hatten klare Hinweise darauf, dass seine Sicherheit nicht gewährleistet ist und rieten ihm dringend, zu Hause zu bleiben.
Putin, der den Sport generell und jetzt eben den Fussball konsequent für seine Machtpolitik und zur Verherrlichung der Grösse Russlands einsetzt, hat nach den 37 Milliarden Dollar für die Winterspiele 2014 in Sotschi für diese Fussball-WM erneut geklotzt: 12 Stadien in elf Städten wurden weitgehend neu gebaut. Dabei ist die Auswahl der Austragungsorte – in mehreren gibt es nicht mal einen örtlichen Fussballverein, der in den zwei ersten Ligen spielen würde – geopolitisch höchst symbolisch: von Sankt Petersburg bis Sotschi, von Kaliningrad bis Jekaterinburg im Ural, dazwischen Wolgograd, das ehemalige Stalingrad.
Vor allem das funklenagelneue Stadion in der russischen Enklave Kaliningrad, der Geburtsstadt von Emmanuel Kant, mit Grenzen zu Polen und Litauen – sozusagen Putins Auge und Vorposten in der EU – spricht Bände. Und dass die ägyptische Nationalmannschaft ihr Quartier ausgerechnet im tschetschenischen Grosny aufgeschlagen hat und der ägyptische Superstar Mohammed Salah sich mit dem dortigen, von Putin geförderten Diktator Kadyrow ablichten liess, passt ebenfalls in dieses Bild.
Zusammen mit den Ausbauten für Infrastruktur, die durchweg von Putin nahestehenden Oligarchen ausgeführt wurden, hat man 11 Milliarden Euro investiert – die teuerste WM, die es je gab. Rund eine Milliarde, so heisst es, ist jetzt schon im Korruptionssumpf versunken. Der monatliche Durchschnittslohn in Russland beträgt 257 Euro.
Doch Präsident Putin hat bekommen, was er will. Über eine Milliarde Menschen in der Welt werden vier Wochen lang auf sein Land schauen, der Rubel wird rollen und die Sicherheitskräfte werden dafür sorgen, dass die Kameras aus aller Welt möglichst wenig von den Missständen im Land einfangen und jede Demonstration gegen sein autokratisches Regime im Keim erstickt wird. Und wahrscheinlich werden sie auch dafür sorgen, dass Russlands hässliche Hooligans ausgeschaltet werden. Und wenn nicht, dann ist da ja immer noch die FIFA, die die Macht über sämtliche Bilder aus den Stadien hat und dafür sorgen kann, dass ihre Kameras nur die freudigen Bilder einfangen. In sämtlichen Austragungsorten dieser WM gilt zudem vier Wochen lang ein Versammlungsverbot.
Die mindestens eine Milliarde Fersehzuschauer in aller Welt mussten zum gestrigen WM-Auftakt aber erst mal eine grell-kitschige Eröffnungsfeier über sich ergehen lassen, bei der rund 800 Akteure um das goldene Kalb, einen stilisierten Fussball herumtanzten. Man hatte die Operndiva Aida Garifullina eingekauft, die sich auf einem lächerlichen Feuervogel sitzend ins Stadion tragen liess und Weltstar Robbie Williams, der drei seiner Hits zum Besten gab und seinen Auftritt damit beendete, dass er der Milliarde Fernsehzuschauer am Ende den Stinkefinger zeigte.
Welch peinlicher Auftakt einer Fussball-Weltmeisterschaft. Da hilft es wenig, wenn William hinterher erklären liess, dieser ausgestreckte Mittelfinger sollte seinen Kritikern in England gelten. Die hatten sich empört darüber gezeigt, dass er sich für diese Veranstaltung hat einkaufen lassen. Während gleichzeitig wegen der mysteriösen Giftanschläge in Grossbritannien auf Russen, die den Machthabern im Kreml missfallen, kein einziges Mitglied der britischen Regierung zu dieser Weltmeisterschaft reisen wird.