Die deutsche Sprache erlaubt es, mit Substantiven kühne Konvois zu bilden. Diese Eigenschaft erklärte Urs Meier in der "Sprach-Akrobatik" vom vergangenen 10. Januar anschaulich, u. a. mit dem Verweis aufs Prachtsexemplar "Wegrechtserwirkungsklageeinreichungsformular". Der Amtsschimmel legt immer wieder wahre Kunststücke hin. Ihr Lacherfolg ist allerdings grösser als der Beitrag zur Verständlichkeit.
Schafft es nur das Walisische, rekordlange Ortsnamen wie "Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch" zu bilden, so gelingen im Deutschen exklusiv Substantivkompositionswettbewerbe. Dem Sieg nahe dürfte die "Riesenradbewegungsrichtungswechselschalterstellenverbindung" sein. In seinem Aufsatz "The Awful German Language" nennt Mark Twain diese Ungetüme "Gebirgszüge", die "man nur aus der Ferne" ganz sehen könne.
Mit der Koppelungsvirtuosität bringt es die deutsche Sprache überdies ohne Arg und Zweifel fertig, uns in Kannibalen zu verwandeln.
"Kalbsbratwürste" enthalten Kalbfleisch und "Speckseiten" Schweiniges. Nach dieser Logik bestehen "Bauernwürste" aus Landwirten, "Schützenwürste" aus Schützen und Süsswaren mit "Türkenhonig" aus Türken. Zu den Grauslichkeiten gehören auch "Magenbrot", "Geheimratskäse" und "Kindermilch". Wir essen schauderhafterweise Schwarze in der Form von "Mohrenköpfen", wickeln ein längst verstorbenes Genie als "Mozartkugel" genüsslich aus der Goldfolie, verpflegen uns aus dem Rucksack mit einem "Landjäger" und beenden das kannibalische Picknick mit einem "Meitschibei", sofern wir den Verzehr von Artgenossen nicht mit einer "Bundesrat-Schaffner-Torte" krönen wollen.
Im Alltag stört uns die sprachliche Mehrdeutigkeit der Hauptwörterpanoramen nicht. Wir erkennen mit sicherem Gespür das sachliche Richtige, weil wir spätestens seit Christian Morgenstern wissen, dass "nicht sein kann, was nicht sein darf" - "messerscharf". Unser Substantivkompositionsinterpretationsleistungsvermögen lässt uns nicht im Stich.
Aber was genau ist ein "Soldatengericht", was ein "Bauernauflauf"?