Wenn der Dalai Lama im April 2013 die Schweiz besucht, wird ihn kein Bundesrat empfangen. Das haben wir doch schon öfters erlebt, mit ähnlichem Szenario: Anlässlich seiner relativ häufigen Besuchen als Oberhirte der Tibetschweizer erfolgt jeweils eine Anfrage für ein Treffen auf politischer Ebene. Nicht immer, aber immer öfter kommt dann eine etwas halbbatzige Antwort aus dem Bundeshaus: Kein Regierungsmitglied, aber dafür, wie diesmal mit der Nationalratspräsidentin in unserem Regierungs- und Parlamentspalast, immerhin ein Treffen mit einer politischen Persönlichkeit.
Verunsicherte Führung in Beijing
Diese Gratwanderung ist nicht heroisch aber wohl ebenso typisch wie einsehbar. Die schweizerische Aussenpolitik ist traditionell primär Aussenwirtschaftspolitik. Zudem stehen heikle Verhandlungen an mit Beijing über ein bilaterales Freihandelsabkommen. Zu kritisieren ist hier primär die offizielle Haltung Chinas.
Mit harten und oft sachfremden Attacken gegen einzelne Länder zeigt Beijing jeweils, bewusst und unbewusst, wie unsicher die politische Führung dort auf jede Regung von Pluralismus reagiert. Dies geschieht nicht nur, wenn andere Länder den Dalai Lama empfangen. Nach der Verleihung des Friedensnobelpreises 2011 an einen chinesischen Dissidenten, versenkte Beijing seine gesamten bilateralen Beziehungen mit Norwegen für eine Weile in den Tiefkühler. So wurde damals auch die norwegische Fischereiministerin (!) unsanft ausgeladen.
Der Ministerhut und das Gebetskäppi
Eine solche Trübung des bilateralen Verhätnisses kann sich die Mongolei, im Gegensatz zum europäischen Rohstoffproduzenten Norwegen, schlicht nicht leisten. Das riesige (dreimal Frankreich), aber bevölkerungsarme (drei Millionen Einwohner) Binnenland ist wirtschaftlich völlig abhängig von seinen zwei übermächtigen Nachbarn Russland und vor allem China. Die Hauptexporte Kohle und Kupfer und bald schon Erdgas gehen nach China oder werden zumindest durch China transportiert. Russland produziert, im Gegensatz zu China, von allen diesen Rohstoffen Überschüsse und ist damit keine Alternative zum chinesischen Abnehmer.
Wie das benachbarte Tibet ist die Mongolei ein Kernland der Buddismus. Dessen höchster Würdenträger hienieden ist auch für die Mongolen der Dalai Lama. Angesichts der chinesischen Empfindlichkeit kann der Dalai Lama von Mitgliedern der mongolischen Regierung anlässlich seiner häufigen Besuche im Land offiziell nicht empfangen werden. Inoffiziell aber schon. Die Minister wechseln dabei, buchstäblich, ihren Hut. Das offizielle Amt wird ab- und das Gebetskäppi, für eine religiöse Feier mit anschliessenden Gesprächen, aufgesetzt.
Förderung der Elite
Dies erzählt mir ein alter Freund und Botschafterkollege, nennen wir ihn Tambadorj, den ich im Rahmen einer kürzlichen Studienreise ins Reich von Dschingis Khan besuche. T., hoher Beamter im Aussenministerium und seine Freunde in Ulaan Baator, der wild wachsenden Hauptstadt der Mongolei, erzählen noch weitere solche David-Goliath Geschichten, so etwa im Umgang des Mutterlandes mit den viel zahlreicheren Mongolen, welche die benachbarte chinesischen Provinz ‚Inner Mongolia‘ bewohnen.
Von Pragmatismus geprägt ist auch das Verhältnis der offiziellen Mongolei mit den Buryaten, Kalmücken und anderen mongolischen Minderheiten in der russischen Föederation. Ein willkommenes Erbe der erst kürzlich abgeschüttelten russischen Oberherrschaft (die Mongolei war zwar nicht de iure, aber de facto bis 1990 Teil der UdSSR) ist indes der hohe Stellenwert, welcher Ausbildung und Erziehung zugemessen wird. Damit verfügt die Mongolei im Vergleich mit anderen Schwellenländern über eine grösserer Elite, die die nationalen Interessen in den komplexen Verhandlungen mit den weltgrössten Rohstoff- und Bergbaufirmen kompetent vertreten kann.
Der Beitrag der Schweiz
Ob sie das auch wollen und tun, ist eine zweite Frage. Der ‚resource curse‘ - völlige Abhängigkeit von Rohstoffen, Ausbeutung durch, und grosse Bereicherung von Wenigen, korrupter Staat - lastet auf nicht wenigen rohstoffreichen Schwellenländern. Die Mongolei, im Gegensatz zu anderen zentralasiatischen Staaten, hat diesen Fluch bislang vermieden; er bildet aber eine ständige potentielle Bedrohung. Wirksamstes Gegenmittel ist eine funktionierende Demokratie im Sinne eines Gleichgewichtes der drei zentralen Elemente aller nachhaltiger Staateswesen: staatliche Autorität, Rechtstaat, repräsentative Regierung und Parlament.
Auch dies scheint in der Mongolei relativ gut zu funktionieren, im hier noch schärferen Gegensatz zu den Stan-Staaten. Zumindest haben bereits wiederholt Parlamentswahlen mit Regierungswechseln, und doch ruhig stattgefunden.
An das Funktionieren der jungen mongolischen Demokratie leistet auch die offizielle Schweiz einen kleinen Beitrag. Unserer Vertretung dort, geführt von einem Generalkonsul, hat über Jahre ein geschickt strukturiertes Programm von technischer Zusammenarbeit in den Bereichen Föderalismus und Berglandwirtschaft zusammengestellt.
Vorbild Mongolei
Überraschend ist aber nicht diese, sondern eine viel weiter zurückreichende Parallele zwischen der Schweiz und der Mongolei. Beim Besuch des kleinen aber feinen Nationalmuseums in Ulaan Baator wird mir klar, was unser und ihr Nationalheld gemeinsam hatten. Ungefähr zur selben Zeit als Wilhelm Tell und die alten Eidgenossen die Habsburger von Westen her in Bedrägnis brachten, stiessen die Reiterhorden von Dschingis Khan von Osten her bis nach Österreich und die Adria vor. Sein Tod und der bald darauf folgende Untergang seiner Dynastie ist insofern das mongolische Marignano, als nach einer kurzen Grossmachtperiode Rückzug und –besinnung auf die Stammlande stattfanden.
Seither haben Geschichte und Geographie zu ganz verschiedenen Entwicklungen geführt. Von der gleichzeitig würdigen und geschickten Art wie der Dalai Lama in der Mongolei empfangen wird, könnten wir in der Schweiz indes durchaus noch lernen.