Entgegen der bisherigen strikten Ablehnung weist die israelische Regierung den Vorschlag nicht umgehend zurück, sondern bemüht sich, eine positive Zurückhaltung zu signalisieren. In der Knesset fordern selbst Parteien der politischen Rechten Regierungschef Netanyahu auf, alle Chancen ernsthaft zu prüfen. Dass sich heftige Widerstände in der religiösen und nationalistischen (Siedler-)Szene regen, versteht sich von selbst.
Zur Chronologie
Nach den drei Neins der arabischen Gipfelkonferenz Anfang September 1967 in Khartum („keine Verhandlungen mit Israel, keine Anerkennung Israels, keine Versöhnung (‚Sulh’) mit Israel“) deutete sich auf der Gipfelkonferenz 1982 in Fez gemäß dem Vorschlag des saudischen Königs Fahd ein erstes Umdenken an: Das Recht aller Staaten der Region, in Frieden zu leben, wurde stipuliert.
Die Arabische Friedensinitiative (API) wurde auf der arabischen Gipfelkonferenz am 27./28. März 2002 in Beirut von allen 22 Staaten auf saudiarabischen Druck hin – aber bei Abwesenheit von PLO-Chef Yasser Arafat – verabschiedet sowie am 28. Mai 2003 auf der Gipfelkonferenz der 57 islamischen Staaten in Teheran bestätigt. Zum Forderungskatalog eines israelischen Rückzugs gehörten die Westbank, der Gazastreifen, Ost-Jerusalem, die Golanhöhen sowie der Landstrich im libanesischen Süden („Sheba-Farmen“).
API und Road Map
Die internationale Friedenskonferenz in Madrid Ende Oktober/Anfang November 1991 bekräftigte die „Land für Frieden“-Formel der Uno-Sicherheitsratsresolution 242 vom November 1967. Im Juni 1996 folgte auf der außerordentlichen Gipfelkonferenz in Kairo der Aufruf zu einem „umfassenden Frieden im Nahen Osten als eine strategische Option der arabischen Staaten“.
Im März 2002 bekräftigte die Resolution 1397 des Uno-Sicherheitsrates „eine Vision einer Region, wo zwei Staaten, Israel und Palästina, Seite an Seite in sicheren und anerkannten Grenzen leben”. Im Frühjahr 2003 bezeichnete das Nahost-Quartett die Arabische Friedensinitiative (API) in seiner „Road Map“ als „Parameter for the endgame“. 2008 schaltete die Palästinensische Autonomiebehörde in israelischen Zeitungen eine Anzeige, in der sie sich zur API bekannte.
Keine Einwände von Hamas?
Im März 2012 – parallel zu den damals noch als „arabischer Frühling“ bezeichneten Umbrüchen in Tunesien, Ägypten, Jemen, Libyen und Syrien – bestätigte die arabische Gipfelkonferenz in Bagdad den Frieden in der Region erneut als strategische Option. Trotz ihrer Bedenken wird erwartet, dass die in Gaza herrschende islamistische Hamas keine Einwände erhebt, wenn die API den Weg zum umfassenden Frieden mit Israel ebnet.
Die Initiative erhebt sie den Anspruch, schrittweise die Türen zum umfassenden Frieden in der Region öffnen zu wollen. Inzwischen hat die Friedensinitiative ihren Vorschlag um die Passage des Gebietsaustauschs zwischen Israel und einem Staat Palästina ergänzt – wobei die israelische Forderung nach Annexion der drei Siedlungsblöcke Gush Etzion, Jerusalem-Maale Adumim und Ariel eine Aussage zum verfassungspolitischen Status der dort lebenden Palästinenser und ihren Wohnorten vermeidet.
Abwägungen und Einschätzungen
Die Arabische Friedensinitiative versteht sich weder als Ersatz für bilaterale Verhandlungen arabischer Staaten und Partner mit Israel, insbesondere Syriens, Libanons und der Palästinensischen Autonomiebehörde, noch verwirft sie die Friedensverträge Ägyptens (1978) und Jordaniens (1994) mit Israel. Auch zu den nach Ausbruch der zweiten Intifada zurückgezogenen Vertretungen Qatars, der Golfemirate, Marokkos und Mauretaniens in Tel Aviv nimmt sie keine Stellung.
Unter den Mitgliedern der Arabischen Liga lassen sich drei Positionierungen unterscheiden – a) jene, welche die Normalisierung der Beziehungen an den nachweislichen Erfolg eines israelisch-palästinensischen Vertrags bindet; b) jene, welche für die Normalisierung die vorherige Unterschrift unter den Vertrag voraussetzt, und c) jene, die in dieser Angelegenheit keine eindeutige Position bezieht.
Individuelles Rückkehrrecht für Palästinenser
Entgegen den Fehlinterpretationen hat die Uno-Resolution 194 vom Dezember 1948 den palästinensischen Flüchtlingen von 1947/48 nicht ein kollektives Recht auf Rückkehr an ihre Wohnorte im neuen Staat Israel eingeräumt. Zum einen waren die arabischen Staaten darauf bedacht, dass der Text die Bezeichnung „Israel“ vermeide, weil sie erwarteten, dass der bevorstehende zweite Waffengang die Gründung Israels revidieren würde (derselbe Grund veranlasste sie, der Uno-Flüchtlingsbehörde in Palästina im Dezember 1949 politische Kompetenzen vorzuenthalten).
Zum zweiten konstituierte die Resolution 194 ein individuelles Rückkehrrecht, indem sie in Ziff. 11 die Rückkehr an die Voraussetzung knüpfte, dass die Flüchtlinge „in Frieden mit ihren Nachbarn“ zu leben bereit seien. Diejenigen, die von ihrem individuellen Rückkehrrecht keinen Gebrauch machen würden, sollten auf der Grundlage der Vorkehrungen des internationalen Rechts materiell entschädigt werden. die „Genfer Initiative“ vom Dezember 2003 hat in die gleiche Richtung argumentiert.
Palästinenser im Libanon
Aus heutiger Sicht wäre die Rückkehr von Flüchtlingen an die Bereitschaft gebunden, die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Für den zum rechtsnationalen Block in Israel zählenden ehemaligen Verteidigungs- und Außenminister Moshe Arens, so jetzt noch einmal in der Tageszeitung „Haaretz“, hat sich der Schrecken eines demographischen Desasters erledigt, wenn aus der israelischen Annexion der palästinensischen Gebiete ein binationaler Staat entstehen sollte .
Die API schlägt vor, dass die Wahrnehmung des Rückkehrrechts eine souveräne israelisch-palästinensische Verständigung voraussetzt und dass für jene Flüchtlinge, die nicht nach Israel zurückkehren, die „besonderen Umstände der arabischen Staaten“ zu berücksichtigen seien. Dieser Passus zielte auf die rund 400.000 bis 450.000 palästinensischen Flüchtlinge im Libanon, deren staatsbürgerliche und soziale Integration die ethnisch-religiöse Balance nachdrücklich verschieben würde (die letzte Volkszählung im Libanon ergab eine christliche Mehrheit, gefolgt von den sunnitischen, den schiitischen und den drusischen Bevölkerungsteilen). Auch zum Thema „Flüchtlinge im Libanon“ liegen von Seiten der „Genfer Initiative“ Vorschläge auf dem Tisch.
Vorschläge zu Jerusalem
Zu Jerusalem vertritt die API die Auffassung, dass – ohne die Stadt durch Mauern oder sonstige Absperrungen zu zerreissen – der östliche Teil im Zuge des Friedensvertrages zur Hauptstadt Palästinas wird, wobei die dortigen jüdischen Wohnorte aufgelöst werden müssten (es sei denn, die dort lebenden Juden würden die palästinensische Staatsbürgerschaft annehmen).
Was die aus dem heutigen Westteil Jerusalems stammenden und heute in Ostteil lebenden palästinensischen Flüchtlinge angeht, müssen Kompensationsregelungen gefunden werden. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist bereit, die Rechte der im „Heiligen Bassin“ (Altstadt, Ölberg, Zionsberg, Garten Gethsemane) lebenden jüdischen Israelis zu respektieren.
Fazit
Als Ergebnis der Arabischen Friedensinitiative und ihrer Weiterungen lässt sich festhalten, dass die israelisch-palästinensischen Verhandlungen mit dem Ziel einer Zweistaatenregelung von den ideologischen Fixierungen entkleidet werden müssen. Für die internationale Diplomatie haben sich die Methoden und Instrumente des Krisenmanagements verbraucht.
Realiter hat die arabische Welt den Staat Israel nolens volens längst anerkannt, und zu erwarten ist, dass der Etablierung des souveränen Staates Palästina die Anerkennung Israels auch de jure folgen wird. Zu den Blockaden einer Zweistaatenregelung gehört vornehmlich das Interesse der israelischen Politik, Israel als „jüdischen“ Staat im Vollverständnis von Bibel und Archäologie zu etablieren, während der politische Islam Palästina als Teil des islamischen Stiftungslandes („Waqf“) behaupten will und die palästinensische Seite auf die Anerkennung ihrer historischen Verankerung im Lande dringt.
Je länger die nationale Ebenbürtigkeit beider Völker ausbleibt, desto stärker werden sich die ideologischen Komponenten in den Vordergrund zu drängen suchen. Die schweren Zusammenstöße am palästinensischen „Nakba-Tag“ des 15. Mai lassen nichts Gutes erahnen.