Seit vielen, vielen Jahren hat es lange Schlangen vor der US-Interessensvertretung in Havanna. Tausende Kubaner warten auf ein Einreisevisum in die USA. Ihre Ausreise aus Kuba ist nicht ihr Problem. War es noch nie, denn frei reisen durften sie schon immer. Im Prinzip.
Die Hürden
Seit der grossartigen Alphabetisierungskampagne Anfang der Sechzigerjahre verfügt Kuba bis heute über ein exzellentes Ausbildungssystem, gratis und franko. Das Ergebnis nennt die castristische Regierung nicht ganz zu Unrecht «von der Revolution geschaffenes Humankapital».
Es ist einerseits menschlich verständlich, dass ein von der Revolution umsonst ausgebildeter Arzt, der monatlich auf Kuba vielleicht 30 Franken verdient, der Versuchung nicht widerstehen kann, im Ausland einiges mehr zu verdienen. Es ist andererseits wirtschaftlich verständlich, dass die kubanische Regierung einen Massenexodus von hochqualifizierten Arbeitern verhindern will. Deshalb gab und gibt es Restriktionen bei der Ausreise. Aber das ist gar nicht das Problem.
Wohin und womit?
Wer ausreisen will, muss auch einreisen können. Und dafür brauchen Kubaner schon immer in den meisten Ländern ein Einreisevisum. Diese Hürde ist natürlich durch die Abschaffung einiger aufwendiger und kostenintensiver Ausreiseformalitäten um keinen Millimeter niedriger geworden. Dann ist Kuba bekanntlich eine Insel. Von der kommt man überraschenderweise nur per Schiff oder Flugzeug weg. Alleine für die Passage muss da ein Kubaner mit 30 Franken Monatslohn ziemlich lange sparen.
Immerhin hat die Regierung in ihrer fürsorglichen Güte 200 neue Passbüros eröffnet, vor denen sich ebenfalls lange Schlangen bilden. Denn es geht ja auch um Symbolik; nach zwei Wochen einen Pass in der Hand zu haben, ist auch schon was.
Zum Beispiel die Schweiz
Schon immer und auch weiterhin ist es möglich, einer Ferienbekanntschaft aus Kuba die Schönheit der Schweizer Alpen zu zeigen. Der Schweizer (oder die Schweizerin) füllt die entsprechenden Formulare aus, übernimmt die Garantie für Passage, Aufenthalt, Krankenversicherung und, nicht unwichtig, die ordnungsgemässe Ausreise des Kubaners nach maximal drei Monaten. Damit holt sich dann der karibische Tourist das Visum auf der Schweizer Botschaft in Havanna ab.
Neu kann der Kubaner natürlich auch, mit seinem Pass bewaffnet, selbst den Antrag für ein Touristenvisum stellen. Allerdings muss er dann das Vorhandensein der nötigen Ressourcen nachweisen. Da machen ihm die billigeren Ausreisebestimmungen das Leben auch nicht wirklich leichter. Draussen sein kostet weiterhin.
Was aber beibehalten wird, ist die kubanische Spezialität, dass ein Insulaner, der mal Luft ausserhalb von Kuba schnuppern möchte, für dieses Privileg monatlich eine Gebühr an seinen Staat entrichten muss. Die fällt bei den mit einer Auslandsreise verbundenen Gesamtkosten sehr moderat aus. Zudem musste bislang jeder Kubaner, von wenigen Ausnahmen abgesehen, spätestens nach 11 Monaten wieder in den Schoss der letzten Insel des Sozialismus zurückkehren, um sich eine allenfalls eine neue Ausreisebewilligung zu erkämpfen. Neu muss er das nur alle 24 Monate tun, und eine eigentliche Ausreisebewilligung braucht es auch nicht mehr.
Tricks und Kniffe
Natürlich, schliesslich sind Kubaner im mehr als fünfzig Jahre andauernden Kampf gegen die sozialistische Staatsbürokratie gestählt, gibt es auch diverse Möglichkeiten für eine illegale Ausreise. Oder der Umnutzung einer dreimonatigen touristischen Stippvisite in einen definitiven Aufenthalt im Ausland. Dem stand früher entgegen, dass in diesem Fall alle irdischen Besitztümer auf Kuba verstaatlicht wurden. Natürlich wurde da in der Vorbereitung alles, was nicht niet- und nagelfest war, verkauft.
Bei Immobilien, meistens das wertvollste Gut eines Kubaners, war das aber nicht möglich. Inzwischen ist jedoch der Hausverkauf ebenfalls freigegeben worden. Obwohl es Gerüchte gibt, dass diese neue Freizügigkeit demnächst wieder eingeschränkt wird, verschaffen sich so viele Kubaner ein Startpolster, um irgendwo anders ein neues Leben zu beginnen.
Kein Massenexodus
Vor allem in Florida, geballt in Miami, und über die ganze Welt verstreut leben bereits heute mehr als 1,5 Millionen Kubaner ausserhalb ihrer Insel. Und unterstützen die Daheimgebliebenen mit jährlich weit mehr als einer Milliarde Dollar in Form von Überweisungen und anderen milden Gaben. Das macht den Aufenthalt im real existierenden Surrealismus auf Kuba erträglicher, belastet aber natürlich den Finanzhaushalt der Exilanten beträchtlich. Also gilt auch hier, was Kuba ja zur Schweiz der Karibik macht: Nach kurzer Aufregung bleibt wie immer alles beim Alten.