Bis in die jüngste Vergangenheit hinein profitierte Australien von der besten aller Welten. Weit unten am Rande der Welt gelegen, sicherheitspolitisch geschützt von der pazifikweiten `Pax Americana`, konnte es seine immensen Vorräte an industriellen Rohstoffen und Nahrungsmitteln zu steigenden Preisen und in zunehmenden Mengen an die nahen und rasch expandierenden Produktions- und Bevölkerungszentren in Japan, Korea und vor allem China verkaufen. Dies ist nun unwiederbringlich vorbei.
Chinas, Japans und Indiens Ambitionen
In strategischer Hinsicht ist der Grossraum Asien-Pazifik über die letzten Jahre hinweg dramatisch geschrumpft. Um sein politisches Gewicht parallel mit seiner Weltgeltung als Wirtschaftsmacht zu entwickeln, rüstet China rasch auf, symbolisiert durch seine Seestreitkräfte, welche schon bald in der Lage sein werden, im Pazifik und im indischen Ozean überall präsent zu sein.
Tokio, unter seiner jetzigen nationalistischen Regierung zeigt weniger Hemmungen, militärisch zuzulegen, als dies mit Blick auf die ungute imperiale Vergangenheit traditioneller japanischer Aussenpolitik seit dem 2. Weltkrieg entsprochen hat. Am anderen Ende der Region glaubt Indien, trotz andauernden internen Problemen, sich seinerseits stärker nach Ostasien zu orientieren (sogenannte `look east policies`). Die USA , immer noch die dominierende Pazifikmacht, haben eine Kehrtwendung von Europa nach Asien eingeleitet. In strategischer Hinsicht wird der Westpazifik und der indische Ozean im 21. Jahrhundert das sein, was der Nordatlanik für das letzte Jahrhundert war, das mare nostrum inmitten der global wichtigsten Region.
Export und Kapitalimport – gegenläufige Entwicklungen
In diesem Umfeld zunehmender Spannungen und potentieller Konflikte muss Australien seine eigene Sicherheit neu organisieren. Dies gilt insbesondere für seine bislang fast leeren West- und Nordküsten. Im tropischen Darwin an der australischen Verbindung nach Asien sind nun das erste Mal seit dem 2.Weltkrieg wieder amerikanische Soldaten stationiert. Gleichzeitig will aber Canberra nicht länger als pazifischer Hilfssherif`der Amerikaner erscheinen.
Was den Wirtschaftsbereich anbelangt, so wird Australien von den internationalen Finanzmärkten in denselben Topf geworfen wie die aufstrebenden asiatischen Mächte. Dies ist insofern angebracht, als sich seine Wirtschaft immer mehr komplementär entwickelt zu jener seiner Nachbarn. Wenn in China mehr Stahl gegossen wird, verkauft Australien mehr Kohle.Australien`s Handelszahlen belegen diese zunehmende Abhängigkeit. Die Anteile des Handels mit China/Hong Kong und den ASEAN-Staaten (Südostasien) sind zusammen mehr als doppelt so hoch als jene mit Europa und den USA.
Indes zeigen die ausländischen Investitionen, welche zum traditionellen Kapitalimporteur Australien fliessen ein völlig gegensätzliches Bild. Hier liegen Europa mit über 30 Prozent und die USA mit 24 Prozent Anteil weit vor der ASEAN und China/Hong Kong, die zusammen knapp 10 der Auslandsinvestionen aufbringen. Da Investitionen auch Innovation und Know-how mit sich bringen, in viel höherem Masse als reiner Export von vornehmlich unverarbeiteten Rohstoffen, bleiben die USA und speziell Europa die zentralen Wirtschaftspartner Australiens.
Harte Zurückweisung von Bootsflüchtlingen
Was bedeutet nun all dies für die beiden Spitzenkandidaten in den Wahlen, den bisherigen Premierminister Kevin Rudd (Labour) und seinen konservativen Herausforderer Tony Abbott? Was die Wirtschaft anbelangt, so hat es die seit 2007 regierende Labourpartei trotz Rekordüberschüssen versäumt, die australische Wirtschaft von ihrer ungesunden Abhängigkeit von der Rohstoffausbeutung (sog. `Dutch Disease`) wegzubringen und den darniederliegenden Industriesektor wieder zu beleben.1:0 für Abbott.
Ein Schandfleck für beide Parteien ist die gegenwärtige Immigrationspolitik des traditionellen Einwanderungslandes Australien, speziell gegenüber Bootsflüchtlingen aus Südasien, welche Rudd mit harten Mitteln (Internierung und Umleitung nach Papua New Guinea) bekämpft und Abbott noch martialischer (Einsatz der australischen Marine) fernhalten will. Im langjährigen Mittel hat beispielsweise die Schweiz mehr Flüchlinge aus Sri Lanka aufgenommen als das Kontinentalland Australien mit seinen gerade mal 25 Millionen Einwohnern. Ein Remis auf tiefem Niveau für die beiden Parteien.
Welche gemeinsamen Werte mit China?
Mit Bezug auf das australische Selbstverständnis als Teil des Westens, aber geographischer Zugehörigkeit zum Grossraum Asien-Pazifik vermag Abbott in keiner Weise zu überzeugen. Ungeachtet seiner langjährigen Überzeugung, dass sich Australien eng an die USA anlehnen sollte, im Sinne seiner expliziten Vorliebe für eine nebelhafte `Anglosphere`, plädiert er im Wahlkampf, mit Blick auf vermeitliche Wirtschaftsabhängigkeiten für ein bilaterales Verhälnis mit China `geprägt von gemeinsamen Werten`. Dies mit einem China welches momentan in seiner Demokratieentwicklung zu Schauprozessen maoistischer Manier (Bo Xilai) und ideologischer Rigidität ( sog. `Document Nr. 9`der KP) zurückgleitet.
Diese dritte Runde gewinnt der überzeugende Aussenpolitiker Rudd - ehemaliger Diplomat und Aussenminister - klar. Er plädiert für ein zweischichtiges Modell, wobei sich der bisherige Spitzenreiter USA und der schnell aufholende Herausforderer China in einer `G-2`` Formation auf strategische Grundsätze einigen sollten. Politische, wirtschaftliche und soziale Strukturen würden unter diesem Schirm in einem grossen regionalen Rahmen diskutiert und geregelt, den Rudd schon 2007 als APC (Asian Pacific Community) vorgestellt hat. Ein solches System hätte gewisse Ähnlichkeiten mit der Art wie sich Europa im Kalten Krieg arrangierte, als die strategische Ebene zwischen den USA, und der NATO, auf der einen und der UdSSR, und dem Warschauer Pakt auf der anderen Seite angegangen, und weitere Aspekte in den Rahmen der damaligen KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) verwiesen wurden.
Wikileaks-Gründer Assange als Kandidat
Weil das Land nicht länger, nach dem berühmten Diktum `down under` als Insel der Glückseligen weitermachen kann sondern wegen seiner Lage immer stärker im globalen Mittelpunkt steht, ist nun auch Australien auf unser geopolitisch und digital flachen Welt angekommen. Symptomatisch dafür ist dieses abschliessende, anekdotische aber bezeichnede Detail im australischenWahlkampf. Um einen der Sitze im Senat bewirbt sich der Wikileaksgründer und australische Staatsbürger Julian Assange. Damit ist dafür gesorgt, dass sich der australische Wahlkampf auch in der Londoner Botschaft von Equador, der gegenwärtigen Residenz von Assange abspielen wird.