Frauen haben zur Zeit Rückenwind: Geburtenschwache Jahrgänge und ein Fachkräftemangel haben ihnen einen neuen Stellenwert gegeben. Viele sind bestens ausgebildet, haben Ambitionen, sind bereit, den Gipfel zu erklimmen, und so liest oder hört man täglich von Frauen, die bislang eher männliche Domänen erobern und die damit verbundene Verantwortung übernehmen.
Das geht natürlich nicht ohne Widerstand vor sich: Zweifel an der Eignung, Neid, Konkurrenzkämpfe, sogar Mobbing, gehören zu den Begleiterscheinungen einer gesellschaftlichen Transformation, in der langsam, aber unaufhaltsam Kompetenzen, Einflussnahme und Verantwortung von den Männern vermehrt zu den Frauen verlagert werden.
Ein Beispiel für den "Geist und die Hingabe"
Ein prominentes Beispiel dafür ist Julia Pierson, die im April 2013 Chefin des Secret Service im Weissen Haus in Washington geworden ist. Zwar war die 55-Jährige nicht die erste Wahl. Die wäre David O’Connor gewesen, der ehemalige Sicherheitschef für eine der grossen, international operierenden Investfirmen. Der war jedoch klug genug abzulehnen, nachdem er in den Medien mit einer antirassistischen Bemerkung in Verbindung gebracht worden war.
Aber die Ernennung der ersten Frau in dieser exponierten Position schien keine schlechte Idee zu sein: Die Wahrscheinlichkeit war gross, dass es unter ihrer Führung nicht zu Skandalen käme wie dem mit den Sicherheitsbeamten, die eine Reise ihres Präsidenten nach Kolumbien hätten vorbereiten sollen und sich statt dessen in ihrem Hotel mit kolumbianischen Prostituierten vergnügten. Präsident Obama sagte anlässlich ihrer Ernennung, sie sei in ihrer über 30-jährigen Erfahrung mit dem Geheimdienst, zuletzt als Stabschefin der Organisation, stets ein Beispiel für den „Geist und die Hingabe“ gewesen, welche die Männer und Frauen des Dienstes tagtäglich demonstrieren würden.
„Hab ich ja gleich gesagt..."
Nun, seit ein paar Tagen ist Julia Pierson die Ex-Chefin des Secret Service, denn am 2. Oktober ist sie zurückgetreten. Das kommentieren einige mit Genugtuung und selbstgefälligem Triumphieren: „Hab ich ja gleich gesagt, dass sie’s nicht packen wird!”
Ein solch prominenter Rücktritt ruft aber auch heftige Reaktionen bei Feministinnen und Feministen hervor: „Diskriminierung! Frauenfeindlichkeit! Old boys’ club!” heisst es dort. Die Frau sei gescheitert an den Hürden, die die Männer ihr in den Weg gestellt haben. Die Gerüchteküche brodelt, Verschwörungstheorien blühen.
War Julia Pierson trotz ihrer 30-jährigen Zugehörigkeit zum Secret Service und ihrem makellosen Ruf nun ein Fehlgriff? Ist sie an ihrer eigenen Inkompentenz gescheitert, wie es in einer prominenten Stellungnahme heisst? Oder ist sie an der „Glass cliff“ gescheitert, von der Frauen gestossen werden, wenn sie die „Glass ceiling” überwunden haben?
Unbefugte im Weissen Haus
Vielleicht werden wir es irgendwann wissen. Vorerst aber sollten wir uns bemühen, nicht in die „Sexismus-Falle“ tappen, denn die bekannten Fakten sprechen eine klare Sprache:
Unter ihrer Ägide sind innerhalb von einer Woche drei Situationen entstanden, in denen Unbefugte im Weissen Haus selbst oder in seinem Umfeld eine Gefahr für den Präsidenten und seine Familie bedeutet haben.
„Geist und Hingabe“ sind gut, aber vielleicht wäre es besser gewesen, ein obligatorisches, rigoroses Fitnessprogramm anzuordnen. Unbegreiflich, dass einer der Eindringlinge zwar von fünf (!) Sicherheitsbeamten verfolgt wurde, aber trotzdem entkommen konnte.
Fehlleistungen verschwiegen
Ein kürzlich in der New York Times veröffentliches Foto zeigt einen Beamten, der offensichtlich dringend abnehmen müsste...
Schliesslich: Schlimm genug, dass in Atlanta ein bereits straffällig gewordener Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma mit einem Revolver in der Tasche zusammen mit dem Präsidenten im selben Aufzug gefahren ist.
Unentschuldbar aber, dass die oberste Sicherheitschefin diese gravierende Fehlleistung ihrer Mitarbeiter auch eine Woche später an einem Briefing mit dem Präsidenten verschwiegen und erst zugegeben hat, als die Medien sie veröffentlich hatten. Dieser eklatante Fehlentscheid lässt in der Tat Zweifel an ihrer Kompetenz aufkommen. Der Rücktritt war ein folgerichtiger Schritt in Richtung Schadensbegrenzung, auch wenn er, wie sie zugibt, schmerzt.
Befördert zur Stufe der eigenen Inkompetenz
Bei so vielen Frauen in exponierten Funktionen kann (und darf) es auch einmal eine Fehlbesetzung geben. Damit müssen wir leben lernen. Denn auch sie unterliegen dem berühmten «Peter-Prinzip», und das besagt ja bekanntlich: In einer Hierarchie besteht für jede/jeden Beschäftigte(n) die Gefahr, zur Stufe der eigenen Inkompetenz befördert zu werden.