Am 20. Februar wollen die EU-Aussenminister in Brüssel wieder einmal debattieren, ob sie die iranischen Revolutionswächter auf eine Terrorliste stellen sollen. Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock soll dafür sein, in ihrer Kollegenrunde habe sie allerdings ernsthafte Gegner. Die Entscheidung kann nur einstimmig getroffen werden. Hier ein Vorschlag für Baerbocks Rede.
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wir sind hier versammelt, um für die iranischen Revolutionswächter eine passende Bezeichnung zu finden. Was diese Militärformation ist, sagt ihr Name, zeigen ihr reales Dasein und ihre Taten im In- und Ausland. Doch wir zögern, sie zu nennen, was sie sind, nämlich eine Terrorformation.
Für ihr Zögern habe einige Kollegen geopolitische, wirtschaftliche oder juristische Argumente, die auf den ersten Blick nachvollziehbar klingen. Aber leider nur auf den ersten Blick.
Hier möchte ich auf eine Analyse der Motive verzichten und mich mit den drei Hauptgründen dieser Kollegen befassen. Für die Länge dieser Ausführungen bitte ich um Nachsicht.
Das erste Argument heisst Armee
Man könne doch die Armee eines souveränen Staates nicht als Terrororganisation listen, auch wenn es einem nicht gefällt, was diese Armee tut. Sonst müssten wir nicht nur die Armeen Russlands und Nordkoreas, sondern auch die von Dutzenden weiteren Staaten weltweit zu Terrororganisationen erklären. Es gehe nicht um Sympathie für das, was die Sicherheitskräfte eines Landes tun: «Du kannst doch nicht sagen, dass ich dich für einen Terroristen halte, weil ich dich nicht mag», sagte mein verehrter Kollege Josep Borrell, Koordinator unserer Aussenpolitik, am 20. Januar, nachdem wir ohne Einigung auseinandergingen.
Heute wollen wir es nochmal versuchen.
Sind die Revolutionsgarden tatsächlich die Armee des Iran?
Nein. In ihrem offiziellen Namen kommen weder das Wort Armee noch der Iran vor. Offiziell heissen sie: «Sepahe Pasdarane Enghlabe Eslami», auf Deutsch: das Heer der Wächter der islamischen Revolution.
Laut ihrem Statut wachen sie über die islamische Revolution immer und überall, wie, wann und wo eine solche Revolution auch stattfinden mag. Und eigentlich war ihre Angst vor der iranischen Armee ihr Raison d’être. Einige ältere Kollegen erinnern sich, wie unmittelbar nach dem Sieg seiner Revolution der damalige Revolutionsführer Ruhollah Khomeini die Wächter als Anti-Armee ins Leben rief. Die «Kaiserlich-Iranische Armee» galt ja für ihn und viele andere Revolutionäre in jenen Tagen als Sinnbild der Konterrevolution, als ständige Quelle der Putschgefahr. Zu dieser Zeit diskutierten Revolutionäre aller Couleur im Iran tatsächlich darüber, wie sie diese Armee auflösen könnten. Wie wir wissen, hat Saddam Husseins Überfall auf den Iran diese Debatte beendet. Denn für diesen Krieg brauchte man das Know-how und die Professionalität dieser Armee oder dessen, was von ihr noch übrig war. Viele Generäle waren ja bereits in den ersten Tagen des Sieges der Revolution hingerichtet worden, andere hatten die Armee bzw. das Land verlassen.
Sieger des sieglosen Krieges
Die Wächter, allesamt jung, religiös und zuverlässig, sollten auch an der Front ihren eigentlichen Dienst tun, nämlich über die Revolution wachen. Hier traten sie als Gegenspieler der Armee auf, agierten eben als Wächter und wollten zugleich ihre Revolution auch in den Irak implantieren.
In diesem achtjährigen Krieg wuchsen sie auf und brachten, nicht zuletzt wegen ihres unprofessionellen Verhaltens, die meisten Opfer.
Der Krieg hatte, wie wir wissen, keinen Sieger, aber viele Verlierer. Auf beiden Seiten gab es mehrere Millionen Tote, Hunderttausende Versehrte und zerstörte Ortschaften, das belegen viele unterschiedliche , aber glaubwürdige Quellen. Wie immer, gab es aber auch hier Kriegsgewinnler. Neben den internationalen Waffenhändlern, von denen viele leider von unserem Kontinent stammen, waren es vor allem die Wächter der Revolution, die aus diesem sieglosen Krieg als Sieger herauskamen und sich als wahre und einzige Verteidiger des Landes stilisierten.
Trotzdem existierte weiterhin die klassische iranische Armee. Sie ist heute, wie auch unsere Dienste berichten, harmlos und bestens überwacht. Deshalb ist diese «Republik» nun das einzige Land mit zwei Armeen.
Nach Khomeinis Tod baute sein Nachfolger Ali Chamenei die Wächter energisch auf, machte sie zur eigentlichen Stütze seiner Macht, bis sie dann das wurden, was wir heute sehen: eine alles bestimmende Formation des Staates.
Und für ihre Machtausübung haben sie ja alles, was sie brauchen: ein grosses Waffenarsenal, einen mächtigen Geheimdienst, mit dem sie die Opposition, die Medien und die Justiz kontrollieren, sowie die unbegrenzte Verfügungsgewalt über alle Ressourcen, einschliesslich der Ölindustrie. Niemandem sind sie rechenschaftspflichtig, weder dem Parlament noch dem Präsidenten oder der Bevölkerung.
Besondere Wehrpflichtige
Jene verehrten Kolleginnen und Kollegen, die gegen eine Listung der Revolutionsgarde als Terrororganisation sind, sagen, wehrpflichtige Iraner hätten doch die Möglichkeit, zu wählen, ob sie ihren Wehrdienst bei der Armee oder bei den Wächtern ableisten wollten: Sei das nicht ein ausreichender Grund, die Wächter als Armee zu definieren? Das ist ein Grund, aber einer mit Halbwahrheitswert.
Junge Iraner dürfen zwar zwischen der klassischen Armee und den Revolutionswächtern wählen, doch das ist eine Wahl mit vielen Tücken, im Grunde eine Scheinwahl, wie viele andere Wahlen in der islamischen Republik. Wenn ein Iraner sich für die Garden entscheidet, muss er eine harte ideologische Prüfung absolvieren, muss seinen festen Glauben an die «Herrschaft des Rechtsgelehrten» schriftlich und mündlich beweisen. Seine familiäre Umgebung und sein persönlicher Werdegang werden durch den mächtigen Geheimdienst der Wächter peinlich unter die Lupe genommen. Vor seiner Aufnahme muss er nachweisen, dass er bis dahin ausreichend bei den Basidjis, den freiwilligen Milizen, engagiert war. Diese harten Prüfungen und Nachforschungen sind deshalb notwendig, weil aus den Reihen der Bewerber die späteren Offiziere und Kader stammen, die dann an den Hochschulen der Wächter für ihre In- und Auslandseinsätze ideologisch und militärisch weiter geschult werden.
Wir Europäer wollten in den letzten vier Dekaden die islamische Republik stets als ein hybrides Gebilde von Reformern und Radikalen, von Gemässigten und Hardlinern sehen. Ähnlich wollten wir auch bei den Wächtern einen Unterschied machen, hier die so genannten Quds-Brigaden, jene Abteilung, die für Auslandseinsätze zuständig ist, und dort der Rest. Alle Terrorakte und Morde bei uns und in den diversen Bürgerkriegsoperationen in den Nachbarländern des Iran schrieben wir den Quds-Schergen zu, im Rest sahen wir mehr oder weniger die normale Armee des Iran.
Doch so, wie diese «Republik» mit ihrem Präsidenten Raissi in diesen Tagen ihr wahres Gesicht zeigt und jedem Iraner, jeder Iranerin und auch jedem von uns hier Versammelten zu verstehen gibt, dass die Mär der Reformierbarkeit sich als falsch erwiesen hat, so entpuppt sich auch der vermeintliche Unterschied zwischen den Quds-Brigaden und dem Rest der Garden als ein Märchen.
Quds-Brigaden führen eine «Republik»
Schauen wir doch zum Beispiel Ahmad Vahidi, den amtierenden Innenminister des Iran, genauer an. Er ist der Gründer der Quds-Brigaden und war zehn Jahre lang ihr Kommandeur. Seit 1984 steht er, wie wir alle wissen, als Terrorverdächtiger auf der Interpol-Liste wegen des Bombenanschlags auf die Synagoge in Buenos Aires mit 84 Toten und Dutzenden Verletzten.
Alle seine engsten Mitarbeiter in seinem heutigen Ministerium sowie sämtliche von ihm ernannten Provinzgouverneure sind, wie er selbst, Offiziere der Quds- Brigaden. Vahidi ist der mächtigste Mann des Kabinetts und er managt dieser Tage die Niederschlagung der Proteste so, wie man es von einem Revolutionsgardisten kennt. Seine Mordkommandos agieren auf den Strassen und der Geheimdienst der Revolutionswächter leistet ganze Arbeit: Zehntausende Verhaftungen, Folterungen und erzwungene Geständnisse im staatlichen Fernsehen und in den Gerichtssälen, wie Menschenrechtsorganisationen glaubhaft berichten.
Suchen wir ein europäisches Gerichtsurteil?
Ein weiteres Argument ist, es müsse zunächst ein entsprechendes Urteil eines europäischen Gerichts geben, bevor Europa die Wächter auf eine Terrorliste aufnimmt. Sind wir für unsere Entscheidung tatsächlich auf der Suche nach einem europäischen Gerichtsurteil?
Hier ein eindeutiger aktueller Fall, der verdeutlicht, wie die Wächter die iranische Justiz beherrschen und die Gerichte für ihre Zwecke einsetzen. Es ist eine tragische, aufregende Terrorgeschichte, über die meine Kollegin aus Belgien mit Sicherheit besser berichten könnte als ich. Ich versuche es trotzdem.
Am 13. Dezember 2022 verurteilte ein Teheraner Gericht Olivier Vandecasteele, den belgischen Mitarbeiter einer Hilfsorganisation, zu 28 Jahren Gefängnis. Er ist momentan angeblich wegen Spionagetätigkeit in Isolationshaft. Doch der eigentliche Grund dieses Urteils heisst Assadollah Assadi, er sitzt in einem belgischen Gefängnis, dort soll er als verurteilter Terrorist noch weitere 20 Jahre bleiben. Meine Kollegin aus Belgien hat sicherlich genug Kenntnisse über diesen Fall und kann bestätigen, dass Assadi nach den vorliegenden Dokumenten aus den Reihen der Revolutionswächter stammt. Er war vor seiner Verhaftung in Wien als «Diplomat» akkreditiert. In Wahrheit führte er aber ein dichtes Agentennetz in ganz Europa. Wie die belgischen und französischen, aber auch die Dienste meines Landes berichten, wollte Assadi im Juni 2018 gemeinsam mit drei weiteren Agenten in einem Vorort von Paris einen verheerenden Bombenanschlag verüben. Dort fand damals eine Veranstaltung iranischer Oppositioneller statt, bei der auch ein Dutzend hochrangige Politiker aus unseren Ländern sowie den USA anwesend waren. Assadi wurde praktisch in flagranti, das heisst kurz nach der Übergabe der Bombe an seinen Gehilfen bei uns in Deutschland auf der Autobahn A3 bei Aschaffenburg von der deutschen Polizei verhaftet und später an Belgien ausgeliefert. Dort bekamen er und seine drei Gehilfen nach einem aufwändigen rechtsstaatlichen Prozess praktisch die höchste Strafe, die in Belgien zu vergeben ist. Meine belgische Kollegin kann ausführlich berichten, wie, warum und woran die Diplomatie zwischen Teheran und Brüssel für einen möglichen Austausch zwischen Olivier Vandecasteele und Assadi scheiterte.
Ich meine: Wenn wir einen gerichtsfesten Beweis suchten, um die Revolutionswächter auf eine Terrorliste zu setzen, dann wäre dieser Fall, Assadis Verurteilung und die anschliessende Geiselnahme des belgischen Helfers in Teheran, ein ausreichender Grund.
Ich könnte Dutzende andere Fälle von tödlichen Bombenanschlägen, Flugzeugentführungen und Geiselnahmen sowie Gerichtsurteile und staatsanwaltliche Ermittlungen aus den letzten vier Dekaden aufzählen, bei denen die Revolutionswächter direkt oder als Drahtzieher bzw. Finanzier beteiligt waren. Doch beschränke ich mich hier auf eine kleine unvollständige Auflistung aus Europa:
- Bei einem Selbstmordanschlag auf dem Parkplatz des Flughafens Burgas in Bulgarien wurden im Juli 2012 fünf Israelis und ein bulgarischer Busfahrer ermordet. 32 weitere Menschen wurden schwer verletzt. Sowohl Europol als auch die bulgarischen Behörden gehen davon aus, dass die Hisbollah für den Anschlag verantwortlich ist und die Drahtzieher in Teheran sitzen.
- Im März 2017 verurteilte das Berliner Kammergericht den pakistanischen Staatsbürger Haider Syed Mustafa H. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für den Iran zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. H. soll im Auftrag des iranischen Regimes, genauer gesagt der Revolutionswächter, meinen Kollegen, den SPD-Politiker und ehemaligen Wehrbeauftragten Reinhold Robbe in seiner Funktion als Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft ein Jahr lang als potenzielles Attentatsziel ausgespäht haben. H. hatte umfangreiche Informationen zu Robbes täglichen Gewohnheiten gesammelt.
- Im Januar 2018 liess die deutsche Bundesanwaltschaft mehrere Wohnungen durchsuchen. Offenbar gab es aus dem Iran initiierte Pläne, einen US-General in Deutschland, einen Journalisten in Frankreich und einen israelischen Diplomaten in der Türkei zu ermorden.
Die Liste ist länger, aber ich höre aus Zeitgründen hier auf. Ich meine, allein die Person Ahmad Vahidi, der amtierende Innenminister, der wegen seiner Rolle bei dem blutigen Bombenanschlag auf eine argentinische Synagoge von Interpol gesucht wird, sollte für uns Beweis genug sein, um jene Wirklichkeit zu begreifen, in der die Revolutionswächter agieren.
Regionale Stabilität
Zum Schluss komme ich zum letzten Grund, den die Gegner einer Listung als ein schlagendes Argument vortragen. Er klingt sehr überzeugend und nachvollziehbar: Wenn wir die Revolutionswächter als eine Terrororganisation deklarieren, so das Argument, so führt dies zu weiterer Destabilisierung des Nahen Ostens, und das brauche und wünsche sich in diesen dramatischen Tagen niemand.
Wer aber destabilisiert die Länder rund um den Iran? Das brauche ich wahrscheinlich hier nicht auszuführen. Unsere Nachrichtendienste und Forschungsinstitute sagen seit Jahren, dass die iranischen Revolutionswächter Hauptverursacher der dortigen Bürgerkriege sind. Ich zitiere hier nur den französischen Staatspräsidenten Emanuel Macron, der in den letzten Monaten zwei regionale Konferenzen für die Stabilität der Region veranstaltet hat und beide Male ausdrücklich betonte, dass die Krisen im Irak, in Libanon, in Syrien und Jemen eine Gemeinsamkeit hätten: In all diesen Länder seien Milizen am Werk, die von den iranischen Revolutionswächtern entweder direkt kommandiert oder finanziert und zum Teil auch geschult werden.
Mein Kollegen Jürgen Hardt, aussenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, schrieb neulich in einem Gastbeitrag für eine Berliner Zeitung Folgendes: «Die Revolutionsgarden müssen in ihrer Gänze als Terrororganisation gelistet werden, so wie die USA das tun. Sind die Revolutionsgarden gelistet, wird es mit diesem Regime keine normalen bilateralen Beziehungen mehr geben können und ein Grossteil des Handels mit dem Iran wird einbrechen.» Weiter sagt Herr Hardt, die Hisbollah, der Palästinensische Islamische Dschihad, Liwa al-Baqir, Liwa Fatemiyoun, Kata’ib Hezbollah und die Huthis müssten bei Sanktionen gegen den Iran von Anfang an mit eingeschlossen werden. Sie böten aufgrund des bislang ausbleibenden Sanktionsdrucks perfekte Ausweichmöglichkeiten für das iranische Regime.
Es kommt nicht oft vor, doch hier muss ich dem oppositionellen Kollegen zustimmen.
Am Ende stellt sich für uns die Frage: Was machen wir dann mit Ali Khamenei, dem mächtigsten Mann des Iran, der offiziell Oberbefehlshaber der Revolutionswächter ist. Ich meine, Khamenei gehört ebenfalls auf die Terrorliste. Gegen ihn gibt es bei uns längst ein Gerichtsurteil, in dem er als Drahtzieher eines spektakulären und sehr blutigen Terroranschlages genannt wird. Ich meine das Urteil zum Berliner Mykonos-Attentat im September 1992, bei dem vier iranischen Oppositionelle ermordet wurden. Dieses Urteil gilt für manche Juristen als Meilenstein der bundesdeutschen Gerichtsbarkeit.
Verzeihen Sie mir, dass es zu lang wurde, aber diese Länge ist nach meiner Ansicht dem überaus wichtigen Thema angemessen. Ich wünsche uns den Mut, hier und heute der Wahrheit ein Stück näher zu kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Mit freundlicher Genehmigung vom Iran Journal