Doch die jüngsten israelischen Luftangriffe auf iranische Stützpunkte im Irak offenbaren eine bittere Wahrheit für den Iran: Auf die Neutralität des Nachbarlandes können die Teheraner Machthaber nicht mehr zählen. Die Karten werden neu gemischt, bisherige Kalkulationen gelten nicht mehr.
„Trump redet, aber Netanjahu handelt, und der Iran verliert seine strategische Tiefe“, schrieb die Zeitung Al Sharq al Awsat Ende Juli. Die Genugtuung in diesen Zeilen ist unübersehbar. Die in London erscheinende arabische Tageszeitung gehört dem saudischen Königshaus, sie erscheint in fast allen arabischen Hauptstädten und gilt als einflussreich und meinungsbildend.
Faktisch hat Al Sharq al Awsat recht. Israel hat im Juli mit seinen modernen Stealth-Düsenjägern vom Typ F-35i iranische Ziele im Irak bombardiert. Die Angriffe richteten sich gegen Stützpunkte von Haschd Al Schaabi, schiitischen Milizen, die dem Iran nahestehen. Die erste Attacke hat in der Nacht zum 19. Juli stattgefunden, gegen eine Basis in Amreli in der irakischen Provinz Saladin, zehn Tage später folgte eine zweite israelische Attacke, diesmal gegen die Basis Ashraf, 90 Kilometer nordöstlich von Bagdad und nur 80 Kilometer von der iranischen Grenze entfernt. „Diplomatische Quellen“ hätten dies bestätigt, so Al Sharq al Awsat.
Zwei Tage nach diesem Bericht berichteten auch andere arabische Zeitungen und Webseiten und nannten Details zu den Zielen der nächtlichen Luftoperationen Israels: Da ging es um iranische Berater, die auf auf diesen Stützpunkten arbeiteten, und grosse Lager ballistischer Raketen, die kurz zuvor aus dem Iran eingetroffen seien. Auch die Israel Times und andere israelische Webseiten veröffentlichte dies, fügten allerdings hinzu, offizielle Bestätigungen gebe es – wie immer – nicht. Von 40 getöteten iranischen Militärexperten und Dutzenden libanesischen Hisbollah-Kämpfern war ebenso die Rede wie von der Zerstörung zahlreicher Raketen.
Mit diesen Luftangriffen habe Israel offenbar eine neue Phase seiner anti-iranischen Operationen begonnen, vermuteten mehrere israelischen Medien. Sei es bis jetzt Syrien gewesen, wo israelische Flugzeuge und Raketen fast regelmässig iranische Ziele anvisiert hätten, sei nun der Irak hinzu gekommen, und das unweit der iranischen Grenze, schrieb die israelische Zeitung Haaretz am 31. Juli.
Lautes Schweigen
In iranischen Medien sucht man nach diesen Meldungen allerdings vergeblich. Lediglich eine kurze Mitteilung mit Fotos einer Trauerzeremonie in der westiranischen Stadt Kermanschah twitterte ein „Freund des Iran“ am 20. Juli. Ein führender Kommandant der Revolutionsgarden, Abolfazl Sarabian, werde zu Grabe getragen, er sei im Irak gefallen, war da zu lesen. Zwei Tage nach diesem Tweet veröffentlichte Fars, die Nachrichtenagentur der Revolutionsgarden, eine kurze Meldung über einen israelischen Luftangriff im Irak, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Sonst herrschte Schweigen.
Dieses Schweigen ist verständlich. Der Irak ist das wichtigste Glied in der „strategischen Tiefe“ des Iran. Sollten die USA den Iran je angreifen, wäre der Irak der erste Ort, wo der Iran massiv antworten würde. Tausende gut ausgebildete, kampferfahrene schiitische Milizen, die vom Iran trainiert und finanziert werden, seien bereit, den Kampf aufzunehmen, und Ziele gäbe es dort genug: US-Soldaten, US-Stützpunkte und US-Verbündete, so die Kalkulation in Teheran.
Tatsächlich ist der Irak ein neuralgischer Punkt für die Iran-Strategie der USA. Man hat dort nicht die blutigen Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins vergessen, als das US-Militär nach mörderischen Terrorakten den grössten Teil seiner Truppen zurückziehen und die verbliebenen Soldaten sich verbunkern mussten.
Und wenn jetzt, bevor die USA überhaupt in Aktion treten, Israel bereits beginnt, die iranischen Stützpunkte in ihrer „strategischen Tiefe“ anzugreifen, ändert das viele Militärkalkulationen – in Teheran ebenso wie in Washington. Kündigen sich damit die Vorboten des kommenden grossen Krieges an? In Teheran herrscht jedenfalls hörbare Sprachlosigkeit.
Das Ende der irakischen Neutralität?
Über die jüngsten israelischen Angriffe schweigt interessanterweise auch die Regierung in Bagdad. Das irakische Schweigen mag zunächst merkwürdig erscheinen, doch auch diese Stille ist bedeutungsvoll: Wo wird der Irak im Fall der Fälle stehen? Das ist ungewiss und bleibt unbeantwortet.
„Warum schweigen Sie, wollen Sie Ihr Versprechen brechen?“ Diese Frage wurde vor vier Tagen an den irakischen Ministerpräsidenten Adel Abdolmahdi gerichtet. Der Fragende war kein Iraker, sondern ein im Iran bekannter und einflussreicher Journalist. Sein Name: Ali Mussawi Khalkhali, der Chefredakteur von Iran Diplomacy, einem Portal, das sich bemüht, die iranische Aussenpolitik verständlich und mit möglichst wenig Propaganda zu erklären.
„Ist der Irak nicht mehr neutral?“ Mit dieser Frage begann Khalkhali am ersten August seinen Beitrag. Da waren seit den letzten israelischen Angriffen drei Tage vergangen. Er schildert das Geschehen sachlich, so wie es Tage zuvor in den israelischen, arabischen und westlichen Medien zu lesen war, und fragt dann: „Vom Irak aus wird der Iran bedroht, und die irakische Regierung schweigt dazu. Der Irak hat Israel erlaubt, von seinem Territorium aus den Iran anzugreifen. Wird der Irak auch schweigen, wenn wir zurückschlagen?“
Für Iran Diplomacy ist der iranische Aussenminister Mohammed Javad Zarif quasi ein Star, dem niemand auf der internationalen Bühne Paroli bieten kann. Und der Lobgesang auf Zarif hat in den letzten Tag einen neuen Höhepunkt erreicht. Seitdem er von den USA mit Sanktionen belegt ist, wird er wie ein Held gefeiert, dessen Argumente und Interviews die Weltmacht in Verzweiflung versetzt hätten.
In der Tat tritt der sprachgewandte Aussenminister in den westlichen Medien stets lächelnd und eloquent auf. Von seinem US-amerikanischen Kollegen wird er allerdings nicht ernst genommen. Für Mike Pompeo ist Zarif nicht mehr als der Steigbügelhalter des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei. Um die Sanktionen gegen ihn zu verteidigen, schrieb Pompeo in einem Tweet in persischer Sprache, Zarif sei nicht mehr als ein „ماله کش“ – ein beleidigendes Wort für jemanden, der Schweinereien hinterherläuft, um sie auszubügeln.
Doch genau dieser Mann, der versucht, alles zu glätten und plätten, erhielt offenbar eine unerwartete Einladung: Zarif soll US-Präsident Donald Trump im Oval Office treffen.
Zarif bietet viel
Diese diplomatische Offerte sei von Senator Rand Paul, dem Republikaner aus Kentucky, bei einem Treffen mit Zarif am 15. Juli in New York gemacht worden, berichtet der New Yorker am 2. August.
Mit Trumps Segen habe Paul mehrere Wochen an dieser Idee gearbeitet und den iranischen Aussenminister schliesslich in der eleganten Residenz des iranischen Botschafters in der New Yorker Fifth Avenue, einen Block vom Metropolitan Museum entfernt, getroffen, so der New Yorker — offenbar eine Miniaturversion von Trumps Taktik, die traditionelle Diplomatie zu umgehen, mit der er sich auch direkt an die nordkoreanische Führung wandte.
Während des einstündigen Gesprächs habe Zarif dem Trump-Emissär viele Ideen angeboten, wie man aus der nuklearen Sackgasse herauskommen könne, berichtet der New Yorker weiter. Danach sagte Zarif einer Gruppe von Journalisten später, als Diplomat müsse er „immer über Alternativen nachdenken“. Wenn Trump mehr wolle, habe er auch mehr zu bieten, soll Zarif Senator Paul gesagt haben. So könne der Iran etwa das Zusatzprotokoll zum Atomwaffensperrvertrag unterschreiben oder ein sogenanntes Safeguards-Abkommen unterzeichnen, das unbegrenzte und unangemeldete Inspektionen der internationalen Experten im Iran ermöglichen würde.
„Sagen Sie das doch dem Präsidenten persönlich“
Er könne das alles doch Trump persönlich vorschlagen: Der Präsident habe ihn, Paul, ermächtigt, eine Einladung an Zarif zu einem Treffen im Oval Office auszusprechen und zwar bereits für diese Woche, schreibt der New Yorker. Und das bestätigte am 28. Juli ein hochrangiger Beamter im Weissen Haus: Präsident Trump sei immer offen und bereit, mit Vertretern der Teheraner Führung zu sprechen.
Ob er Trump im Weissen Haus treffen könne oder nicht, das sei nicht seine Entscheidung, er müsse nach Teheran telefonieren, soll Zarif gesagt haben – und die Antwort aus Teheran laute: jetzt noch nicht, so der New Yorker. So viel zum Helden der iranischen Aussenpolitik, wie ihn Iran Diplomacy feiert.
Das Ende der Diplomatie
„Wenn Sie Diplomaten sanktionieren, werden Sie weniger Diplomatie haben“, betitelte die Nachrichtenagentur AP einen Beitrag über die Sanktionen gegen Zarif. Doch es gibt nicht nur weniger Diplomatie: Es gibt überhaupt keine Diplomatie mehr. Die geheimen Gesprächskanäle scheinen versiegt, alle bereiten sich auf den Ernstfall vor. Die Israelis, die schon tätig geworden sind, die Amerikaner, die ihre Allianz im Persischen Golf schmieden, die Europäer, die ihren eigenen Weg gehen wollen – den sie allerdings noch nicht gefunden haben –, und, aus iranischer Sicht viel gefährlicher: die Iraker, die in einem möglichen Krieg nicht mehr neutral sein wollen.♦
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Mit freundlicher Genehmigung Iran Journal