In der „New York Times“ argumentiert Kommentator Peter Sudermann, Hollywoods Tendenz, in erster Linie Kassenschlager und Neuauflagen von Kassenschlagern zu produzieren, erkläre den Zustand amerikanischer Politik. So wie Hollywood auf Erprobtes und ein höriges Publikum setze, bevorzuge die Politik Kandidaten, die bekannt seien sowie über genügend Beziehungen und Ressourcen verfügten. In beiden Fällen, so Sudermann, werde so das Risiko minimiert, an der Kasse oder der Urne einen Misserfolg zu landen. Doch die Strategie des Remake verfange nicht immer, siehe Hillary Clinton. Sowohl in Los Angeles wie in Washington D. C. indes funktioniere Repetition besser als Innovation.
Gelegentlich aber kommen amerikanische Filme ins Kino, die wider den Stachel des breiten Publikumsgeschmacks löcken, die Realitäten aufzeigen, die Hollywood mit süssem Zuckerguss überdeckt, auf dass sie einem auf Happy Ends konditionierten Publikum auch ja munden. Zu diesen Ausnahmen zählt „The Florida Project“ von Sean Baker. Fast dokumentarisch erzählt der Regisseur, wie Kinder meist armer, allein erziehender Mütter im Schatten von Disney World in Orlando (Florida) ihre Tage verbringen, in einer schäbiger Umgebung, in der greller Kitsch und kalter Kommerz dominieren. Das billige Motel, lila gestrichen, auf dessen Gelände die Strassenkinder Schabernack treiben, heisst nicht zufällig „Magic Castle“, ein Zauberschloss nur dem Namen nach, eher ein Knast, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Der 115-minütige Film ist in seiner Botschaft hochpolitisch. „The Florida Project“ zeigt die Kehrseite des amerikanischen Traums, die alle hehren Versprechungen der grossen Politik Lügen straft. Der Streifen zeigt Menschen, die weder von einer boomenden Börse noch von tieferen Steuern profitieren, sondern schlicht von Tag zu Tag, von Woche zu Woche überleben – abgehängt, mittellos und verbraucht. Die sich vom Fernsehen berieseln lassen und das gute Leben nur aus Werbespots kennen. Und welche die Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, während die wirklichen Schurken im Lande unangetastet bleiben.
Dies alles zu einer Zeit, in der sich der amerikanische Präsident, dank cleverer Steuerpolitik und guter Wirtschaftslage von steigender Beliebtheit animiert, über Twitter um einen Mitarbeiter sorgt, der ehelicher Gewalt überführt worden ist. Und der sich eine protzige Militärparade wünscht, wie sie sonst eher auf dem Kim Il Sung-Platz in Pjöngjang zu sehen ist – laut Kolumnistin Maureen Dowd „eine phallische Überkompensation“, die auf den Strassen von D. C. lediglich mehr Schlaglöcher hinterlassen wird: „Wir wollen keinen Präsidenten, der Vorspiegelungen für wirklich hält und der wohlwollend auf Betrug, Heuchelei, Interessenkonflikt und Vetternwirtschaft blickt.“
Eine der Hauptattraktionen von Disney World ist Aschenputtels Schloss mit den vielen spitzen Zinnen. Auf das Cinderalla Castle rennen zwei der jungen Hauptdarstellerinnen am Ende des Films verzweifelt und Hilfe suchend zu. Doch Unterstützung dürften die beiden dort so wenig finden, wie wenn sie sich im realen Leben ans Weisse Haus wenden würden. Für Verlierer hat „America First“ keinen Platz.