Sie weigern sich mit kaum vorstellbarer Starrköpfigkeit und schier unglaublich grossen Scheuklappen an den Augen, die französische Bevölkerung zu akzeptieren, so wie sie heute ist. Nämlich gründlich durchmischt, farbig und schon Jahrzehnte lang nicht mehr gallisch-weiss, mit der Baguette unter dem Arm und der Baskenmütze auf dem Kopf.
Da nach dem hehren Prinzip, wonach alle Franzosen gleich sind, keine sogenannten „ethnischen Statistiken“ existieren dürfen, weiss man es nicht genau, man darf aber davon ausgehen, dass inzwischen jeder 6. Franzose zumindest einen Grossvater oder eine Grossmutter hat, die nicht in Frankreich geboren wurden, und jedes 4. Kind, das heute in Frankreich auf die Welt kommt, entweder einen Vater oder eine Mutter hat, die nicht in Frankreich geboren wurden.
Das bedeutet: Hier ist von fast zwölf Millionen Menschen die Rede, weit mehr als die gesamte Schweiz an Einwohnern zählt. Und diese zwölf Millionen Menschen sind, ob es nun gefällt oder nicht, allesamt Franzosen. Auch wenn man immer wieder den Eindruck haben muss, dass dies in den Köpfen vieler Politiker Frankreichs schlicht und einfach immer noch nicht angekommen ist.
Für mindestens 15 % der französischen Bevölkerung gilt nicht mehr, was Generationen kleiner Franzosen bis vor einem halben Jahrhundert in den Grundschulen gelernt haben: „Unsere Vorfahren, die Gallier.."
Da sich die allermeisten dieser rund zwölf Millionen Bürger im Hexagon aber wie selbstverständlich als Franzosen fühlen, in manchen Fällen ihre Grosseltern schon hierzulande zur Welt gekommen waren, wird der Alltag, den sie auf Grund ihrer Hautfarbe und ihres Namens erleben müssen, für sie im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer unerträglicher.
Denn von höchster staatlicher Stelle, von Ministern und Abgeordneten, auf Ämtern, an den Grenzen, auf der Strasse bei Polizeikontrollen, bei der Ausbildung oder bei der Arbeits- und Wohnungssuche wird ihnen immer wieder und fast täglich signalisiert: In unseren Augen bleibt ihr trotz allem Ausländer, ihr seid auf jeden Fall keine richtigen, keine vollwertigen Franzosen.
Nach dem jüngsten, bewusst kalkulierten Fauxpas des französischen Innenministers Guéant, der verkündet hatte, dass nicht alle Kulturen gleichwertig seien, und damit all die Franzosen aufs Korn nahm, deren kulturelle Ursprünge ausserhalb Europas angesiedelt sind, haben jetzt eine Reihe von französischen Bürgern mit sogenanntem “Migrationshintergrund", darunter der ehemalige Tennisstar und Sänger, Yannick Noah, in der Tageszeitung "Le Monde* ein Pamphlet veröffentlicht, das einen guten Eindruck vermittelt vom Überdruss dieser Franzosen, im eigenen Land ständig als Ausländer angesehen und als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. Es trägt den Titel:
Wir sind hier zu Hause! Auch Migrantenkinder sind ein Teil Frankreichs.
Und der Text, der etwas von einem Aufschrei hat, lautet:
„Wir, Kinder mit dem Erbe der Immigration, stellen die Frage: Wie oft müssen wir noch schreien? Wie oft müssen wir es noch wiederholen? Wir sind Franzosen! Wir können es nicht mehr ertragen, dass gewisse Vertreter dieser Republik uns angreifen, uns klein machen, uns erniedrigen und mit dem Finger auf uns zeigen ….
Wie kann man akzeptieren, dass Minister dieser laizistischen Republik nicht verstehen wollen, dass die Religion eine freie Wahl ist und nichts mit Geburt oder Hautfarbe zu tun hat, dass die Religion eine Privatangelegenheit und keine öffentliche Angelegenheit ist. Es wäre an der Zeit, dass gewisse französische Volksvertreter aufhören, ihren Mitbürgern Lektionen zu erteilen, bewusst Begriffe wie Kultur und Politik, Kultur und Staatsbürgerschaft durcheinanderbringen, sich über den Sinn der Wörter unserer französischen Sprache hinwegsetzen.
Die französische Kultur ist gleichermassen eine Sache der derzeitigen Volksvetreter und von uns allen. Wir, die Kinder der Immigration, Franzosen unter Franzosen, weigern uns, ständig attackiert, missbraucht und karikiert zu werden, damit Ängste und Hass geschürt werden. Gestern waren es die Spanier, die Portugiesen, die Italiener und die Juden. Heute schürt man tagtäglich die Angst vor dem Muslim, nach und nach richten sich die ersten Vorwürfe auch gegen Chinesen und Rumänen.
Trotz unserer Unterschiede, trotz unserer Vielfalt wollen wir ihnen zeigen, dass wir geeint sind. Zeigen wir ihnen, dass wir wie die anderen sind. Wir sind französische Bürger!"
Wir haben nicht vor, irgendwo einzufallen oder jemanden zu überrennen, wir sind da, so wie wir sind! Wir sind keine Opfer, trotz der Diskriminierung bei Einstellungen, trotz der Festnahmen auf Grund der Hautfarbe, trotz der Gewalt, die in den ständig wiederholten Aussagen der französischen Immigrationsminister in den letzten 5 Jahren liegt.
Wir sind keine Opfer, und wir sind keine Revanchisten. Auch wenn eine Minderheit von Franzosen mit dem Finger auf uns zeigt und uns als Ausländer betrachtet, wissen wir, dass ein Grossteil der Franzosen uns seit langem als zu ihnen gehörig betrachtet. Doch wir müssen kämpfen, um unsere Plätze einzunehmen. Unsere Plätze in der Republik, unsere Plätze im Parlament und in den politischen Parteien. Denn die drei Wörter „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ müssen für alle Franzosen den gleichen Sinn haben.
Wir lassen uns nicht auf Kopftücher, Sprachakzente oder den Glauben reduzieren. Wenn sie uns zurückweisen, lassen wir uns nicht an den Rand drängen! Dieses Mobbing gegen Muslime und das Gesindel, das wir angeblich sind, geht auf die Nerven. Man muss das erlebt haben, um es verstehen zu können. Es kriecht in alle Poren unserer Haut und verleitet uns dazu zu sagen: „Ihr mögt uns nicht, also mögen wir euch auch nicht.“ Man wird geneigt, die Nationalhymne auszupfeifen, man wird paranoid und verbittert, es macht sich Verlangen breit, das Land zu verlassen.
Doch machen wir ihnen nicht dieses Vergnügen!
Unsere Eltern haben sich auf die Reise gemacht, sie sind aus aller Welt gekommen und haben sich hier niedergelassen. Wir aber sind von hier und wir bleiben hier! Wir werden nicht vergessen, woher wir kommen! Wir müssen aber nicht unsere Geschichte verneinen, um Teil der französischen Geschichte zu werden. Wir sind Franzosen! Die französische Fahne gehört uns! Die Nationalhymne gehört uns! Der Laizismus gehört uns! Schliessen wir uns überall in Frankreich zusammen, egal welcher Herkunft wir sind, alle gleich und alle gleichermassen Franzosen. Halten wir das Blaue, das Weisse und das Rote hoch, über unseren Hautfarben und halten wir ihnen unsere Wahlberechtigung unter die Nase!
Wir sind hier zu Hause!!!!!