«Ich habe immer den Eindruck, dass die Leute nach der Vorstellung weicher sind und freundlicher dreinschauen,» sagt Benedikt Kuby, der Autor.
Wer aus diesem Film kommt, hat viel gesehen, was man heutzutage kaum noch sehen kann. Zum Beispiel: Wie man mit Hammer und Amboss eine Sense dengelt. Oder wie oft man Weizen und Roggen durch die Mühle laufen lassen muss, bis das Mehl fein genug ist. Wenn der alte Bauer die Brote aus dem Backofen nimmt, klopft er mit dem Zeigefinger darauf und horcht auf den Klang: «Klingt gut, ist gutes Brot geworden.» In dem frisch gemahlenen Mehl sei noch Aroma drin, sagt der Bauer. Das industrielle Mehl, das Monate lang gelagert wird, habe kein Aroma mehr.
Die TV-Sender waren nicht interessiert. Der Film war zu lang. Und zu langsam. Es gab keinen dramatischen Höhepunkt, es gab nicht einmal einen rechten Konflikt. So musste Benedikt Kuby seinen Film allein machen, ohne institutionelle finanzielle Hilfe. Eine Ein-Mann-Produktion: Buch, Regie, Kamera, Schnitt. Nur die Tonmischung wurde am Ende in einem Studio gemacht, sagt der Dokumentarfilmer:
«Ob dieser Film seine Kosten je reinbringen wird, weiss ich nicht. Wenn es gelingt, die Leute dazu zu bringen, meinen Film anzusehen oder die DVD zu kaufen, ist es vielleicht nicht nur eine Liebhaberei, wie mein Steuerberater immer wieder mitleidig bemerkt.»
Bilder, die ohne Worte erzählen
Close up: die Hände, die das Streichholz entzünden und die Flamme an die Holzscheite im Ofen halten. Der alte Mann, der zum Fenster hinausblickt in das weisse Licht des ersten Schnees. Ein paar braune Blätter zitternd im Wind und dann die Hand, die das Kalenderblatt abreisst. Dieser Film kann ein Leben erzählen, auch da, wo kein Wort geredet wird. Und die Kamera hat es nicht eilig. Sie bringt die Stille zum Tönen und zeigt Gesichter, die keine Antworten wissen und wortlos verharrend mehr sagen als alle Wörter.
Auch im Vorführraum herrschte langes Schweigen, als die Assistentin nach 104 Minuten das Licht anmachte. Als erste von der fünfköpfigen Jury redete die Kanadierin Bernadette McDonald: «Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber für mich ist das ein Kandidat für den grossen Preis.» Selten waren sich alle so schnell einig. Die Jury des Internationalen Bergfilmfestivals im bayrischen Tegernsee hatte Ende Oktober rund sechzig Filme zu begutachten, die in die engere Auswahl gekommen waren. Benedikt Kubys Film «Der Bauer bleibst du» wurde ausgezeichnet mit dem Hauptpreis, dem Grossen Preis der Stadt Tegernsee.
Das Bergfilmfestival fand dieses Jahr zum elften Mal statt. Dass der Hauptpreis – wie schon im vergangenen Jahr – nicht an einen der grossen Alpinismusstreifen ging, zeigt die Bandbreite und die erfreuliche Offenheit des Festivals. Aber auch die Kletterszene kam auf ihre Kosten. In der Kategorie Erlebnisraum Berg wurde «Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance» prämiert. Der Film dokumentiert in atemberaubenden Bildern die erste freie Begehung des legendären Felsturms in Patagonien und ist gleichzeitig ein Porträt des jungen österreichischen Spitzenkletterers David Lama.
Ein Film über Gelassenheit
Auch der Film von Benedikt Kuby ist im weiteren Sinn ein Bergfilm. Er porträtiert den 82jährigen Bauern Heinrich Wanner, der am Inzingerberg, hoch über dem Inntal, seine Landwirtschaft betreibt, vierzig Hektaren, den Wald mit eingerechnet. Der grosse Bauernhof, den er allein bewohnt, ist ein über sechshundert Jahre alter Erbhof, einer der ältesten in Tirol.
Der alte Mann könnte geruhsam hinterm Ofen sitzen, aber er kann sich ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. Es sind die Tätigkeiten, die das Leben der Bauern über Jahrhunderte ausmachten: Die vierzehn Kühe versorgen, das Heu ernten, Bäume fällen und Brennholz machen, die Kartoffeln setzen und ernten, das Werkzeug in Ordnung halten und zu Weihnachten die Krippe aufbauen. Heinz Wanner lebt von seiner Arbeit und für seine Arbeit.
Im Filmkommentar heisst es: «Ich kenn’ diesen Weiler hier überm Inn, drum kenn’ ich auch den Bauern, dem der Hof gehört.» Es ist die grossartige Erzählstimme des Schaupielers Tobias Moretti. Das Narrativ ist gradlinig: ein Winter, ein Frühling, ein Sommer, ein Herbst. Kein Flash-Back in Bildern, keine Archivaufnahmen, keine eingeschobene Vorgeschichte, keine dramatischen Momente, no suspense. Und doch kann man sich diesem langsamen Erzählfluss nicht entziehen. Da ist ein Trichter, der einen hineinsaugt in eine Zeitoase. Und die feine Musik des bekannten Filmkomponisten Enjott Schneider ist wirkungsvoll, weil da ein Dokumentarfilmer am Werk ist, der sie sparsam einsetzt und um das Risiko weiss, dass ein Film mit Musik zugekleistert wird.
Als Benedikt Kuby am vergangenen 26. Oktober auf der Bühne in Tegernsee den Preis entgegennahm, sagte er: «Ich habe einen Film machen wollen über Gelassenheit.» Kuby hatte den Bauern sechzehn Jahre vorher bei Dreharbeiten für das bayrische Fernsehen kennengelernt. Eine lange Inkubationszeit. Er habe lange nachdenken müssen, sagt Kuby, bis er beschlossen habe, den Bauern zu fragen, ob er vor der Kamera reden wollte.
«Dieser Film wäre mit einem TV-Sender nicht möglich gewesen, weil er in kein Format passt und ich mich auch nicht einschränken lassen wollte,» sagt Kuby. «Mir war wichtig den andern Taktschlag, in dem dieser Bauer lebt, deutlich zu machen. Diese Langsamkeit. Nicht dass Heinz Wanner das vorsätzlich so gemacht hätte, er hat einfach ein anderes Zeitgefühl. Und damit war klar, dass ich keinen schnellen Film machen kann, wie er dem Zeitgeist entsprechen würde.»
An der Bruchkante einer Epoche
Der Bauer Heinz Wanner wirtschaftet allein, er hat keine Nachkommen. Nach zehn Generationen würde die Erbfolge auf dem Wannerhof abreissen, und das macht dem 82Jährigen Sorge. Darum hält er Ausschau nach einem Nachfolger und findet ihn bei einer Familie im Dorf: Hannes, 22 Jahre alt, hat gerade die Landwirtschaftsschule abgeschlossen und ist bereit, dem alten Mann zur Hand zu gehen und schliesslich den Hof zu übernehmen.
Der Plot ist nicht mehr und nicht weniger als diese Begegnung zwischen zwei Menschen, die ein Altersunterschied von sechzig Jahren trennt. Der Junge will lernen, wie es früher war, er will das alte Handwerk lernen, das auf keiner Schule mehr vermittelt wird. Und der alte Mann will sein handwerkliches Wissen und Können weitergeben, er will es nicht mit ins Grab nehmen.
Da entwickelt sich ein vorsichtiges und langsames Aufeinanderzugehen, geprägt von Respekt und scheuer gegenseitiger Hochachtung. Und da ist eine Sensibilität, der das Reden schwer fällt. Vielleicht macht eben dies die Wahrhaftigkeit und Authentizität dieses Dokumentarfilms aus. Man hat in keiner Szene den Eindruck, da sei etwas gestellt oder vorgespielt oder eingeübt. Nach Wörtern muss lange gesucht werden, denn in der Welt des Heinz Wanner wurde über Gefühle und Seelenleid nicht gesprochen. Um von der Mutter in den Arm genommen zu werden, musste ein Kind schon richtig krank sein.
Keine Agrarromantik
Wenn Hannes und der alte Bauer den hoch mit Heu beladenen Schlitten durch den Schnee ziehen, weiss man für einen Moment nicht mehr, in welchem Jahrhundert man da angekommen ist. Aber natürlich malt dieser Film keine romantische Oase, natürlich lebt der Wanner-Heinz im 21. Jahrhundert. Er hat ein kleines Auto und auch Motorsägen und einen alten Traktor, mit dem er seine Stämme aus dem Wald zieht. Und er weiss sehr wohl, wie sehr moderne Maschinen den Bauern und Bäuerinnen die Arbeit erleichtern können. Er erzählt auch mal einen Witz, wenn er das Pinup-Girl im Lokalblatt sieht, aber wichtiger ist ihm sicher die Wettervorhersage.
An einer Stelle heisst es: «Der Heinz macht viele Arbeiten immer noch so wie sein Vater und sein Grossvater, weil er den Faden nicht durchtrennen will, der ihn mit einer längst vergangenen Zeit verbindet, der er sich zugehörig fühlt.»
Am Ende des Films wird vor dem Abspann eine Schrift eingeblendet: «Wenige Wochen nach den letzten Filmaufnahmen ist Heinz Wanner nach kurzer Krankheit gestorben.»
Der Film erhielt in Tegernsee nicht nur den höchsten Preis der Jury sondern auch den Publikumspreis. Was nicht erstaunt, wenn man sich vor Augen hält, wie heftig eine Gesellschaft, die im Begriff ist, die Handarbeit auf die Bewegung der PC-Maus zu reduzieren, eine romantische Sehnsucht nach vernünftiger körperlicher Arbeit entwickelt. Für entkörperte Büromenschen, die abends in ihrer Wohnung Pedale treten müssen, um nicht physisch abzusterben, ist der Bauer, der im Sommerwind das Heu mäht, eine mythische Lichtgestalt – Pollenallergie hin oder her. Wenn man Heinz Wanner erzählt hätte, dass die Agrarindustrie Kühe gezüchtet hat, die mehr als hundert Liter Milch am Tag geben und sich nicht mehr bewegen dürfen, weil dies die Leistung beeinträchtigt, er hätte sicher lange in die Kamera geschaut, ohne ein Wort zu sagen.