Die neue Folge der Fluss- und Kanalschiffer-Serie beschreibt den Verkehr auf dem Wasser und gibt eine Ahnung von der Faszination der Schifffahrt.
Für Abergläubische würde die Reise auf dem Wasser von Basel nach Heidelberg mit bösen Ahnungen beginnen. Die Solveig VII liegt im Basler Yachthafen nur einen Steinwurf von einem seltsamen Gebilde entfernt, das aussen an der Hafenwand wie der dunkel glänzende Leib eines Wals aus dem Wasser ragt. Es ist die Unterseite des Baggerschiffs Merlin, das vor einigen Wochen unterhalb der Dreirosenbrücke kenterte, rheinabwärts driftete und schliesslich auf der Höhe des Yachthafens dingfest gemacht werden konnte. Vor einer Woche wartete es noch immer auf seine Bergung.
Regioport heisst die Einrichtung, welche sich die Stadt Basel für die private Schifferei leistet. Doch viel Platz für Gastboote gibt es nicht, und man tut gut daran, sich rechtzeitig beim Hafenmeister anzumelden, um in den Genuss einer Übernachtung im einzigen Schweizer Hafen zu kommen, der mit den Weltmeeren verbunden ist. Wir haben Glück gehabt und liegen direkt an der Spundwand unterhalb eines nicht mehr verwendeten Hafenkrans (vielleicht wäre mit den Zürchern ein Geschäft zu machen) neben einem grell-grünen Gebäude namens Brasilea, das früher einmal eine ehrenhafte Funktion im Basler Rheinhafen innegehabt haben muss und jetzt um seine Existenzberechtigung zu ringen scheint.
Heimweh nach dem Wasser
Hinter einem grünen Schiebetor, das in einen garageähnlichen Raum führt, für den der Architekt des Gebäudes wohl keinen richtigen Verwendungszweck gefunden hatte, verbirgt sich die Infrastruktur des Regioports: Abfallcontainer, Duschen (kein böses Wort darüber, die Kleider bleiben beim Duschen trocken), Frauen-WC und, mit einem separaten Eingang, ein WC für Männer. Es zeugt von einer besonderen pädagogischen Begabung der Basler, dass die neue Regioport-Waschmaschine, die man gegen eine Gebühr benützen darf, im Männer-WC aufgestellt worden ist, direkt neben dem Urinoir. Wahrlich ein Wink mit dem Zaunpfahl zur partnerschaftlichen Arbeitsteilung, ihr lieben Schiffersmänner!
Zwischen dem Brasilea und dem Rhein verläuft ein schmaler Fussweg, auf dem tagsüber die Menschen zum Dreiländereck und zurück pilgern, Touristen aus aller Welt, aber auch Basler, welche zumeist an einer unheilbaren Krankheit leiden: Heimweh nach dem Wasser. Da stehen sie täglich, die ehemaligen Rheinschiffer und Hobbykapitäne, und suchen ein Gespräch mit den Noch-Schiffersleuten. Am zweiten Tage kennen wir sie mit Namen und sie uns.
Begegnungen im Hafen
Da wäre zum Beispiel der pensionierte Kapitän des Kies Ueli, der heute morgen seiner Frau, welche Schiffe nicht ausstehen kann, gesagt hat, er wolle einmal nach dem Fortschritt bei der Bergung des Merlin schauen. Jetzt trinkt er auf der Solveig einen Kaffee und berichtet über frühere Zeiten. (Es ist schon viel darüber geschrieben worden, wieso gerade der Schweizer sich so sehr nach der Weite des Wassers sehnt und zugleich den Heimatverlust fürchtet; also lassen wir dieses Thema ruhen.)
So jämmerlich sich die Infrastruktur des Regioports auch darbietet, an positiven menschlichen Begegnungen fehlt es in diesem Hafen nicht, ja der «Gastlieger», wie er im Jargon genannt wird, kommt sich nach ein paar Tagen wie Odysseus bei Kirke vor, weil es ihm bei all den netten Hafenleuten so wohl ist, dass er die Weiterreise vergessen könnte.
Doch zum Glück haben wir mit einem Freund eine Fahrt nach Breisach vereinbart. In der Nacht zuvor weckt uns ein immer stärker werdendes Geräusch. Als ich mit einer Taschenlampe an Deck gehe, schiebt sich aus dem Dunkeln der riesige weisse Bug eines Hotelschiffs auf das Heck unserer plötzlich winzig wirkenden Solveig zu. Ob der Kapitän in seinem weit entfernten Steuerhaus wohl weiss, was er tut, frage ich mich. Ein Matrose gibt mir ein beschwichtigendes Zeichen, spricht in sein Funkgerät, und langsam schiebt sich der Bug seitlich ans Quai, nur wenige Meter von unserem Heck entfernt.
Im Kanal rheinabwärts
Abfahrt am nächsten Tag: Der leise brummende Motor der Solveig vermittelt Zuversicht, denn nach dem kürzlichen Hochwasser ist die Strömung im Rhein noch immer stark, und es gilt, die Solveig seitlich zwischen dem Hotelschiff und den im Regioport liegenden Schiffen aufs offene Wasser hinaus zu manövrieren. Per Funk melden wir uns bei der Basler Revierzentrale ab, kurz danach biegen wir aus dem alten Lauf des Rheins in den rund fünfzig Kilometer langen Grand Canal d’Alsace ein, den die Franzosen nach der Rückgewinnung des Elsass nach dem ersten Weltkrieg auf ihrer Seite des Rheins zu bauen begonnen hatten, wohl nicht nur für den Bau von Wasserkraftwerken, die sie übrigens mit Deutschland teilen müssen, sondern auch aus strategischen Überlegungen.
Jedenfalls kann es kein Zufall sein, dass alle zehn Schleusen und die zugehörigen Kraftwerke unterhalb von Basel auf dem linken, also französischen Ufer liegen. Die letzte Schleuse (Iffezheim) liegt nur vierzig Kilometer nördlich von Strasbourg. Von dort an ist der Rhein bis in die Nordsee, also über rund 700 Kilometer, freifliessend.
Für die Schifffahrt bildet die Schleuse Iffezheim eine Zäsur: Oberhalb verläuft die Wasserstrasse mehrheitlich in kanalisierten Abschnitten. Dort ist die Wassertiefe auch bei niedrigem Abfluss stabil und die Strömung weniger turbulent. Allerdings werden die von den grossen Frachtschiffen erzeugten Wellen an den glatten Kanalwänden kaum gedämpft, so dass man als Hobbykapitän nach einer Schiffskreuzung noch über mehrere Kilometer gegen die hinter den grossen Schiffen herlaufenden Heckwellen anzukämpfen hat, was unsere Bordhündin Zora nicht besonders schätzt.
Auf freifliessendem Wasser
Weit anspruchsvoller ist das Befahren des freifliessenden Rheins. Wer sich hier nicht an die oft im Zickzack verlaufende, durch grüne und rote Bojen markierte Fahrrinne hält, läuft Gefahr, auf eine Buhne aufzufahren. Buhnen sind vom Land aus quer zur Flussrichtung errichtete Steinwälle, welche das Wasser in die Fahrrinne zwingen und so auch bei kleinem Abfluss eine minimale Tauchtiefe garantieren.
Bei Hochwasser werden die Buhnen überspült, bleiben also für das ungeübte Auge unsichtbar. Mit der Zeit lernt man zwar, aus den turbulenten Mustern an der Wasseroberfläche die Buhnen zu lokalisieren. Doch wehe dem Anfänger, der sein Schiff auf eine Buhne steuert, wie vor vielen Jahren der Kapitän der Solveig. Zum Glück ging damals alles gut; der massive Stahlrumpf der Solveig liess die schlechte Behandlung stoisch über sich ergehen und zeigte später, als das Schiff für das Winterlager aus dem Wasser kam, kaum Kratzspuren.
Entgegen kommende Kolosse
Es ist wichtig, auf dem Rhein eine erfahrene Matrosin neben sich zu wissen, welche mit dem Feldstecher rechtzeitig die roten und grünen Markierungen und die Fahrlage der entgegen kommenden Schiffe erspäht. Denn man ist, auch bei gedrosseltem Motor, rheinabwärts schnell unterwegs. Bei Hochwasser erreicht die Strömungsgeschwindigkeit im freifliessenden Rhein stellenweise bis gegen zehn Kilometer pro Stunde. Bergwärts fahrende Schiffe scheinen im Fluss stehenzubleiben, doch als Talfahrer ist man ihnen schneller nahe, als einem lieb ist.
Denn da gibt es neben den Markierungsbojen im Fluss ein weiteres Detail zu beachten, an das man sich zuerst gewöhnen muss. Mit einer quadratischen blauen Tafel, die rechts am Steuerhaus herausgeklappt wird, können Bergfahrer anzeigen, ob sie, um der grössten Strömung auszuweichen, links (Steuerbord an Steuerbord, wie der Jargon heisst), statt rechts (Backbord an Backbord) kreuzen wollen. Nicht selten erlebt es der Hobbyschiffer, dass ihm auf gleicher Höhe zwei Bergfahrer begegnen, der eine mit gesetzter blauer Tafel, der andere ohne. Da gibt es nur eines, nämlich zwischen den beiden Kolossen seinen Weg zu suchen und sich durch die sich addierenden Heckwellen nicht irremachen zu lassen.
Gefühl der Geborgenheit
Unsere Fahrt von Basel bis Heidelberg dauert vier Tage. Übernachtungsorte findet man bei örtlichen Motorbootclubs, zum Beispiel in Breisach, wo wir unseren Gast auf den Zug zurück nach Basel brachten, oder in Kehl am deutschen Ufer bei Strasbourg. Auf dem freifliessenden Rhein liegen die Häfen oft romantisch in strömungslosen Altläufen. Will man sie ansteuern, muss man als Talfahrer im Fluss wenden und dann, mit voller Motorleistung gegen die Strömung ankämpfend, von unten in die engen Einfahrten zielen.
Unbeschreiblich das Gefühl der Geborgenheit, hat man das Schiff dann endlich sicher am Steg festgemacht, den Motor gestoppt und sich entspannt an Deck in einen Sessel sinken lassen. So muss den ersten Fliegern zumute gewesen sein, welche über die Alpen oder über die Meere geflogen sind.