Man kann den aktuellen Zustand des europäischen Bankensystems anhand des Gefasels der Banker beurteilen. Die sind «gut aufgestellt», haben die «nötigen Umpositionierungen» vorgenommen, ihr «Risk Management optimiert» und fühlen sich «fit für die veränderten Rahmenbedingungen». Also kein Anlass zur Sorge, oder? Man kann den Zustand der Banken aber auch an einem einfachen Indikator messen. Der trägt den Namen «Interbanking». Das besteht darin, dass sich Banken untereinander und kurzfristig Geld verleihen, wenn im Tagesgeschäft einer der beiden Partner dem anderen Geld schwach ist. Allerdings: Man verleiht natürlich nur Geld, wenn man berechtigter Hoffnung ist, es auch wieder zurückzukriegen.
Man kennt sich
Während Bankensprecher und besoldete Kommunikationsabteilungen nicht müde werden, den Bankkunden zu erklären, dass Vertrauen die Grundlage jedes Finanzgeschäfts ist und der Sparer oder Investor darauf vertrauen kann, dass sein Geld sicher ist, sieht es im Interbankinggeschäft ganz anders aus. Ganz einfach, weil ein Bangster den anderen kennt. Ganz einfach, weil jeder führende Bankmanager weiss, wie es in Wirklichkeit um sein Finanzinstitut bestellt ist. Und da er messerscharf daraus schliesst, dass es den anderen Banken auch nicht besser geht, hütet er sich davor, seinen Kollegen einfach so Geld zu verleihen.
Sicher ist sicher
Das führt dazu, dass Geschäftsbanken ihr Geld lieber bei der EZB parken, sicher ist sicher. Momentan liegen dort rund 412 Milliarden Euro, absoluter Rekord seit der Einführung dieser Fehlkonstruktion. Der «Angst-Indikator», wie es der «Spiegel» treffend nennt, schwoll alleine vom letzten Freitag bis diese Woche um 65 Milliarden Euro an. Das bedeutet, dass die meisten Banken lieber auf die doppelt so hohen Zinsen verzichten, die sie einstreichen könnten, wenn sie das Geld untereinander verleihen. Und wann verzichtet ein Banker schon auf einen Profit? Richtig, wenn er ernsthaft Schiss hat, dass statt eines Profits ein Verlust aus dem Geschäft resultieren könnte. Konkret bedeutet das: Bank A leiht Bank B nicht mal mehr über Nacht Geld, von längerfristigen Krediten ganz zu schweigen. Weil Bank A Angst hat, dass es um Bank B genauso mies bestellt ist wie um sie selbst und Bank B morgen oder übermorgen die Schalter schliessen könnte.
Und die Realwirtschaft?
Eigentlich erhoffte sich die EZB mit ihrem Geldsegen, dass Banken dieses faktische Gratis-Geld an die Wirtschaft weiterreichen würden, was ja eigentlich auch ihre wichtigste Aufgabe ist. Das ist aber mit vielen Umständen, Überprüfung der Firma, Verständnis für das Geschäftsmodell, Abschätzen der Risiken und Papierkrieg verbunden. Also mit Arbeit. Aber wieso sollte ein Banker arbeiten, wenn er sich fast umsonst Geld bei der EZB leihen kann, dafür bloss absaufende Staatspapiere aus seinem Giftschrank rausnehmen und als Sicherheit hinterlegen darf – und mit dem Gratisgeld ein paar scharfe Derivate-Spekulationen machen kann? Braucht nur ein paar Klicks auf der Tastatur, und die Wette gilt. Geht sie gut aus, kassiert der Banker locker 25 oder mehr Prozent Profit. Geht sie schief, dann ist die Bank halt blank, deswegen werden Kommissionen, Kick-backs und andere Bereicherungsmöglichkeiten immer «up front» fällig, also beim Abschluss des Geschäfts, nicht bei seinem Resultat.
Die Schlange beisst sich in den Schwanz
Ein weiteres Geschäftsmodell ist so einfach, dass es sogar der Krawattenknopf eines Bankers kapiert. Ich leihe mir für läppische 1 Prozent Zinsen Gratisgeld bei der EZB und haue es in den nächsten Verkauf von Staatspapieren, die in Europa ja zwischen 2 bis 7 Prozent Zinsen abwerfen. Die deponiere ich als Sicherheit bei der EZB und spekuliere darauf, dass die EZB solche Papiere schon retten wird, sollten sie absaufen. Also wird die EZB, ähnlich wie das Fed in den USA, zum grössten Gläubiger von europäischen Staaten. Und stabilisiert mit ihrer Gelddruckerpresse diese Schulden. Entweder kann sich eine Schlange in den Schwanz beissen, ganz auffressen und verschwinden, oder dieses Modell ist absurd und höherer Blödsinn.
Schalmeientöne und Dissonanzen
Die Banken trauen also der Kreditvergabe an die produzierende Wirtschaft nicht, trauen sich gegenseitig nicht und fahren fröhlich fort, ihre Chips im Zockerkasino einzusetzen. So verpufft der gesamte Geldsegen der EZB wirkungslos. Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen trompeten die Banker ihren Kunden ins Ohr. Untereinander haben sie null Vertrauen, und Kreditvergaben an die Realwirtschaft sind ihnen zu kompliziert, zu aufwendig und bringen zu wenig Profit. Da erhebt sich doch die einfache Frage: Wieso braucht es solche Banken überhaupt? 95 Prozent ihrer Tätigkeit ist offenkundig überflüssig, unsinnig und gleichzeitig brandgefährlich. Der gesellschaftliche Nutzen der meisten Banken ist kaum messbar, lediglich einige Angestellte verdienen sich weiterhin dumm und krumm. Naive Frage: Wieso werden solche Banken nicht einfach abgeschafft? Sie würden eine Lücke hinterlassen, die sie vollständig und restlos ersetzt.