Die Hamas gab am 23. Juli bekannt, dass sie in Peking mit anderen palästinensischen Organisationen, darunter der Fatah, ein Kooperationsabkommen für eine «nationale Einheit» unterzeichnet habe. Man habe sich darauf geeinigt, eine «nationale Übergangsregierung der Versöhnung» zu bilden, die den Gazastreifen nach dem Krieg regieren solle.
Der Hamas-Unterhändler Musa Abu Marzuk bestätigte, dass sich die Hamas zur «nationalen Einheit» bekannt habe. Neben Hamas und Fatah stimmten zwölf weitere palästinensische Gruppen dem Abkommen zu, darunter der Islamische Dschihad und die PFLP.
Ein Etappensieg der Hamas
Die jahrelangen Bemühungen der Arabischen Liga und einiger Länder wie Ägypten, Saudi-Arabien, Türkei, Algerien und schliesslich jüngst auch Russlands, Fatah und Hamas zu versöhnen oder zumindest ihre Differenzen zu verringern, waren allerdings gescheitert. Und daher steht zu erwarten, dass auch dieses Abkommen zu keiner substanziellen Veränderung der politischen Situation führen wird. Ein Funktionär der Fatah-Bewegung liess verlauten, das Abkommen werde bei den Palästinensern keine Begeisterung auslösen, und die Fatah sei sich bewusst, dass die Hamas mit dem Abkommen in den Institutionen der PLO und der Palästinensischen Autonomiebehörde Fuss fassen wolle.
Für die Hamas ist das Abkommen ein Etappensieg in der politischen und teilweise militärischen Auseinandersetzung mit der Fatah. Die Fatah und die anderen palästinensischen Organisationen verzichteten darauf, die Hamas öffentlich zu beschuldigen. Immerhin hatte die Hamas im Juni 2007 in Gaza gegen die durch Wahlen legitimierte Regierung geputscht und ohne Mandat am 7. Oktober 2023 den Krieg gegen Israel eröffnet, in dessen Folge Zehntausende Menschen in Gaza getötet oder verletzt wurden. Da die Palästinensische Autonomiebehörde 2023 nominell die staatliche Souveränität über Gaza innehatte, war sie indirekt für den Angriffskrieg und die Kriegsverbrechen wie Geiselnahmen verantwortlich. Tatsächlich hatten Fatah-Funktionäre in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert, die Hamas müsse sich vor einem palästinensischen Gericht verantworten. Andere betonten hingegen, die Hamas habe im nationalen Interesse gehandelt und auf eine Notsituation in Gaza reagiert. Deshalb müsse die palästinensische Regierung den militanten Widerstand unterstützen und politisch integrieren.
Einzelheiten mit Fragezeichen
Der Fatah-Unterhändler Mahmud al-Alul, der heute Mitglied des Zentralkomitees der Fatah und einer ihrer Vizepräsidenten ist und seit Langem als politischer Rivale von Mahmud Abbas gilt, will die Brandmauer zur ultranationalistischen Hamas einreissen und sie in die politische Parteienlandschaft reintegrieren. Al-Alul, der gegen Ende der zweiten Intifada noch für gewaltfreien Widerstand eingetreten war und 2003 die von Ami Ayalon und Sari Nusaiba ausgearbeitete Grundsatzvereinbarung für ein Friedensabkommen zwischen den Palästinensern und dem Staat Israel auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung unterstützt hatte, sprach sich vor einigen Jahren wieder für den bewaffneten Widerstand gegen Israel aus. Offenbar ist er politisch wieder näher an die Hamas herangerückt.
Die Fatah wird hoffen, mit der politischen Einbindung der Hamas auch die Hegemonie über die palästinensische Sache zurückzugewinnen. Und sie wird sicherlich auch erwarten, dass sie mit dem Abkommen die Hamas politisch so einbinden kann, dass diese nicht mehr als parastaatlicher Akteur agieren kann.
Fatah und Hamas verhandeln seit 2005 über eine politische Zukunft in Form einer kollektiven Regierungsverantwortung. In bisher elf Abkommen wurden die Bausteine einer Zusammenarbeit immer wieder beschworen: Unterordnung unter die PLO als einzige Repräsentationsinstanz des palästinensischen Volkes, Expertenregierung aus allen politischen Lagern, Sicherung der Legitimität durch Wahlen zum Nationalrat und zur Präsidentschaft sowie Selbstverpflichtung auf den Widerstand gegen die Besatzung einschließlich der damit verbundenen politischen Ziele. Auch die jetzige «Erklärung von Peking», die mittlerweile 12. ihrer Art, folgt diesem Muster. Neu ist lediglich die Verpflichtung zum Aufbau gemeinsamer Institutionen. Dies könnte bedeuten, dass die Hamas bereit ist, ihre Milizen nach einem Abzug der israelischen Truppen aus Gaza einem gemeinsamen palästinensischen Kommando zu unterstellen.
Aus dem Text lässt sich auch eine Verschärfung des Tons herauslesen. Zwar würde die Hamas mit einer Selbstunterstellung unter die PLO deren völkerrechtliche Verpflichtungen wie die Anerkennung Israels in den Grenzen von 1967 und den Gewaltverzicht übernehmen, doch wird dies nicht bestritten; im Gegenteil, durch die explizite Bezugnahme auf den UN-Teilungsbeschluss der Resolution 181 von 1948 und die Nichterwähnung der Resolution 242 von 1967 wird der Eindruck erweckt, die Unterzeichner stellten die Uhren noch weiter zurück und forderten nachträglich die Umsetzung des Teilungsplans von 1948.
Es mag sein, dass die Verschärfung der Tonlage nicht nur als Zugeständnis an die Hamas zu verstehen ist, sondern auch als Protest gegen die jüngste Entscheidung der israelischen Knesset gegen jegliche Zweistaatenlösung. Wie repräsentativ die Pekinger Erklärung ist, bleibt abzuwarten. Schon jetzt gibt es empörte Stimmen aus der Fatah, die sich gegen jede Regierungsbeteiligung der Hamas aussprechen. Es wird befürchtet, dass eine Beteiligung der Hamas die Legitimität der palästinensischen Regierung gänzlich in Frage stellen und gegebenenfalls sogar radikale Kräfte in der israelischen Regierung ermutigen könnte, die Autonomiebehörde weiter «auszutrocknen».
Lähmung der Fatah
Angesichts der Realität vor Ort dürften solche Vereinbarungen aber nur auf dem Papier gestanden haben. Die Hamas als politische Partei, die im Rahmen einer Koalitionsregierung für die zukünftige Verwaltung nicht nur von Gaza, sondern auch der Westbank mitverantwortlich wäre, kann nur durch Vertreter ihrer Auslandsorganisation funktionieren. Allerdings wird Israel sicherlich darauf achten, dass die Kader der Hamas keine Möglichkeit finden, in Palästina selbst politisch aktiv zu werden.
Damit aber hat sich die Fatah als führende Kraft in der palästinensischen Politik selbst gelähmt. Je mehr sie ihr politisches Schicksal mit der Hamas verknüpft, desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie und damit die PLO überhaupt eine ernsthafte Rolle in der politischen Nachkriegsplanung für Gaza spielen werden. Es ist davon auszugehen, dass die politische Zukunft Gazas ohne aktive Beteiligung der Palästinensischen Autonomiebehörde gestaltet wird. Indirekt wird es sicherlich eine Beteiligung insofern geben, als israelische Stellen die Zusammenarbeit mit jenen Familien in Gaza suchen werden, die sich in Opposition zur Hamas sehen und oft mit der Fatah verbunden sind.
Auffällig ist, dass in der Pekinger Erklärung Russland und China ausdrücklich als Garanten einer neuen, antiamerikanischen Weltordnung genannt werden. Die chinesische Regierung sieht in der Vermittlung eine Möglichkeit, ihre strategische Position im Nahen Osten zu verbessern und zu stärken. Der chinesische Aussenminister Wang Yi, der zu dem Treffen eingeladen hatte, stellte klar, dass die in der «Pekinger Erklärung» vereinbarte «Versöhnung» sowie eine zukünftige gemeinsame Verwaltung Gazas internationale Unterstützung erfordere, und sieht China offenbar in der Rolle einer zukünftigen Garantiemacht. Dies würde dem Land die Chance eröffnen, eine wichtige wirtschaftliche und politische Rolle beim Wiederaufbau Gazas zu spielen. Damit wäre China der einzige wirkliche Nutzniesser einer solchen Vereinbarung.