Dieser Beitrag wurde am 10. Dezember 2019 geschrieben. Am 13.12. meldete das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), dass dem Produkt Chlorothalonil die Zulassung per sofort entzogen werde und ab 1.1.2020 es verboten sei, das Produkt zu verwenden. Manchmal bewegen sich die Behötrden auch hierzulande schneller, als man denkt.
Während Generationen lehrte man uns: Trink Wasser aus dem Wasserhahn. In der Schweiz ist es frisch und sauber, unbedenklich und zudem günstiger als Mineralwasser!
Pflanzengift im Trinkwasser
Im Juli 2019 informierten Radio und TV SRF über Trinkwasserproben, die alarmierende Messwerte ergaben: Die zugelassenen Höchstwerte an Chlorothalonil-Rückständen würden mehrfach überschritten. Kantone haben erste Massnahmen verfügt: Die betroffenen Gemeinden müssen jetzt ihr Trinkwasser „überwachen“. War’s das jetzt?
Auch andere Gemeinden, z. B. im Kanton Zürich sind betroffen. In Trüllikon erhielt der Werkvorsteher der Gemeinde im Sommer 2019 die lapidare Mitteilung des kantonalen Amts für Abfall, Wasser, Energie, „dass in einer ihrer Grundwasserfassungen die Grenzwerte bei den Rückständen des Pflanzenschutzmittels Chlorothalonil deutlich überschritten wurden.“ (TA) Was jetzt? Stilllegung – und was ist dann mit der Versorgungssicherheit der Gemeinde? In Andelfingen hat man vorsorglicherweise schon mal mehrere Dorfbrunnen abgestellt.
Hier wird ein Thema bagatellisiert. Da überlässt der Bund elegant den betroffenen Gemeinden den Handlungsbedarf bei einem nationalen Problem, dessen Herkunft bekannt ist, aber lieber hinter vorgehaltener Hand kommuniziert wird. Betroffen sind in den oben genannten Fällen Gemeinden des Kantons Solothurn und Zürich. Intensiv betriebene Landwirtschaft hat zur Folge, dass gleich an mehreren Standorten die zulässigen Grenzwerte von 0,1 Mikrogramm/Liter überschritten wurden.
Da stellen sich verschiedene Fragen. Wie wurde seinerzeit überhaupt der Grenzwert festgelegt? Wie sähen die Messresultate andernorts aus, würden auch dort Messungen überhaupt vorgenommen? Wie gefährlich sind diese Befunde für Konsumentinnen und Konsumenten?
Die Vorgeschichte
Chlorothalonil ist seit gut 40 Jahren im Trinkwasser, sagen Experten. Es wird vor allem gegen Pilzbefall in Acker-, Obst- und Rebbau eingesetzt. Doch anfangs 2019 hat die EU das Pestizid per 1.1.2020 verboten. Gemäss SRF wird das Bundesamt für Landwirtschaft die Bewilligung für Chlorothalonil widerrufen. Vielleicht per Herbst 2020, bis dann darf das Fungizid weiter gebraucht werden. Denn auch bei uns tönt es jetzt anders als auch schon. Chlorothalonil wird neu als „relevant“ eingestuft – „eine Gesundheitsgefährdung kann nicht ausgeschlossen werden; der Stoff könnte Krebs oder Genveränderungen auslösen“. Deshalb behalten die Behörden die Konzentration besser im Auge …
Ein anderes Bundesamt, jenes für Umwelt (Bafu) berichtet derweil, dass das Grundwasser in der Schweiz durch Pestizide und Nitrat verunreinigt, mancherorts sogar gefährdet sei. An mehr als der Hälfte der 600 Messstellen würden Rückstände im Trinkwasser gefunden. Verantwortlich für die Verunreinigungen sei mehrheitlich die Landwirtschaft.
Hersteller gegen Behörden
Warum tun sich die Behörden in der Schweiz so schwer mit einem generellen Verbot von Chlorothalonil? Wo doch die Kantonschemiker in einer Stichprobe längst nachgewiesen haben, dass „ annähernd 170’000 Schweizerinnen und Schweizer im Frühling 2019 kontaminiertes Wasser getrunken haben“ (Sonntagszeitung)? Obwohl also die EU zum Schluss kam, dieses Mittel wäre krebserregend, „bearbeitet“ dessen Hersteller, der Agrochemie-Riese Syngenta, unsere Behörden mit neuen Daten, die beweisen sollen, dass dieses Fungizid und seine Abbaustoffe unbedenklich seien.
Dies verweist auf ein anderes Problem. Da der Bund verpflichtet ist, alle Befunde sorgfältig zu prüfen, braucht er viel Zeit dafür. Würde der Hersteller gegen ein Verbot Rekurs einlegen, könnten wir noch länger darauf warten. Gemäss BLW (Bundesamt für Landwirtschaft) sind tatsächlich 14 Produkte zu finden, die seit mehr als vier Jahren geprüft werden (!). Nichtsdestotrotz, auch wenn organisatorische Probleme mitwirken – Personalprobleme offensichtlich – lässt es sich verantworten, dass die Bevölkerung die Suppe auszulöffeln hat?
Bundesamt gegen Bundesamt?
Dass die Landwirtschaft hauptschuldig an der Misere ist, darüber ist man sich einig. Bevor man jetzt dem einzelnen Bauernbetrieb etwas vorwirft, (diese wehren sich gegen Anwürfe, sie vergifteten unsere Natur. Sie hätten sich an die zugelassenen Produkte zu halten), sollte man die dubiose Rolle des BLW näher beleuchten. Denn das Bafu fordert seit Jahren mehr Transparenz in dieser Giftwelt. Die Pestizidgegner werfen denn auch dem BLW „seit Jahren vor, die Interessen der Agrochemie und der Bauern über alles zu stellen“. (TA)
Der Vorsteher des Gewässerschutzamtes des Kantons Bern fordert jetzt gar ein Verbot gefährlicher Pestizide. Er ist der Meinung, dass die besonders toxischen Spritzmittel gleich ganz aus den Giftschränken der Landwirte zu verschwinden hätten (sonntagszeitung). Er wird unterstützt durch Kantonschemiker aus anderen Kantonen, die nachdoppeln, dass ihre neuesten Messungen an kleinen Fliessgewässern zeigten, dass bei diesen Substanzen grosser Handlungsbedarf bestünde.
Taktieren statt verbieten?
Angesichts der Tatsache, dass gleich zwei Volksinitiativen Licht ins Dunkel der Pestizide-Welt bringen wollen (Trinkwasserinitiative und Verbot von Pestiziden), kann man feststellen, dass an verschiedenen Orten die Geduld ausgeht. Müssen wir uns eigentlich bieten lassen, dass wir kontaminiertes Trinkwasser aus dem Wasserhahn lassen, wissentlich, und dass „im Moment“ kein Kraut dagegen gewachsen ist? Bekanntlich haben Nationalrat und Bundesrat diese beiden Initiativen ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Ob das der Weisheit letzter Schluss sein kann, daran zweifeln aber jetzt die Wirtschaftskommissionen von National- und Ständerat. Gefordert wird endlich eine „gesetzliche Verankerung eines Absenkungspfades mit verbindlichen Zielwerten für das Risiko beim Einsatz von Pestiziden“.
Was immer im nächsten Jahr die Wirtschaftskommissionen und die beiden Räte beschliessen werden – vielleicht wären sie gut beraten, für einmal Nägel mit Köpfen einzuschlagen? Verbindliche Beschlüsse zur Pestizid-Bekämpfung sind überfällig. Dass sogar der umtriebige Bauernpräsident Markus Ritter diese Idee unterstützt, lässt natürlich den Verdacht aufkommen, dass er befürchtet, andernfalls würden die angedrohten beiden Volksinitiativen an der Urne angenommen. Tatsächlich zeigen erste Umfragen eine hohe Zustimmung im Volk für beide Anliegen.
Was dann für die Bauern ein echtes Problem wäre. Der Taktiker Ritter gibt schon prophylaktisch seine Meinung bekannt: „Die Initiativen sind viel zu radikal. Es wird 30 bis 40 Prozent Ja-Stimmen geben.“ (DIE ZEIT) Ritter, bekannt für seine geschmeidigen, bauernschlauen Ratschläge begibt sich da für einmal aufs Glatteis, denn üblicherweise meidet er unliebsame Themen – er schweigt sie lieber tot.
Konsumentinnen und Konsumenten unseres Hahnenwassers sollten nicht für dumm verkauft werden. Volksabstimmungen haben schon früher für Korrekturen und Überraschungen gesorgt.