Mit der Zulassung von Gruppenanfragen wird sich der Schweizer Staat ein weiteres Mal dem Rechtsimperialismus der USA beugen. Um diesen bedenklichen Vorgang besser zu verstehen, eine Umkehrung. Im Land of the Free existieren bekanntlich absurde Gesetze. Dazu gehört, dass es verboten ist, im Auto offen Alkoholika mit sich zu führen. Sie müssen zumindest mit der berüchtigten braunen Papiertüte verhüllt sein.
Was würde die Schweizer Öffentlichkeit davon halten, wenn aus Washington die Order käme: Die Einhaltung dieser Vorschrift ist, zumindest bei US-Bürgern, auch hierzulande zu gewährleisten, Verstösse seien zu melden und zu sanktionieren? Die Eidgenossen würden sich totlachen.
Eine Umkehrung
Was würden die Amerikaner sagen, wenn die Schweiz anheischig machte, dass das Schweizer Bankgeheimnis, zumindest für dort lebende Schweizer Bürger, auch in den USA zu respektieren sei? Die Amis würden sich totlachen. Nehmen wir an, Saudi-Arabien würde für seine in der Schweiz lebenden Staatsbürger die Anwendung der Scharia fordern. Oder der Iran die Meldung von unislamischen Äusserungen aus der Schweiz im Internet von persischen Autoren an die zuständige Ayatolla-Behörde in Teheran. Lachhaft.
Die Wirkung von Landesrecht findet normalerweise ihr Ende an der Staatsgrenze. Alles Weitere regelt zwischenstaatliche Rechtshilfe, als Ausdruck der Rechtssouveränität jeder Nation. Das sind keine juristischen Finessen, sondern Fundamente der Rechtsstaatlichkeit.
Rechtssicherheit
Zur Rechtsstaatlichkeit gehört Rechtssicherheit. Diese verbietet, Ex-post-Gesetze zu erlassen, auf Deutsch: heute eine gestern legale Tat rückwirkend für illegal zu erklären. Rechtsstaatlichkeit gebietet, sich gegen Übergriffe fremder Staaten im Inland zu wehren und die Geltung der eigenen Gesetze im Inland für Inländer und Ausländer durchzusetzen. Rechtsstaatlichkeit heisst nicht: automatische Übernahme von im Ausland geltendem Recht. Das sind keine formalistischen Winkelzüge, sondern wichtigere Prinzipien als im Rütlischwur. Wird diese Bastion geschleift, herrscht Willkür, das Recht des Stärkeren, reiner Wildwest.
Es geht natürlich nicht darum, Lumpereien zu verteidigen, die geschützt vom Schweizer Bankgeheimnis begangen wurden. Genauso wenig wie Rechtsverstösse von Schweizer Bankern in den USA. Aber es kann nicht sein, dass Schweizer Banken zum zweiten Mal zur Herausgabe von Kundendaten genötigt werden. Mit der Drohung, sonst gegen sie Anklage zu erheben, obwohl sie im Rahmen der Schweizer Gesetze in der Schweiz nichts Illegales gemacht haben. Davor müsste sie der Schweizer Staat schützen, tut es aber nicht.
Rasterfahndung
Es war sicherlich keine gute Geschäftsidee, US-Steuerpflichtigen die Tresortüren zu öffnen. Vor allem nicht nach dem Kniefall der UBS und einem ersten Kniefall mit Notrecht und Rechtsbruch von Schweizer Behörden. So anstössig man ein solches Geschäftsgebaren auch bewerten mag, es war und ist bis heute in der Schweiz legal. Erschreckend illegal ist hingegen die Zulassung von Gruppenanfragen, denn das bedeutet, dass nun Banken selbst nach eigenem Gutdünken entsprechende Kunden aussortieren und den US-Behörden ausliefern sollen.
Diese Rasterfahndung ohne konkrete Verdachtsmomente gegen bestimmte Personen führt dazu, dass Finanzinstitute als Ermittlungsorgane Untersuchungen durchführen müssen, bevor im ausländischen Staat überhaupt Strafverfahren eingeleitet wurden. Damit wird eine Büchse der Pandora geöffnet, deren Inhalt den Schweizer Staat mehr beschädigt als jede Duldung der Beihilfe zu Steuerhinterziehung.
Macht bricht Recht
Geht es den USA denn wenigstens, wenn auch nach bewährter Cowboy-Manier, ums Recht? Die Frage liegt nahe, wieso sie es denn nicht zuerst innerhalb ihres legalen Zugriffsbereichs umsetzen, zum Beispiel in Delaware oder Florida. Aber darum geht es nicht. Sondern hier gilt: Macht bricht Recht. Die USA bekamen nach dem Fall UBS 780 Millionen Dollar Busse plus die Auslieferung von Tausenden von Kundendaten. Nun wollen sie eine Busse im Multimilliardenbereich und Zehntausende von Kundendaten.
Offensichtlich hat das Handeln hüben und drüben vom Grossen Teich nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun. Obwohl dieser Wert entschieden wichtiger ist als das Bankgeheimnis.
(Dieser Kommentar erschien zuerst am 4. März im «Sonntag».)