Der Privatanleger denkt längerfristig und weiss, dass stabile Firmen mit einem bewährten Geschäftsmodell und sicheren Absatzmärkten auch in einem Jahr noch existieren werden. Bei Fondsgesellschaften und Banken haben aber die sogenannten Risikomanager die Macht übernommen. Die handeln, unterstützt von automatisierten Computerprogrammen, kurzsichtig und dumm. Die «Financial Times Deutschland» beschreibt ihr schädliches Tun: «Deren Sicherungsmodelle heissen "Short Future", "Constant Proportion Portfolio Insurance", "Stop Loss" oder "Direct Hedge", machen aber im Kern alle das gleiche: Sie verkaufen, wenn die Kurse zu stark fallen.» Statt geballter Fachkompetenz wildes Herumflattern und Gackern wie auf dem Hühnerhof. Also nichts Neues.
Ursache ...
Da es hier kein Walten von unsichtbaren Händen oder gar verunsicherten, nervösen oder pessimistischen Märkten gibt, muss man einen Blick auf die Ursachen werfen, um die Wirkungen zu verstehen. Ursache Nummer eins ist das Überschwemmen der Welt mit Gratisgeld. Das fing an mit der Rettung des Hedgefonds LTCM anno 1998. Die Zockerbude war in Schieflage geraten, musste aber, obwohl es den Ausdruck «too big to fail» damals noch gar nicht gab, angesichts eines Schuldenbergs von über 125 Milliarden Dollar gestützt werden. Alleine die UBS konnte sich dabei mehr als 700 Millionen ans Bein streichen. Entscheidend war aber, dass der damalige Chef der US-Notenbank Fed, Alan Greenspan, auf die verbrecherische Idee kam, die Leitzinsen zu senken. Als dann die Dotcom-Blase platzte, tat er es wieder, und danach wieder und wieder. Lange Zeit wurde Greenspan als Orakel, als Entdecker des Steins der Weisen in der Geldpolitik hochgejubelt. Heute weiss man allenthalben, dass er die Hauptschuld am ganzen Schlamassel der letzten 13 Jahre trägt.
... und Wirkungen
Ohne Gratisgeld hätten sich keine einkommens- und vermögenslosen Hausbesitzer bis über den Scheitel verschulden können. Ohne Gratisgeld hätten nicht ganze Bevölkerungsschichten, ja ganze Staaten über ihre Verhältnisse und auf Pump leben können. Ohne Gratisgeld wären keine perversen Finanzvehikel wie der ganze Derivatezoo erfunden, geschweige denn verkauft worden. Ohne Gratisgeld hätten verantwortungslose Politiker Staatsschulden nicht auf das Niveau des gesamten Bruttoinlandprodukts ihrer Länder treiben können. Und ohne Gratisgeld hätten geldgierige Bangster nicht den grössten Bankraub aller Zeiten begehen können. Alleine durch das Verpacken, Umverpacken und Verteilen von Hypothekarschrottpapieren verdienten sie Boni in der schwindelerregenden Höhe von rund 1000 Milliarden Dollar. Und noch im Jahr 2010 zahlten US-Banken, die kurz zuvor noch am Staatstropf hingen, mehr als 130 Milliarden Boni aus. Money for nothing und neuer Weltrekord.
Die Geiselhaft
Ohne Gratisgeld wären schliesslich nicht ganze Staaten in die Geiselhaft eines aufgeblähten und unkontrollierbar gewordenen Finanzsystems geraten, das eine lediglich marginale Wertschöpfung erzielt, denn mehr ist bei Geldentgegennehmen und Geldverleihen nicht drin, aber ungeheuerliche Extraprofite einstreicht und mit wildem Zocken die Weltwirtschaft in eine Krise nach der anderen treibt. Und mit reiner Geldmacht ganze Regierungen vor sich hertreibt, die bis heute keine, in Zahlen und Worten 0, nichts, nada, Kontrollmechanismen eingeführt haben. Ganz zu schweigen davon, dass die Staaten, als Herren der Notenpresse und somit der Leitzinsen, keinerlei Interesse daran haben, wieder für ein vernünftiges Zinsniveau zu sorgen. Denn das würde den Schuldendienst, der in den meisten Staatshaushalten bereits einen der grössten Bestandteile des Budgets ausmacht, in die Luft jagen.
Es hilft ja alles nichts
Schulden sind gekaufte Zeit. Dahinter steht die Idee, dass es der Produktivitätszuwachs durch eine heutige Investition auf Pump erlauben wird, das geliehene Geld in der Zukunft zurückzuzahlen. Normalerweise sorgt ein vernünftiger Zinssatz dafür, dass Gläubiger und Schuldner verantwortungsvoll und vernünftig mit Geld umgehen. Wenn aber der wichtigste Rohstoff des modernen Wirtschaftssystems absurderweise gratis ist, dann gerät alles aus den Fugen. Wenn ein Geldbesitzer mit einer vernünftigen Geldanlage nicht einmal einen Inflationsausgleich bekommt, wie das heute nicht nur in den USA und in Europa der Fall ist, dann wird er zum Zocken verleitet, dann investiert er nicht mehr in Obligationen oder Blue Chips, sondern lässt sich von einem bonusgierigen Berater irgend ein Gebastel aufschwatzen. Dann entsteht eine Finanzblase, in der nichts produziert, aber ungeheuerlich viel verdient wird. Auf Kosten unserer aller Zukunft.
Zinsen rauf
An der Oberfläche dieses fundamentalen Problems fahren dann Börsen Achterbahn, geraten Währungsgefüge aus dem Leim, entstehen virtuelle Geldwolken, mit denen wider jede Vernunft gehebelt und spekuliert werden kann. All dieser Spuk wäre schnell und restlos vorbei, wenn die Zinsen auf ein vernünftiges, bewährtes Mass heraufgesetzt würden; auf inflationsbereinigt 2 bis 5 Prozent. Die glitzernde Scheinwelt der Finanzinstitute würde sich wieder in das verwandeln, was sie viele Jahrzehnte, ja Jahrhunderte lang war: In ein eher langweiliges und überschaubares Geschäft, in eine banale Dienstleistung. Niemand würde mehr unverständliche Finanzinstrumente herstellen, ganz einfach deswegen, weil sie niemand mehr kaufen würde. Niemand würde mehr hebeln, weil kein Gratisgeld mehr zu Verfügung stünde. Und jeder Spekulant würde mit Vorsicht ans Werk gehen, weil die Schuldzinsen zu bedenken sind.
Weltuntergang?
Gegen diesen sinnvollen und logisch korrekten Vorschlag, Zinsen rauf, erhebt sich immer grosses Geschrei: alles, nur das nicht, Weltuntergang. Greifen wir nur ein Argument heraus: Millionen von Hausbesitzern würden unter der höheren Zinslast zusammenbrechen. Aber bitte, es ist doch unsinnig, dass ein Eigenheim im Wert von einer Million Franken mit jährlich 20 000 Franken finanziert werden kann. Und wenn man das kann, dann steigt die Nachfrage, steigen die Preise, entsteht eine Immobilienblase. Auch in der Schweiz. Das ist so absurd wie sich eine Kreuzfahrt oder einen Riesen-TV auf Pump zu leisten, weil der lächerliche Schuldzins keine Rolle spielt. Denn hinter all dem steht eine einfache und unbestreitbare wirtschaftliche Tatsache: Irgendwann ist Zahltag. So oder so, die Rechnung wird präsentiert, und sie ist heute schon schwindelerregend hoch. Morgen wird sie noch höher sein.