Wodurch wird eine Zeit unvergesslich? Irgendetwas tritt ein, das Glück hervorruft. Es entsteht das Gefühl grosser Stimmigkeit. Goethe liess seinen Faust nach einem Moment suchen, von dem er sagen konnte: „Verweile doch, Du bist so schön.“
Der Sprachgebrauch bringt es mit sich, dass „unvergesslich“ meistens auf glückliche Momente bezogen wird, an die man sich gerne erinnert. Unglückliche Ereignisse, die sich auf ihre Weise ebenfalls unauslöschlich ins Gedächtnis einbrennen, werden nicht als unvergesslich bezeichnet. So gibt es kein „unvergessliches Massaker“.
Unvergesslichkeit lässt sich nicht planen. Sie entsteht nicht allein durch Perfektion. Das perfekteste Menü muss nicht unvergesslich sein. Dagegen kann schon ein einfaches Mahl unter bestimmten Umständen einen herausragenden Platz im Gedächtnis einnehmen, wenn etwas hinzutritt, was es aus anderen Mahlzeiten heraushebt. Dieses gewisse Etwas im Atmosphärischen lässt sich nicht vorab festlegen.
Die Werbung lebt von Glücksversprechen, und so kann es nicht verwundern, dass sie der grosse Tummelplatz von Unvergesslichkeiten ist. Pauschalreisen sind meist „unvergesslich“, Kreuzfahrten sowieso, aber es gibt auch „unvergessliche Bilder vom Babyschwimmen“.
Überhaupt die Bilder. Jeder ist heute in der Lage, „unvergessliche Bilder“ zu machen. Warum? Weil ihm die Bearbeitungssoftware dabei hilft, alles, was irgendwie nicht zu seinen Vorstellungen von der Unvergesslichkeit passt, zu eliminieren oder umzustellen. Der grösste Anbieter von Fotosoftware, Adobe, wirbt damit, dass „künstliche Intelligenz“ ganz selbständig Bilder nicht nur beschriftet und sortiert, sondern zugleich Farben und Proportionen verbessert oder störende Mimik oder Gestik bei Einzel- oder Gruppenfotos ins Lot bringt. Das ist Unvergesslichkeit à la carte.
Und die Reiseveranstalter meinen auch zu wissen, was ihre Kunden an unvergesslichen Erlebnissen suchen. Deswegen kann man die Angebote auch so leicht miteinander verwechseln. Welche Kreuzfahrt war das noch mit dem Eisberg im Hintergrund? Nur nebenbei: Ist eine teure Reise unvergesslicher als eine billigere? Mit dieser Frage könnte man einen Kundenberater in Verlegenheit bringen
Es ist trivial, Anbietern von Produkten, Dienstleistern oder Reiseveranstaltern und ihrer Werbung vorzuhalten, dass sie mit dem Versprechen von Unvergesslichkeit einen Schritt zu weit gehen und etwas vorwegnehmen, was sich bei ihren Kunden einstellt oder eben auch nicht einstellt. Klappern ist in der Werbung das Handwerk, und wer viel verspricht, erhöht seine Verkaufschancen.
Aber es gibt eine Asymmetrie: Die Werbung kann in Unvergesslichkeiten schwelgen, der Einzelne sollte das vermeiden. Denn wenn er ständig von seinem unvergesslichen Venedig-Besuch, seinen vielen unvergesslichen Kreuzfahrten mit den unvergesslichen Frühstücksbuffets erzählt, klingt das nach Prahlerei. Ist er tatsächlich so besonders, dass er ständig Gold im Einerlei findet?