Reims, im Nordosten Frankreichs, ist durchaus eine Reise wert. Die prächtige Kathedrale, der Bischofssitz, eine Basilika, das Rathaus… alles beliebte Sehenswürdigkeiten. Dazu natürlich die Champagner-Kellereien mit klangvollen Namen.
Diese Reise nach Reims hat Julie Fuchs bereits gemacht. Sie ist dort als „Lustige Witwe“ in der Oper aufgetreten und hat Mozart in der Kathedrale gesungen. „Ja und Champagner habe ich in Reims natürlich auch getrunken!“, sagt sie und denkt offensichtlich gern daran zurück.
Nun steht ihr wieder eine Reise nach Reims bevor. „Il Viaggio a Reims“, besser gesagt, denn so hat Gioacchino Rossini seine Oper genannt, in der Julie Fuchs als „Contessa de Folleville“ nun eine Hauptrolle spielt. Anders als der Titel suggeriert, führt diese Reise allerdings nicht nach Reims. Die international zusammengewürfelte Reisegesellschaft bleibt stattdessen im „Kurhotel zur goldenen Lilie“ stecken, weil plötzlich die Pferde für die Kutschen irgendwie abhanden gekommen sind.
Meister des Absurden
Eine skurrile Geschichte, genau richtig für die Phantasie und den eigenwilligen Humor Christoph Marthalers, den der „Handlungsstillstand dieser Oper“, wie er es bezeichnet, für seine Inszenierung beflügelt. Denn unter den Gästen geschieht nun so einiges. Und dies gefällt auch Julie Fuchs. „‘Viaggio a Reims‘ ist eine Oper, die wirklich komisch ist, die Witz hat und absurd ist. Die Figuren sind Karikaturen. Und Christoph Marthalers spezieller Humor, den ich ganz wunderbar finde, passt hervorragend zu Rossini, der ja auch ein Meister des Absurden ist. Meine Rolle ist richtig lustig. Voilà….“
Und? Wie war das Aufeinandertreffen mit Marthaler bei dieser ersten Zusammenarbeit? „Jeder Sänger reagiert anders auf ihn. Ich persönlich arbeite sehr gern mit ihm. Das hat mit gegenseitigem Respekt und auch mit der Chemie zwischen uns zu tun. Das entscheidet sich in wenigen Minuten. Ich habe das Gefühl, Christoph gibt einem viel Raum, viel Freiheit. Weil ich schon Aufführungen von ihm gesehen habe, kannte ich seinen Stil… ich konnte mir also vorstellen, was dabei herauskommt, wenn ich mich in diesen offenen Raum gleiten lasse.“
Zwei Aufführungen waren es, die Julie Fuchs schon auf den Marthaler-Stil eingestimmt haben. „ Zuerst ‚Sale‘ in Zürich, aber das war eigentlich keine richtige Oper, sondern eher Theater mit Opern-Arien, dann ‚Une île flottante‘ in Paris. Das hat mir sehr gefallen, sehr...! Leider habe ich Marthaler verpasst, als er vor fünf Jahren beim Festival in Avignon inszeniert hat. Das war diese umstrittene Papst-Geschichte… und ich komme doch aus Avignon!“
Dort in Avignon, hatte sie als kleines Mädchen zunächst Geige spielen gelernt. Aber Julie und die Geige, die waren nicht geschaffen für eine gemeinsame Zukunft. Die Musik interessierte sie aber schon. Zur Jahrtausendwende war ihr klar, wie es weitergehen sollte. Ausschlaggebend war Björk. Ausgerechnet Björk, die isländische Sängerin und Songwriterin. Es war das Jahr, in dem sowohl Avignon als auch Reykjavik europäische Kulturhauptstädte waren. Björk kam für ein europäisches Chor-Projekt nach Avignon, und in einem dieser Chöre sang Julie mit. Aber Chorsingen, das war wie Geige spielen, also nicht die ganz grosse Begeisterung. Kurz: es gab ein casting, Julie wurde ausgewählt und durfte in einer kleineren Gruppe mit Björk auftreten. Ein Riesen-Ereignis für die damals 14-jährige Julie. „Diese Erfahrung hat mein Leben umgekrempelt. Singen, Reisen, Menschen aus anderen Kulturen treffen, das wollte ich.“ Und das machte sie. Geradlinig ging’s von der Musikschule Avignon übers Conservatoire in Paris auf die Bühne.
Blickwinkel wechseln
In Avignon ist sie auch jetzt wieder zuhause. Im Süden, in der Sonne, inmitten der Farben und Düfte der Provence. Bevor sie ans Opernhaus kam, lebte sie einige Zeit in Paris, in der grossen schillernden, lärmigen Metropole. Und inzwischen zeitweise auch in Zürich, wo sie gerade wieder auf der Bühne steht. „Als ich in Zürich ankam, war das beklemmend. Ich habe mich ernsthaft gefragt, ob ich die Ruhe hier ertragen kann. Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Wenn ich jetzt nach Paris fahre, frage ich mich, wie die Leute den Trubel aushalten.“ Den Blickwinkel immer mal wieder zu wechseln, ist also eine gute Sache.
Das gilt auch beim Singen. Gerade eben ist ihre erste CD bei der renommierten „Deutschen Grammophon“ herausgekommen. „Yes!“, heisst sie ganz optimistisch, dabei wäre eigentlich „Oui“ passender. Nach Julie Fuchs‘ grossem Erfolg in der Operette „Ciboulette“ an der Opéra Comique in Paris, geht es nämlich auf der CD weiter mit französisch-luftig-locker-Leichtem. „Es sind Stücke aus dem Paris der 20er- und 30er-Jahre. Manches ist vielleicht nicht so bekannt im Ausland, aber ich liebe diese Stücke von Poulenc, der ‚Lustige Witwe‘, Arthur Honegger und anderen.“
Den Blickwinkel wechselt Julie Fuchs ja nun auch bei Christoph Marthaler, denn seine Art, mit Schauspielern und Sängern zu arbeiten, ist nicht, wie sie es sonst gewohnt ist. Und manchmal setzt er auch fast artistisches Können bei ihnen voraus. Zusätzlich zum Singen. „Das stimmt“, sagt sie schmunzelnd. „Aber Christoph steht den Bedürfnissen der Sänger sehr rücksichtsvoll gegenüber. Wenn man sagt, halt, ich glaube das funktioniert nicht, dann geht er sofort darauf ein. Und was ich auch sehr schätze: ich habe den Eindruck, er ist ein Regisseur, bei dem weniger mehr ist. Das ist sehr angenehm, denn als Darsteller ist man ja immer bemüht, etwas zu machen, etwas zu gestalten, man denkt an die Gesangstechnik und überlegt, wie man am besten etwas ausdrücken kann. Ich finde es jetzt sehr interessant, wie das bei Marthaler ist..…ganz sachlich, nüchtern!“.
On verra….
Überhaupt: Bei den Proben habe man den Eindruck, er denke überhaupt nicht daran, dass es auch einmal eine Premiere gibt. „Wenn man ihn fragt, ob man es nun so oder so machen sollen, sagt er: on verra… na, mal sehen… ich finde das grossartig, aber natürlich muss man sich an den Zeitplan halten.“
Auf die Premiere ist sie neugierig. „Also ich bin sehr begeistert, aber ich habe keine Ahnung, wie das Stück vom Publikum aufgenommen wird. Man weiss ja nie… So, wie man Rossini vor zwanzig, dreissig Jahren aufgeführt hat, ist es nicht. Ich glaube, es ist wichtig, heute zu zeigen, wie Rossini auch sein kann. Ich will nicht zu viel verraten, aber am Schluss kommt alles ganz anders, als man denkt. Und es ist sehr poetisch.“
Sieht sie sich jetzt nach dieser ersten Arbeit mit Christoph Marthaler auch als Mitglied dieser „Marthaler-Familie“, dieser verschworenen Gemeinschaft von Schauspielern, Sängern und Musikern, die seit Jahren immer wieder zusammen kommen, um eigenwillige, etwas schräge, aber immer sehenswerte Aufführungen auf die Beine zu stellen? „Ich habe den Eindruck, dass ich den ersten Schritt in eine Gruppe getan habe, die mich gut aufnimmt…“, sagt sie vorsichtig, und wer weiss, vielleicht ist es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
"Il Viaggio a Reims"
Opernhaus Zürich
Premiere: 6. Dezember 2015
Julie Fuchs "Yes!"
Deutsche Grammophon