Das ging schneller, als er vermutlich selbst gedacht hatte. Kaum hat Aviel Cahn das Genfer Grand Théâtre übernommen, kaum hat er die erste Saison hinter sich gebracht und kaum hat er, die zweite Saison, coronabedingt, mit Spielplanänderungen begonnen, da wird sein Grand Théâtre schon als «Opernhaus des Jahres» ausgezeichnet. Und zwar von der renommierten Fachzeitschrift «Opernwelt», die seit 1993 jedes Jahr die Besten im Opernbereich auszeichnet. 43 internationale Kritiker sitzen in der Jury und haben sich für Genf entschieden und für die Oper Frankfurt. Beide Häuser wurden mit gleicher Stimmenzahl aufs Siegerpodest gehievt. Dabei betonten die Kritiker insbesondere die «geglückte Stück-Dramaturgie» in Genf, aber auch «ein stupendes Mass an Entdeckerfreude und höchst individuelle Regie-Handschriften».
Für den umtriebigen Zürcher Aviel Cahn ist dies die beste Bestätigung dafür, dass er auch in der Westschweiz auf dem richtigen Weg ist. Denn es brauchte eine gehörige Portion Mut, das traditionsreiche Grand Théâtre umzukrempeln und tüchtig durchzulüften. Das eher konventionell ausgerichtete Genfer Publikum wurde mit Aufführungen konfrontiert, die Themen der heutigen Zeit aufgreifen. Themen, die in der Ästhetik unseres Alltags stattfinden, die teils in unserer Umgangssprache auf die Bühne kommen, Themen, die anecken und wehtun. Und die Leute kamen, auch jüngeres Publikum wurde neugierig.
Natürlich wusste Aviel Cahn, was er tat, als er in Genf das schön restaurierte prunkvolle Grand Théâtre übernahm. Mit seinen 46 Jahren ist er zwar einerseits noch relativ jung als Opern-Intendant, andererseits aber sozusagen mit allen Wassern gewaschen. Als ausgebildeter Jurist und Sänger hat er Erfahrungen gesammelt in einer Künstleragentur, in der Finnischen Nationaloper in Helsinki, in der Oper des Stadttheaters Bern, der Leitung des Zürcher Kammerorchesters, und zuletzt in der Flämischen Oper in Antwerpen, wo er mit verschiedenen Produktionen international für Aufsehen sorgte. So, wie jetzt in Genf.
«Es ist eine schöne Überraschung und grosse Ehre, nach nur einer Saison Arbeit diesen Preis und die damit verbundene Anerkennung zu erhalten», erklärt Aviel Cahn. «Das bestätigt die Wichtigkeit unserer Bemühungen, das Grand Théâtre zu erneuern mit einer originellen Programmation, die andere künstlerische Disziplinen wie Film, Theater, Literatur und zeitgenössische Kunst in die Oper integrieren. Dieser Preis ist ausserdem eine Belohnung für alle unsere Mitarbeiter, die mit ausserordentlichem Engagement, viel Energie und Begeisterung die Neuausrichtung des Hauses mittragen.»
Für Aviel Cahn und sein Team dürfte dies nun gerade in den durch die Corona-Vorschriften schwierig gewordenen Zeiten Auftrieb geben. Die nächste Premiere ist bereits in knapp vier Wochen: «Die Sache Makropoulos» von Leoš Janáček. Dass auch dies, mit Rachel Harnisch in der Hauptrolle, eine spannende Aufführung wird, ist zu erwarten.