Umverteilen ist trendig: vom Staat zu mir oder von oben nach unten. In der Haltung, für sich so viel wie möglich herauszuholen, steckt eine pessimistische Grundstimmung. Vielleicht wäre es sinnvoller, zu versuchen, sich selbst zu ändern und anders zu denken.
Der Ruf nach Fremd- statt Eigenfinanzierung wird immer lauter. Der Staat soll eine 13. AHV-Rente spenden, Krankenkassenprämien deckeln, die Viertagewoche promoten, eine Elternzeit von 38 Wochen ermöglichen, Mindestlöhne mitfinanzieren. Die andern sollen. – Doch vielleicht könnten wir auch unser Denken ändern.
Helvetisches Qualitätsdenken erodiert
Persönliche Eigenverantwortung war einst ein typisch schweizerisches Qualitätsmerkmal. Darauf basierte ein nicht unwesentlicher Teil des eidgenössischen Erfolgsmodells. Doch es scheint, dieses Denken und Handeln komme in letzter Zeit mehr und mehr aus der Mode. Immer lauter machen sich jene Kreise bemerkbar, die nach dem Staat als Garanten für persönliches Wohlergehen und sprudelnde Finanzquelle privater Wunschträume rufen. Der Trend weist zu mehr persönlicher Freizeit und einem distanzierten Verhältnis zur Arbeit.
Der Entscheid fiel am 3. März 2024 an der Urne: Die 13. AHV-Monatsrente war angenommen, alle Rentner und Rentnerinnen werden ab 2026 jährlich 8,33 Prozent mehr AHV bekommen. Alle! Das war wohl eines der wichtigsten Argumente der Befürworter, verknüpft mit der haltlosen Behauptung des Präsidenten des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, die Finanzierung der dafür notwendigen 4,2 Milliarden sei gesichert.
Heute, am 9. Juni 2024, wird auf Bundesebene erneut abgestimmt Mit den Prämienentlastungs- und Kostenbremse-Initiativen (Gesundheitswesen) könnte erneut für Umverteilung entschieden werden. Obwohl es zum Teil dieselben Leute sind, welche die steigenden Gesundheitskosten mitverursachen. Bezahlen sollen die andern. Diesbezüglich warnten im März 2024 drei Leiter von Grossspitälern. Sie erachten die Ansprüche der Patienten als zu hoch und sind der Ansicht, dass diese zu einem weiteren Anstieg der Krankenkassenprämien führten.
Arbeitszeit runter, Elternzeit rauf
Erneut sind es die Gewerkschaften, die vorprellen. Die Unia hat im Herbst 2023 ein Manifest zur «Reduktion der Arbeitszeit» publiziert, ganz nach der Devise «die Arbeitszeit muss runter». Die Verfasser wussten bereits bei der Publikation, dass das Anliegen auf grosses Interesse stossen würde, denn Arbeitnehmende aus allen Berufen, jeden Alters und aus allen Landesteilen hatten unterschrieben. Das Ganze sei natürlich ohne Lohneinbussen zu realisieren. So einfach geht das.
Die Debatten um den 38-wöchigen Babyurlaub (je 19 Wochen für Mutter und Vater) erhielten Anfang 2023 wieder mehr Rückenwind, nachdem schon 2010 «Fachexpertinnen und -experten» diese Idee cool gefunden hatten. 14 Wochen Mutterschaftsurlaub und zwei Wochen Vaterschaftsurlaub wie heute seien klar zu wenig. Wer soll das bezahlen?
Es ist nicht schwer, nachzuvollziehen, warum in den Städten Zürich und Basel die Idee weit fortgeschritten ist. Für die politischen Parteien auf der linken Politskala ist das Thema eine Selbstverständlichkeit, ungeachtet der dabei zu erwartenden Folgen wie Erhöhung der Preise, weil ja die Zusatzkosten auf Kunden überwälzt würden. Dass als Folge weniger Personal eingestellt und Investitionen zurückgestellt würden, interessiert erfahrungsgemäss diejenigen wenig, die Forderungen stellen.
Pessimistische Stimmung
Warum diese Lust, sich selbst über staatliche Umverteilung ein besseres Leben zu gönnen? Ist es die naive «fortschrittliche» Idee, solche Forderungen problemlos mit einer nationalen Erbschafts- und Schenkungs- oder gar mit einer neuen Kapitaltransaktions-Steuer finanzieren zu können? Nach dem Motto, die da oben, die Reichen, sollen es richten, ohne dass ich geschröpft werde.
Oder hat es damit zu tun, dass viele Menschen im Land der pessimistischen Ansicht sind, dass sich die Welt zum Schlechten entwickelt? Der Blick auf die Welt hat sich gemäss der Erhebung «Sicherheit 2024» der ETH Zürich kürzlich verdüstert. Und dies, obschon noch immer viele im Land die Schweiz als Insel der Glückseligen wahrnehmen. Der Studienautor vermutet eine gewisse Diskrepanz zwischen bedrohlicher geopolitischer Lage und komfortabler persönlicher Lebensrealität (Tages-Anzeiger). Diese pessimistische Stimmung könnte die persönliche Einstellung negativ beeinflussen und eine egoistische Haltung fördern, die in der Meinung mündet, man habe jetzt für sich zu schauen – andere sollten für die Kosten aufkommen.
Die Anzeichen für dieses neue Verhalten im Lande Schweiz kontrastieren mit der noch immer vorhandenen Bewunderung für das Schweizer Erfolgs- und Konsensmodell im Ausland. Könnte es sein, dass sich viele Menschen zu kurz gekommen wähnen im reichsten Land Europas? Dabei ist, gemäss NZZ, die Bevölkerung zwischen 2000 und 2022 zwar um 22 Prozent gewachsen ist, aber die Wirtschaftsleistung hat im gleichen Zeitraum um 49 Prozent zugenommen; die Einkommen nach Steuern sind bei alledem bemerkenswert gleich verteilt geblieben (Gini-Koeffizient 0,28).
Neues Denken gefordert
Warum sollte es nicht möglich sein, einen neuen dynamischen Aufbruch, ein zukunftsgerichtetes neues Denken zustande zu bringen, das überleiten würde in eine verheissungsvolle Zukunft? Die Herausforderung ist spannend. «Die Zeit» hat im März 2024 gefragt: «Kann der Mensch sich ändern?» Sie hat dabei festgestellt, dass «der Mensch von jeher versucht, wenn er nicht mehr weiterweiss, sein Leben in neue Bahnen zu lenken».
Im westlichen Denken liegt die Option zwischen Gut und Schlecht primär beim Individuum und seinem Gewissen, nicht in der Kohorte, nicht in der Gesellschaft, nicht beim Staat. Wenn heute dieses Menschenbild in die Defensive gerät, bekommt auch die Demokratie Probleme. Müssen wir deshalb etwas an uns, an unserer Persönlichkeit ändern? Befragungen in 56 Ländern ergaben erstaunliche 60 Prozent, die mit Ja antworteten. Sie wollen gelassener, optimistischer und offener sein. Wie das gehen soll?
Psychologen nennen drei Faktoren, die beeinflussen, ob jemand es schafft, sich zu ändern: «Leidensdruck, Motivation, Ausdauer. Auch im hohen Alter, wo Zuverlässigkeit und Gelassenheit tendenziell zunehmen, kann also der Mensch ein Stück weit ein anderer werden. Wenn er will» (Die Zeit).
Wenn er will. Es liegt am Menschen, ob er will. Vor 2500 Jahren waren es die griechischen Philosophen, die nach neuen Antworten suchten, um die Welt besser verstehen zu können. Dabei dachten sie fundamental neu: Statt in Mythen und religiösen Vorstellungen suchten sie Antworten in natur- und vernunftgemässen Erklärungen. Ein Beweis für die Möglichkeit neuen Denkens!
Auch heute liegen die Herausforderungen beim Suchen nach neuen Antworten, um die Welt zu verstehen. Es braucht nachhaltige, zukunftsfähige Lösungen anstelle von überlebten Selbstverständlichkeiten.