Wie es sich für einen verblichenen Star des Reality TV ziemt, sprach der Präsident abends zur besten Sendezeit aus dem Oval Office. Teils widerstrebend und auf sozialen Medien mit harscher Kritik eingedeckt, hatten sich Amerikas grosse Fernsehsender zuvor bereit erklärt, Donald Trumps Rede an die Nation live zu übertragen und der demokratischen Opposition Gelegenheit zu einer Replik zu bieten.
Das Argument der TV-Bosse: Das Amt des Präsidenten ist grösser als sein Inhaber und es gilt, dem Amt Respekt zu zollen. Obwohl zum Voraus zu vermuten war, dass Donald Trumps Rede eher zu einem Wahlkampfauftritt denn zu einem Akt der Versöhnung geraten würde. Am Ende sprach der Präsident, angestachelt von rechten Medien wie „Fox News“, eigentlich nur zu seiner Basis und nicht zur ganzen Nation, wie heuchlerisch auch immer er diese beschwor.
Die Leitartikler der „New York Times“ bringen es auf den Punkt, wenn sie schreiben, Donald Trump habe die amerikanische Öffentlichkeit zur Empörung über eine Krise anstacheln wollen, die er zum grossen Teil selbst verursacht hat: „Bei der Verfolgung einer ungenügend durchdachten und noch schlechter umgesetzten Politik hat Mr. Trump unter dem Vorwand der Bekämpfung einer nicht gegebenen nationalen Sicherheitskrise dazu beigetragen, eine drängende humanitäre Krise zu kreieren.“
Noch hat der amerikanische Präsident in seiner Rede davon abgesehen, den nationalen Notstand auszurufen, der es ihm ermöglichen würde, auf rechtlich fragwürdigen Wegen via das Budget des Pentagons jene 5,7 Milliarden Dollar aufzutreiben, die er für den Bau einer Mauer oder eines Stahlzauns an der Grenze zu Mexiko will. Ein Projekt notabene, das es seinen politischen Gegnern zufolge nicht braucht, weil es die zweifellos vorhandenen Probleme an der fast 3200 Kilometer langen Südgrenze der USA nicht löst.
Die Mauer ist ein Projekt, das selbst viele Bewohner der vier Grenzstaaten Kalifornien, New Mexico, Arizona und Texas ablehnen, weil es für sie dringlichere Probleme gibt, die es zu lösen gilt. Wie für jenen 71-jährigen Demonstranten vor dem Borderland Café in Columbus (New Mexico), der wenige Stunden vor der Rede des Präsidenten ein Schild hochhielt, auf dem zu lesen stand: „Stop truth decay: Dump Trump.“
Schon im ersten Satz seiner Rede bewies Donald Trump, wie lose er mit der Wahrheit umgeht. Er sprach von einer „Sicherheitskrise an der Südgrenze“, obwohl die Zahl jener, die 2018 versucht haben, die Grenze illegal zu überqueren, fast die tiefste seit 20 Jahren ist. Jeden Tag, so der Präsident ferner, würden Tausende illegaler Einwanderer versuchen, amerikanischen Boden zu betreten. Seine Verwaltung hat den täglichen Durchschnitt im letzten Jahr auf täglich Hunderte beziffert.
Anders auch als von Trump behauptet, sickert das meiste Rauschgift über legale Grenzposten oder via Postsendungen in die USA ein, das heisst, eine Mauer würde die Drogen nicht stoppen. Auch stimmt nicht, was die Pressesprecherin des Weissen Haues in einem Interview mit „Fox News“ behauptet hat: dass fast 4000 bekannte oder mutmassliche Terroristen festgenommen worden seien beim Versuch, illegal in die USA zu gelangen, wobei die Südgrenze das breiteste Eintrittstor für Terroristen sei – eine Feststellung, die das US-Aussenministerium dementiert.
Auf jeden Fall dürfte Donald Trumps kurze Rede an die Nation wenig dazu beigetragen haben, die Demokraten im Kongress kompromissbereiter zu machen, was eine Lösung des Shutdowns der Regierung in Washington D. C. betrifft. Dieser ist eine Art Strafmassnahme, von der der Präsident drohend sagt, er sei bereit, sie auf Monate, ja auf Jahre hinaus aufrechtzuerhalten. Und zwar bis die Opposition die 5,7 Milliarden Dollar für den Bau einer Mauer bewillige, von der es einst hiess, Mexiko würde sie bezahlen. Doch die Demokraten, behauptet Trump, seien nicht bereit, Geld für höhere Grenzsicherheit auszugeben.
Was so wiederum nicht stimmt: Die Demokraten haben im Kongress einen auch von Republikanern getragenen Gesetzesentwurf eingebracht, der 1,3 Milliarden Dollar für zusätzliche Massnahmen zum Schutz der Südgrenze vorsieht, falls der Präsident im Gegenzug dafür den seit dem 22. Dezember anhaltenden Shutdown beendet, der 800’000 Staatsangestellte betrifft – mit zunehmend gravierenderen Folgen. Doch Donald Trump, in der Mitte seiner Amtszeit, will nicht einlenken.
Kein Wunder, meint zynisch ein Kolumnist der „Washington Post“ unter Verweis auf Amerikas berühmten Kinderarzt Benjamin Spock (1903–1998). Der Präsident sei zu Beginn seiner „terrible twos“, jener schwierigen Phase der Kindheit, in der Zweijährige und ihr Trötzeln die Erwachsenen um sie herum zur Verzweiflung treiben würden: „Das kann eine physisch erschöpfende und schwierige Zeit sein.“