„Libération“, eine der zwei Zeitungen der französischen Linken, titelt nach der Wahlnacht: American Psycho. In der britischen Wirtschaftszeitung „Financial Times“ bezeichnet einer der international meistbeachteten Kommentatoren Trump als billigen Immobilienhai („real estate huckster“). Solche an Schärfe kaum mehr zu überbietenden Qualifikationen in angesehenen Medien entspringen echter Sorge. Trumps Wahl könnte insbesondere in drei Bereichen zu besorgniserregenden Entwicklungen führen.
Trend zu „starken Männern“
Das unmittelbarste Problem lässt sich mit populistischer Ansteckungsgefahr umschreiben. Wenn Brexit und Trump möglich sind, dann ist alles möglich, eingeschlossen ein Sieg von Marine Le Pen in den Präsidentschaftswahlen von 2017. Das meinen nun auch moderate französische Politbeobachter.
Nun ist ja in verschiedenen europäischen Ländern, auch der Schweiz, seit einiger Zeit ein Trend sichtbar hin zu „starken Männern“. In Ungarn und Polen sind diese (oder ihre Strohmänner) bereits an der Macht. In Italien könnte der brüllende Hanswurst Beppe Grillo ein neuer Berlusconi werden und in Österreich der als Staatspräsident kandidierende Hofer seinem Namensvetter, dem zwiespältigen Tiroler Freiheitshelden, nachfolgen.
In den verbleibenden Bastionen vernünftiger Politik scheinen indes die Brandmauern gegen rechtspopulistische Spiele mit dem Feuer zu halten, so in Deutschland, wo sich Angela Merkel mit Blick auf die Bundestagswahlen 2017 wieder im Aufwind befindet und in Frankreich, wo der Zentrist Alain Juppé klarer Favorit ist für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr. Zu nahe sind in historischer Sicht wohl noch die Katastrophen der 1930er Jahre, zu klein und damit verwundbar die europäischen Staaten, um – wie nun in den USA geschehen – einem autoritären Rattenfänger in protektionistische Isolation zu folgen.
Stochern im Nebel zu aussenpolitischen Kernfragen
Schwerer wiegt die Unsicherheit, was Trumps Aussenpolitik anbelangt. Am Tage nach der Wahl wurde am französischen Staatsfernsehen, dessen Kanal 2 Frankreichs wichtigste Informationsquelle ist, Walid Phares als angeblich „zentraler aussenpolitischer Berater“ Trumps befragt. Dieser libanesischstämmige Amerikaner mit obskuren Verbindungen zu Milizkreisen in seiner alten Heimat wusste über den grossen Donald lediglich zu sagen, er beende keinen seiner Kämpfe als Verlierer, komme aber mit allen gut aus.
Völlig unklar ist, was Trump für die europäische Sicherheit, die Nato und das Verhältnis zu Russland, für die internationale Umweltpoltik und die Durchführung des Pariser Klimagipfel-Programms, für ein offenes Welthandelssytem mit TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership-Vertrag zwischen der EU und den USA) und für die Menschenrechte bedeutet. Man hofft das Beste, zu befürchten ist jedoch das Schlimmste: ein Rückzug der USA von ihrer internationalen Verpflichtung als führende Nation der freien Welt.
Neuer Schub für europäische Einigung?
Hier liegt das dritte und entscheidende Problem der Wahl von Trump. Seit Roosevelt galt ein unverrückbares Dogma in allen Bereichen amerikanischer Aussenbeziehungen, ob diese nun von einem Demokraten oder einem Republikaner geführt worden sind. Die Grundwerte der amerikanischen Republik entsprechen einer auf Freiheit, Verantwortung und Wohlfahrt basierenden Weltordnung. Eine darauf ausgerichtete Politik dient auch wohlverstandenen amerikanischen Eigenintressen. Sie ist damit jeden Einsatz wert, eingeschlossen militärischer Natur. Kommt dieses Fundament bei den USA ins Wanken, müssen die restlichen Staaten der freien Welt ihre Situation grundlegend überdenken.
Einen entsprechenden Anfang wird, soviel haben führende Politiker beider grossen Lager in Deutschland und Frankreich seit der Wahl bereits unterstrichen, die EU machen müssen. Ihr stehen grössere Anstrengung und Aufwendungen bevor, um Frieden, Sicherheit und Wohlstand auf dem alten Kontinent zu bewahren.
Zu diesem Kontinent gehören geschichtlich, ethnisch und hinsichtlich der leitenden Werte auch jene, welche es bis anhin nicht für nötig befanden, aktiv und mitbestimmend an einer europäischen Einheit mitzuarbeiten. Viel länger wird man sie aber nicht mehr Trittbrett fahren lassen. Vielleicht wird Trump sogar einen schweizerischen Beitritt zur EU vorantreiben.