Vor kurzem hat „The New Yorker“ jene Illustration publiziert, die im November 2016 im Falle eines Wahlsieges von Hillary Clinton das Titelblatt des Magazins geziert hätte. Die farbige Zeichnung der Künstlerin Malika Favre zeigt die Präsidentin, wie sie gedankenverloren aus dem dunklen Oval Office des Weissen Hauses in den Nachthimmel hinausschaut, den der Mond erhellt.
So weit ist es, wie wir nur zu gut wissen, nicht gekommen. Nicht Hillary Clinton gewann die Wahl, sondern Donald Trump – einem Minus von fast drei Millionen Volksstimmen zum Trotz. Die Gründe für die verlorene Wahl hat die frühere First Lady jetzt in einem 494-seitigen Buch unter dem Titel „Was geschah“ aufgelistet. Wobei das fehlende Fragezeichen mehr Selbstsicherheit als Zweifel suggeriert. Der Bestseller liest sich, da direkt, emotional und zornig, leichter als Hillarys frühere Werke. Hätte sich die Kandidatin bereits im Wahlkampf anders gegeben, wer weiss?
Erinnerungen von Verlierern seien aufschlussreicher als solche von Gewinnern, heisst es im Sportjournalismus. Das trifft selbst dann zu, wenn der Sieger Donald Trump heisst. Zum Buch hat sich der Präsident, erneut ungebremst, über Twitter zu Wort gemeldet: „Schurkische Hillary beschuldigt alle (und alles) ausser sich selbst für ihre Wahlniederlage.“
Zwar zählt Hillary Clinton gewissenhaft all jene Faktoren auf, die ihre Niederlage befördert haben: Frauenfeindlichkeit, Rassismus, E-Mail-Affäre, Bernie Sanders, FBI-Chef James Comey, unausgeglichene Medien, WikiLeaks, Fake News, Russland. Auch sich selbst nimmt sie von Kritik nicht aus: Sie hätte wiederholt härter zurückschlagen, mehr Profil zeigen, sich transparenter geben müssen. Sie habe, argumentiert Clinton, einen traditionellen Wahlkampf geführt, mit einer sorgfältig durchdachten Agenda und zielstrebig geschmiedeten Koalitionen. Donald Trump dagegen habe eine Reality TV-Show inszeniert, die den Groll und den Zorn im Lande anfachte.
Eines aber stellt Hillary Clinton nicht in Frage: Ob sie, mit ihrem ganzen privaten und politischen Gepäck, 2016 tatsächlich die geeignete Kandidatin für das höchste Amt im Staate war? Ob die „Clinton Maschine“, ihr mächtiger Apparat aus Geldgebern und Supportern, die demokratische Partei nicht daran hinderte, eine Alternative zu ihr zu finden? Ob ihre Analyse zutrifft, wonach sich Millionen Weisser, verführt durch Trumps Frauenfeindlichkeit und Rassismus, gegen sie entschieden, obwohl laut Wahlanalysen ein Viertel unter ihnen 2012 noch Barack Obama gewählt hatten?
Die 70-Jährige denkt nicht daran, erneut für ein politisches Amt zu kandidieren. So gilt auch für Hillary Clinton, was Adlai Stevenson, 1952 Verlierer der Präsidentenwahl gegen Dwight Eisenhower, antworte, als Anhänger ihn fragten, wie er sich nach der Niederlag fühle: „Ich bin zu alt, um zu weinen, aber es schmerzt zu stark, um zu lachen.“