Die Lust, aus der Not eine Tugend zu machen, der Mut, ein ehemaliges Gemeindehaus in ein Kulturzentrum umzuwandeln, und die Klugheit, dabei die Bodenhaftung zu bewahren, fügen sich in der Val Lumnezia, dem Tal zwischen Ilanz und der Greina, zu einem bewundernswerten und die Reise lohnenden Ganzen. Es manifestiert sich in der Casa d'Angel in Lumbrein.
Förderung eigener Werte
Weil das Bündner Kunstmuseum in Chur wegen der im Bau befindlichen Erweiterung noch bis zum Juni nächsten Jahres geschlossen ist, organisiert Direktor Stephan Kunz Gastspiele in verschiedenen Orten des Kantons. Die Not wurde zur attraktiven Tugend, das Museum auf Zeit zu dezentralisieren, ausserhalb der Hauptstadt die Bekanntheit zu mehren und lokales Kulturgeschehen überraschend zu beleben.
Einer dieser Orte ist Lumbrein. Er bot sich an, weil die acht Talgemeinden 2013 zur Gemeinde Lumnezia mit 2.200 Einwohnern fusionierten, das Gemeindehaus in Lumbrein seine Funktion verlor und als historisch und architektonisch interessant einer neuen Verwendung rief. Das weckte den Mut, die Casa d'Angel aus dem 17. Jahrhundert und 1987 von Peter Zumthor mit kühner Strenge saniert in den kulturellen Dienst zu stellen.
Das geschah klugerweise in der Verhälntismässigkeit zum Tal. Auf hochfliegende Pläne mit der ihr eigenen Absturzgefahr wurde verzichtet. Die Fundaziun da Cultura Lumnezia konzentriert sich auf die Region und unterstützt aus den Bereichen Sprache, Natur und Architektur Ideen und Projekte. Es geht um die talschaftliche Identität mit dem programmlichen Anspruch, auch Auswärtige zu erreichen. Die erste Ausstellung mit der auf die Val Lumnezia bezogenen Kunst verdeutlicht das Konzept in einer zur Hoffnung aufs Gelingen berechtigenden Art.
Einzigartige Sammlung
Dazu brauchte es allerdings einen Glücksfall. Er besteht aus dem in Lumbrein geborenen Rechtsanwalt Duri Capaul (1923-2009) und seiner Frau Claire (1923-2010), die eine Sammlung von Bildern und kulturhistorischen Dokumenten aus Graubünden zusammentrugen und die 6.000 Ölbilder, Zeichnungen und Aquarelle, die 6.000 Grafiken und 15.000 Ansichtskarten, Landkarten, Fotografien und Plakate aus fünf Jahrhunderten in die 1986 errichtete Fundaziun Capauliana einbrachten.
Aus diesem immensen, weitgehend inventarisierten und digitalisierten Fundus kuratierte Nicole Seeberger in der Casa d'Angel sorgfältig die Ausstellung "Val Lumnezia - aspects". Sie umfasst sechzig Werke, darunter einige Leihgaben aus dem Bündner Kunstmuseum.
"Dialog der Eindrücke"
Vor unseren Augen öffnet sich ein kreativ interpretiertes Panorama des Tals. Es ist packend vielfältig. Die Werke in verschiedensten Techniken stammen von schweizerischen und ausländischen Künstlerinnen und Künstlern und umspannen die Zeit von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Wir blicken auf dörfliche und alpine Idyllen, alltägliche Szenen und die Umbrüche mit dem Bau des Kraftwerks Zervreila.
Die thematisch fokussierte Ausstellung nimmt das qualitative Gefälle in Kauf. Möglich ist gleichwohl der reizvolle "Dialog der Eindrücke": zwischen jenen der heutigen Besucher und jenen, die frühere und künstlerisch berufene Gäste malend, zeichnend, fotografierend festhielten. Das Tal multipliziert sich optisch. Es genügt sich selber und besteht die Probe. Die raffinierte Identitätsstiftung glückt.
Auf Deutsch nennt sich die Val Lumnezia "Tal des Lichts". ein weiteres Licht strahlt mit der Casa d'Angel. Ein perfektes Kunsthaus ist sie nicht, sondern ein schönes altes Haus mit einer geradezu privaten Atmosphäre. In ihr gewinnen die Kunstwerke eine berührende Intimität.
Casa d'Angel, "Val Lumnezia - aspects", Lumbrein, bis 17. Oktober 2015.