Fragt ein Journalist einen Politiker, so kann selbst der ungeübteste Fernsehzuschauer sicher sein, dass der Politiker diese Frage ganz gewiss nicht beantwortet. Denn jeder Politiker hat eines gelernt: Nutze die Sprache! – Irgendwo kommt in der Frage ein Wort vor, das er verwenden kann, um dem Sinn der Frage auszuweichen. Diese Worte sind wie Rettungsinseln. Während der Hai hinter ihm her ist, krault er an Land. Und der Hai wird müde, so müde ...
Zum Beispiel besteht eine Journalistenfrage darin, was jemand werden möchte. „Wollen Sie Nachfolger von Ihrem bisherigen Präsidenten, Ministerpräsidenten oder Ihres Parteivorsitzenden werden?“ – Eine solche Frage lässt sich selbst für gewiefte Journalisten nicht ohne Bezug auf das jeweilige Land, die Region, die Partei des Befragten oder ein Datum – sagen wir, wie jetzt in Deutschland, die jüngsten Wahlniederlagen gewisser Volksparteien – formulieren. Antwort des Politikers: „Dieses Datum war ein ganz besonderer Tag, und ich danke ...“ Oder: „Unser Land steht vor grossen Herausforderungen. Wir werden gemeinsam“ etc. etc. „Und ich stehe selbstverständlich zur Verfügung. Aber ... die Frage nach personellen Veränderungen“ – Hüstel, Hüstel – „stellt sich nicht.“
Diese Ausweichmöglichkeiten stellen jeden Journalisten vor unlösbare Probleme. Besteht er rein sprachlich auf Exaktheit – „Ich habe Sie nicht das gefragt, sondern ich habe Sie nach dem und dem gefragt.“, – wirkt er wie ein rechthaberischer Deutschlehrer. Lässt er den Politiker einfach laufen und drauflos schwadronieren, wirkt er schwach. Wozu stellt er Fragen, wenn er es hinnimmt, dass sie ganz offensichtlich nicht beantwortet werden?
Das Ganze kann nur funktionieren, wenn niemand die Sprache mehr ernst nimmt: Der Journalist nicht, der eine Frage stellt, aber nicht auf ihrer Beantwortung besteht; der Politiker nicht, der eine Frage zwar hört, aber nicht im Traum daran denkt, sie zu beantworten; und das Publikum nicht, das die Frage schon längst vergessen hat, wenn der weitere Redeschwall losbricht. Statt mit Sprache haben wir es mit Unterhaltung zu tun – eine weichere Gestalt der Sprache für alle. Man sollte das, wie mir schon häufiger gesagt wurde, „nicht zu eng sehen“.