Am 25. Juli berichtet die „Neue Zürcher Zeitung“ über die schweizerische Möbelbranche. Wir erfahren, dass Möbel eine „normalpreisige“ Gütergruppe sind. Das Prädikat „hochpreisig“ treffe nicht zu. Später heisst es: „Unterjährige Preisanpassungen bieten sich nicht an“.
„Mittelpreisig“, „normalpreisig“, „hochpreisig“. Findet man überall. Natürlich hat das Wort „billig“ etwas billiges an sich. Deshalb sagt man tiefpreisig.
In Deutschland gibt es die Homapage www.tiefpreisig.de. Da werden tiefpreisige Aida-Kreuzfahrten angeboten. Klickt man allerdings darauf, erfährt man, dass der Link fehlerhaft sei. Der Webmaster war allzu tiefpreisig.
Die Handelszeitung meldet: „Tiefpreisige (Mineral)Wasser überschwemmen den Markt. In einem Amerika-Reisetagebuch heisst es: „Tiefpreisig für uns bleibt das Benzin“. Ein Auto-Käufer schreibt im Netz: „Ich kaufe lieber tiefpreisig und investiere nachher ein paar Tausender“.
Natürlich kann man tiefpreisig noch steigern: „Tiefstpreisig“. www.ayanga.de bietet „tiefstpreisiges Toilettenpapier“ an.
Da öffnet sich ein breites Feld: „Allertiefstpreisig“. Das wäre dann fast gratis, aber das klingt schlecht. Also: „Nullpreisig“.
„Billigpreisig“ gibt es auch. „Far West wird in den nächsten Jahren nicht nur billigpreisige Produkte herstellen…“ (Handelszeitung).
Und warum nicht: „Allerbilligstpreisig“, „umsonstpreisig“?
Solche „knallerpreisige“ Produkte findet man natürlich nicht im Weihnachtsgeschäft, sondern nur im Ausverkauf, also unterjährig.
Der Ausdruck „unterjährig“ wurde längst vom Duden geadelt. Der Kanton Zürich kennt die „unterjährige Steuerpflicht“. Die Universität Kiel spricht von „unterjähriger Verzinsung“. Wikipedia schreibt: „Bei unterjährig verzinslichen Anlagen erfolgt die Zinsgutschrift mehrmals im Jahr.“
Wenn es „unterjährig“ gibt, muss es auch „untermonatig“ geben. Oder „untertägig“, „unterstündig“ „unternächtig“.
Unternächtig bin ich aufgestanden, weil ich nicht schlafen konnte. Auf der Kinderwunschseite fragt jemand: „Wie bekommt man unterjährig Kinder in den Kindergarten?“
Wieso eigentlich „unterjährig“ und nicht „unterjährlich“? Da ist ein eigentlicher Streit entbrannt. Die Deutsche Gesellschaft für Deutsche Sprache legt sich ins Zeug. Sie plädiert mit einer langen Analyse für „unterjährig“. Allerdings gibt sie zu, dass bald auch „unterjährlich“ Usus sein dürfte. Schon gibt es Beispiele. „Erfolgt der Zinszuschlag zum Kapital mehrfach innerhalb einer Zinsperiode im jeweils gleichen Abstand, spricht man von unterjährlicher Verzinsung.“ (Grundmann, Wolfgang/Luderer)
Der Duden übersetzt „unterjährig“ so: „Während des Jahres“, „im Laufe des Jahres“. Phantasieloser Duden.
„Duden online“ weist darauf hin, dass im Alphabet vor „unterjährig“ die Wörter „Unterhose“, „Unterinstanz“, „unterirdisch“, „Unteritalien“ und „Unterjacke“ stehen. Das Wort „Unterhose“ gehört laut Duden „zum Wortschatz des Zertifikats Deutsch“. „Unterjährig“ gehört nicht dazu. Noch nicht.
(hh)
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