Die Einwanderer haben sich gegenüber früher stark verändert, denn es kommen nun vorwiegend gut ausgebildete Fachkräfte in die Schweiz, und zwar nicht mehr aus Südeuropa, sondern vorwiegend aus Deutschland. Die zwei Autoren kommen mit ihrem Buch zum richtigen Zeitpunkt, um die von ihnen gewünschte Diskussion über die neue Zuwanderung zu beleben.
Schweizer nicht reicher, aber zahlreicher
Um hochqualifizierte Ausländer anzuziehen, gibt es verschiedene Trümpfe: ein gutes Verkehrsnetz, hervorragende Schulen, Universitäten und Spitäler, aber auch schöne Wohnlagen und tiefe Steuern. Die Blüten, welche der harte Steuerwettbewerb zwischen Kantonen und Gemeinden treibt, um vermögende Leute und Firmen anzulocken, werden im Buch anschaulich dargestellt. Es zeigt sich, dass der Wettlauf im Steuersenken dem Normalbürger nichts bringt, im Gegenteil.
In den Steuerparadiesen schnellen die Mieten in die Höhe, so dass viele Einheimische z.B. den Kanton Zug oder die Schwyzer Zürichseegemeinden verlassen müssen, weil sie die hohen Mieten nicht mehr bezahlen können. Selbst Gemeinden mit vielen Millionären haben Sorgen, denn die betuchten Zuzüger sind anspruchsvoll, die Infrastruktur muss ausgebaut werden. Einige steuergünstigen Gemeinden weisen gegenwärtig denn auch Defizite aus.
Ein Wachstumsmotor und seine Schattenseiten
Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union (EU) hat sich nach offizieller Meinung als zentraler Wachstumsmotor für die Schweizer Wirtschaft erwiesen. Zwar förderte es ein kräftiges Wirtschaftswachstum – innert weniger Jahre entstanden über 200'000 neue Arbeitsplätze -, doch dokumentieren die Autoren, dass die Einwohner der Schweiz „nicht reicher, sondern bloss viel zahlreicher geworden“ sind.
Die Schattenseiten erläutert im Buch ein Chefbeamter des Bundesamts für Migration: „Einzelne Unternehmen stellen gelegentlich lieber junge Leute aus dem Ausland an als einheimische, weil die Jungen zu günstigeren Konditionen arbeiten. Aber diese verdrängen dann Arbeitskräfte aus der Schweiz oder dem EU-Raum.“ Grossaufträge, nach den Regeln der Welthandelsorganisation ausgeschrieben, werden oft an verschiedene Firmen weitergegeben: So entsteht das Phänomen der selbständigen Unterlieferanten, die für Stundenlöhne von weniger als zehn Franken arbeiten - ein Missbrauch, der nur schwer zu bekämpfen ist. Die von den Gewerkschaften durchgesetzten flankierenden Massnahmen zum Schutz der Löhne der Einheimischen werden demnach zum Schaden der Arbeitnehmer und des Gewerbes umgangen.
Wie das Schweizer Modell retten?
Und stimmt die oft gehörte These, die Zuwanderer würden helfen, unsere Renten zu sichern? Kurzfristig treffe das zu, schreiben die Autoren, doch wenn die Zuwanderung später abnehme, werde sich die Überalterung danach gleichwohl bemerkbar machen. Aus der Sicht des Durchschnittschweizers sei die Standort- und Einwanderungspolitik jedoch klar negativ. Dazu komme, dass die Macht des Marktes den Spielraum der Staaten begrenzt, die eigene Bevölkerung zu schützen.
Die zwei Journalisten geben zu, dass sie ziemlich ratlos sind, wie das Modell Schweiz, das dem Ausgleich verpflichtet ist, gerettet werden kann. Sie empfehlen, den Standort- und Steuerwettbewerb etwas zu mildern sowie Sprach-und Integrationskurse für Einwanderer anzubieten. Überflüssig scheint mir ihre Forderung, die Einwanderung aus nicht EU-Staaten (z.B. Afrika, Türkei) stark einzuschränken, denn der Bundesrat selber hat das längst getan.
Unbedarft ist ihr Vorschlag, Zuzügern aus Drittstaaten den Familiennachzug praktisch zu verunmöglichen. Nachdem das Saisonnierstatut endlich abgeschafft wurde, welches den Ehepartnern und Kindern von Saisonarbeitern den Aufenthalt in der Schweiz verboten hatte, wollen wir doch nicht Einwanderern erneut das Leben mit ihrer Familie verweigern, zumal das Recht auf Familie in Artikel 14 unserer Bundesverfassung verankert ist.
Die Erfahrung mit früheren Einwanderungswellen
Gegenüber der starken Einwanderung aus der EU sind die zwei Wirtschaftsjournalisten zwar skeptisch, doch die Schweiz sei in diesem Bereich machtlos, denn es wäre nicht zu verantworten, deswegen das Freizügigkeitsabkommen zu künden. Sie sehen jedoch die Möglichkeit, die flankierenden Massnahmen zum Schutz der einheimischen Arbeitnehmer zu verstärken. Sie unterlassen es jedoch, klar herauszuarbeiten, dass gerade die vielen neuen Unternehmen die Voraussetzungen schaffen, dass die Einwanderung fortdauert und wächst.
Die Zuwanderung ist eine Folgeerscheinung der Standortgunst. Sie zu bremsen, ohne das Wirtschaftswachstum zu drosseln, ist bisher nie gelungen. Der Bundesrat versuchte bereits in den 60er Jahren mit verschiednen Massnahmen die starke Einwanderung aus dem Süden zu drosseln – ohne Erfolg. Erst die Erdölkrise Mitte der 70er Jahre brachte die gewünschte Abnahme und löste zudem eine Rückwanderung aus, so dass die Zahl der Ausländer in der Schweiz sich verringerte - bis der nächste Aufschwung die Einwanderung erneut beschleunigte.
- Philipp Löpfe, Werner Vontobel: Aufruhr im Paradies, Orell Füssli Verlag AG, 2011, 175 Seiten. Fr. 34.90