Zunächst zur Politik. Die in diesem Dossier federführende Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat bereits mehrfach «auf Ende Jahr» eine «Globallösung» mit den USA angekündigt. Diese sollte eine Busse in Milliardenhöhe, die Auslieferung von Kundendaten und von Angaben über an der Betreuung von US-Steuerpflichtigen beteiligten Bankern enthalten. Terminiert war das Ende des Steuerstreits auf «noch vor den Bundesratswahlen», auf «Ende 2011», inzwischen ist es ein «Ziel» für Ende 2012. In Wirklichkeit geht es nur noch darum, wann die Schweiz eine Kapitulationsurkunde unterzeichnet.
Die Rechnung
Eine Milliardenbusse für vergangene Untaten hat es überraschenderweise an sich, dass sie jemand bezahlen muss. Wenn es allerdings nicht um das Verzocken von Milliarden im Derivatecasino geht, halten Banker ihre Geldschatulle gerne geschlossen. Dabei ist die Ausgangslage einfach. Es gibt 11 Schweizer Banken, die von den USA ausgesondert und einer peinlichen Befragung auf der Streckbank unterzogen werden.
Daneben gibt es weitere rund 330 Schweizer Banken, die wohl allesamt mindestens einen potenziell problematischen US-Steuerpflichtigen beherbergen. Im Rahmen des modernen Hightech-Banking wäre es nicht allzu schwer, eine kleine Formel zu entwickeln, die Anzahl, Vermögenswerte, Verweildauer, steuerliche Verhältnisse, Konfliktpotenzial usw. aller US-Steuerpflichtigen bei Schweizer Banken erfasst. Und damit liesse sich ein Verteilschlüssel erstellen, wie viel jede Bank an die drohende Milliardenbusse zu zahlen hätte.
Das Geld
Ein guter Plan, aber natürlich unverwirklichbar. Denn er hätte zur Voraussetzung, dass ein Banker dem anderen über den Weg traut. Gibt der Kollege alle seine Kunden an, die US-Steuerpflichten haben, oder schummelt er? Der Plan hätte zur Voraussetzung, dass sich alle betroffenen Banken darauf einigen könnten, eine gemeinsame Anstrengung zur Erledigung von Altlasten gegenüber den USA zu unternehmen. Er hätte zur Voraussetzung, dass Banker sich nicht zuerst fragen: Wieso soll ich zahlen, wenn das auch andere erledigen könnten? Die Schweizer Banker gleichen einer fröhlichen Gruppe von Zechern, die nach einem üppigen Mahl von der Tafel aufstehen, dann zum Ausgang streben, wo jeder hinter sich deutet und sagt: Kollege zahlt. Wobei jeder hofft, dass er nicht der Letzte sei.
Rette sich, wer kann
Schon im Fall UBS bewiesen die Häuptlinge, dass sie skrupellos bereit sind, ihre Kunden zu verraten, wenn sie damit die eigene Haut retten können und um eine Strafverfolgung herumkommen. Was ihnen auch, dank freundlicher Beihilfe des Schweizer Staats, mit einer Ausnahme gelungen ist. Aktuell beweisen die Häuptlinge diverser Schweizer Banken, dass sie genauso skrupellos bereit sind, darüber hinaus auch ihre Mitarbeiter zu verraten, wenn ihnen das Straffreiheit und die Fortsetzung ihrer Karriere ermöglicht. Auf die Diskretion eines Schweizer Bankers kann man sich verlassen? Auf seine Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitern?
Solche Tugenden kann man vielleicht noch in Ballenberg besichtigen. Wie immer unterminieren Banker die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz nicht in erster Linie mit finanziellen Fehlentscheiden, sondern mit der Aufgabe von Werten wie Vertrauen, Verlässlichkeit, Behaftbarkeit, Prinzipientreue und Gültigkeit des gegebenen Wortes. Man kann über die moralischen Implikationen des Versprechens: «Ich verstecke dein Geld vor ausländischen Steuervögten», geteilter Meinung sein. Aber der Folgesatz: «Ausser, ich muss meine eigene Haut retten», schafft nun wirklich kein Vertrauen.
Jeder für sich
Wie wird es weitergehen? Ganz einfach, die USA arbeiten die Fülle von Informationen weiter ab, die sie inzwischen schon erhalten haben. Da sie sich keiner Phalanx von finster zur Verteidigung entschlossenen Eidgenossenbankern gegenübersehen, pflücken sie sich nach Belieben die eine oder andere Bank heraus und klopfen sie im Einzelabrieb weich. Während sich die meisten Bankenbosse in der Hoffnung wiegen, dass der nächste Blitz doch bitte schön im Bankhaus nebenan einschlagen werde, und nicht im eigenen. Und selbst wenn.
Da über 90 Prozent aller Schweizer Bankchefs bloss Angestellte ohne persönliches Risiko oder Haftbarkeit sind, verabschieden sie sich im schlimmsten Fall mit ein paar bedauernden Geräuschen. Um dann auf dem Golfplatz über die Ungerechtigkeit der Welt zu sinnieren.
Und eine Strategie?
Eigentlich ist es mal wieder wirtschaftliches Einmaleins. Bei grösseren Umwälzungen in einer Branche, Paradigmenwechsel, einem geänderten Geschäftsmodell, müssen neue Ziele definiert werden, zum Beispiel: Wo soll der Finanzplatz Schweiz in fünf oder zehn Jahren stehen? Daraus wird dann eine Strategie abgeleitet, mit welchen Mitteln kommt man dorthin. Das verlangt jede Bank in Form eines Businessplans von jedem KMU, das einen Kredit bekommen möchte. Und wehe, der Businessplan hält einer vertieften Prüfung nicht stand. Wenn man das auf die Schweizer Banken selbst anwendet, wer würde ihnen angesichts des völligen Fehlens eines Businessplans auch nur einen Rappen Kredit geben? Niemand, nicht mal sie selber.