Die UN-Sanktion gegen den Iran sind zwar weitgehend aufgehoben, doch die Sanktionen der USA, die weiterhin in Kraft sind, sind so raffiniert, dass kaum ein Finanzinstitut in Europa sich traut, in das Iran-Geschäft einzusteigen. Im Land macht sich Enttäuschung breit. Die Stimmung nützt den Radikalen.
„Vernunft und Hoffnung“. Diese zwei Worte sind gemeinhin abstrakte Begriffe. Aber nicht im Iran. Dort gehören sie zum praktischen und täglichen Sprachschatz von Politik und Journalismus. Vernunft und Hoffnung scheinen im Iran weder geistig noch unwirklich zu sein, sie haben sogar Namen und Adressen. In Medien und Ansprachen werden sie so oft benutzt wie andernorts Begriffe wie grosse Koalition, Regierungsmitglied oder Staatsspitze. So sind die zwei Worte zu banalem Sprachwerkzeug des medialen Alltags verkommen. Und das Publikum ist wie immer gespalten. Die einen loben Vernunft und Hoffnung über alles, die anderen kritisieren sie und machen sich lustig. Wiederum andere schauen weg und zucken mit den Schultern, wenn sie von Vernunft und Hoffnung hören.
Ein raffinierter Plan
Der Grund dafür liegt darin, dass Präsident Hassan Rohani seine Regierung schon am ersten Tag mit diesen beiden Begriffen beschrieb. Das war, wie sich später herausstellte, kein einmaliger Vorgang, keine hingeworfene Politikerfloskel. Es war offenbar ein durchdachter Plan. Die Begriffe sind inzwischen zur offiziösen Bezeichnung, quasi zum Beinamen seiner Regierung mutiert. Seit Rohanis Amtsantritt vor drei Jahren redet der Staatschef nie von „meiner Regierung“. Diese Vermeidung des Possessivpronomens hilft ihm sehr, rhetorisch wie inhaltlich. Zumal es sich in der persischen Kultur und Kommunikation nicht ziemt, oft „ich“ oder „mein“ zu sagen. Deshalb spricht Rouhani unablässig in der dritten Person, wenn er etwas mitzuteilen hat.
Das hört sich dann etwa so an: Die Regierung von „Tadbir va Omid“ – Vernunft und Hoffnung – habe dieses entschieden, verfolge jene Politik, setze folgende Beschlüsse um – und so fort. Und weil Reporter bekanntlich Ver- und Abkürzungen mögen, liest man später in Berichten und Kommentaren häufig Formulierungen wie : „Vernunft und Hoffnung“ wolle Subventionen kürzen, Steuern erhöhen oder Delegation entsenden. Damit ist das Tor für Ironie und Verballhornung geöffnet – so weit, dass manche sich kaum noch vorstellen können, dass man die Worte Vernunft und Hoffnung anderswo mit Respekt und Demut benutzt.
Unbestreitbare Verdienste
Wenn es um Vernunft geht, gilt Rohanis Regierung im Vergleich zu der seines Vorgängers Ahmadinedschad durchaus als Verkörperung der Rationalität. Denn mit dem historischen Atomabkommen rettete Rohani das Land in der Tat vor der totalen Isolation, sogar vor einer militärischen Auseinandersetzung. Vor seinem Amtsantritt hörte man die Kriegsdrohung täglich, laut und von verschiedenen Seiten; in vielen Hauptstädten lagen damals ja bekanntlich „alle Optionen“ auf dem Tisch. Es ist Rohanis Verdienst, den Iran mit vernünftiger Diplomatie ein Stück vom Abgrund entfernt, die verheerende Isolation des Landes gelockert zu haben. Dass Mitglieder seines Kabinetts mehrheitlich vernünftige Technokraten sind, darin sind sich alle Beobachter einig. In keiner Regierung der Welt, ausser jener in Washington, sässen so viele Absolventen von US-Unis wie im Kabinett Rohanis, schreiben iranische Journalisten, wenn sie den Staatschef loben – oder kritisieren wollen.
Jenseits, Diesseits und das Atomabkommen
Auch den Terminus „Hoffnung“ wählte Rohani sehr bedacht und er benutzt ihn ganz gezielt. Als geschulter Theologe und Prediger ist er sich der Wirkung dieses Wortes bei jedem gläubigen Schiiten bewusst. Denn das Hoffen auf den Retter, das Warten auf den verborgenen 12. Imam ist, was das Schiitentum im Kern ausmacht. Die Islamische Republik oder die Herrschaft des Gelehrten ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass ein Ayatollah stellvertretend im Namen des verborgenen Heiligen regiert, auf dessen baldiges Erscheinen jeder Schiit hoffen muss. Sonst ist er kein wahrer Gläubiger.
Vernunft und Hoffnung waren also strategische Begriffe, die Diesseits und Jenseits verbinden sollten. In der banalen Innen- und Aussenpolitik ausgedrückt heisst das: Mit einer vernünftigen Aussenpolitik – sprich mit einem Nachgeben in der Atomfrage – könne man reale Gefahr von der islamischen Republik abwenden. Und das ist die höchste religiöse Pflicht, für die man, wie einst der Republikgründer Khomeini sagte, sogar das tägliche Beten und das Fasten vernachlässigen dürfe.
Mit Vernunft kann man auch auf die Aufhebung der Sanktionen hoffen und ökonomisch ein besseres Leben erwarten. Hoffen und Erwarten haben auch einen irdischen Sinn.
Drei Jahre nach seinem Amtsantritt hat Rohani die Hälfte dieses Weges gut und erfolgreich abgeschritten. Der islamischen Republik droht kein Krieg mehr. Auch die internationale Isolation ist weitgehend aufgehoben. Reiste zu Zeiten Ahmadinedschads ein Abteilungsleiter eines europäischen Ministeriums nur heimlich in den Iran, wenn es unbedingt sein musste, geben sich in Teheran heute europäische Spitzenpolitiker und Wirtschaftsmanager die Klinke in die Hand. Ein Wirtschaftsmeeting folgt dem nächsten, die Zahl der Studien und Expertisen über die Möglichkeiten des Megamarkts Iran ist unübersichtlich. Auch touristisch ist das Land inzwischen zu einer Art Geheimtipp avanciert.
Spott und trostlose Realität
Doch trotzdem will sich die Hoffnung auf ein besseres Leben nicht erfüllen, jedenfalls nicht so schnell, wie Rohani es versprochen hat oder die Menschen es glauben wollten. Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter, mit ihr die Armut; ein Drittel der achtzig Millionen IranerInnen lebt nach offiziellen Angaben unter der absoluten Armutsgrenze. „Die Hoffnung schwindet“ – unter diesem zweideutigen Titel meldete in der vergangenen Woche die ultrakonservative Tageszeitung Keyhan, seit Vernunft und Hoffnung das Land regierten, seien 7.000 Fabriken mit jeweils 50 und mehr MitarbeiterInnen geschlossen worden.
Es ist wie eine Zeitenwende: Wollte man sich in der Vergangenheit richtig über die iranische Wirtschaft informieren, waren dafür oppositionelle und ausländische Medien unentbehrlich. Heute ist das nicht mehr so. Radikale Medien sind nun zum Sprachrohr der Verarmten mutiert. Die Misere der Wirtschaft ist ihr Hauptthema. „Vernunft und Hoffnung waren nicht anderes als leere Versprechen, um an die Macht zu gelangen“, so die Botschaft der mächtigen Hardliner, die in verschiedenen Variationen in den von ihnen kontrollierten Medien wiederholt wird.
Doch unabhängig von ihren politischen Motiven kommen die Momentaufnahmen der Radikalen der Realität sehr nah. Rohanis Regierung ist aber mit Sicherheit nicht oder nicht in erster Linie dafür verantwortlich. Wollte man eine Rangliste der Gründe erstellen, wer oder was als Ursache für die Misere in Frage kommt, tauchte Rohanis Regierung darauf mit Sicherheit ganz unten auf. Ganz oben rangierten neben den iranischen Radikalen jene Mächtigen in Washington, die Obamas Iran-Politik vereiteln wollen.
Notenbankchef als Zeuge der Anklage
Die Sanktionen gegen den Iran sind offenbar nur auf dem Papier aufgehoben, im realen Geschäftsleben gibt es fast unüberwindbare Hindernisse, verursacht durch das US-Finanzministerium. Denn Geschäfte auf Dollarbasis sind den iranischen Banken seit 2008 untersagt, so dass der Iran nicht an sein Geld im Ausland herankommt, obwohl das Land dort genug Dollarkonten besitzt. Weil dieses Verbot weiter gilt und es auch die Dollar-Konten bei europäischen Banken betrifft, kam es vor zwei Wochen am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington zu einem Eklat.
Valiollah Seif, der Notenbankchef des Iran, der sonst als sanft und gelassen beschrieben wird, griff ungewöhnlich scharf die US-Administration an. Es sei Raub und Erpressung, wenn iranische Banken nach wie vor nicht an ihre Guthaben im Ausland herankämen und ihnen zahlreiche Geschäfte verwehrt blieben. Dies widerspreche den Vereinbarungen im Rahmen des Atomdeals, so Seif. Seit seinem bemerkenswerten Auftritt in Washington gilt der Notenbankchef den Hardlinern als Zeuge der Anklage gegen „Vernunft und Hoffnung“.
Kein Geschäft möglich
Die ersten 33 iranischen Banken wurden zwar endlich wieder in das Swift-System aufgenommen. Doch von Transaktionen in Dollar sind sie weiterhin ausgeschlossen. Und es spielt dabei keine Rolle, ob ein iranisches Geldinstitut Auftraggeber oder Empfänger von Zahlungen ist. Eine europäische Bank macht sich in den USA strafbar, wenn sie im Auftrag eines iranischen Kunden Euro in Dollar oder umgekehrt wechselt. So sieht die Realität nach der Aufhebung der Sanktionen aus. Und das in einer Zeit, wo der grösste Teil des internationalen Warenverkehrs immer noch in Dollar abgewickelt wird.
Republikaner blockieren
Das US-Finanzministerium hatte zwar zugesagt, diese Regelung aufzuheben, doch bisher ist nichts geschehen. Die Unsicherheit bleibe, weil den Banken nicht klar sei, welche Geschäfte sie wann machen dürften, sagen Banker in Europa. Um Probleme mit der US-Justiz und Milliardenstrafen zu vermeiden, lassen viele deshalb lieber ganz die Finger vom Iran-Geschäft.
Das "Wall Street Journal" hatte vor zwei Wochen berichtet, das US-Finanzministerium wolle europäische Banken mit Sondergenehmigungen ausstatten, um Dollar-Deals mit dem Iran zu erlauben. Kaum war diese Meldung in der Welt, da verkündeten republikanische Senatoren, man werde im Kongress einen Gesetzesvorschlag einbringen, um die Dollar-Sperre gegen den Iran aufrechtzuerhalten.
Aussenminister Zarif bittet, fleht und warnt
„Vernunft und Hoffnung“ seien in Gefahr, schrieb vergangenen Mittwoch wörtlich der iranische Aussenminister Javad Zarif in einem Gastbeitrag für die "Washington Post". Der Artikel liest sich wie ein Hilferuf an die Mächtigen in Washington. Niemand solle glauben, im Nahen Osten breche eine bessere Zukunft an, „wenn wir scheitern“, schrieb Zarif dort flehend und warnend zugleich.
Wenn die Amerikaner selbst mit dem Iran keine Geschäfte machen wollten, sei das ihr Problem: „Aber sie sollten die Europäer nicht daran hindern, mit uns Handel zu treiben.“ Diesen Satz wiederholte Zarif in den vergangenen Tagen in Washington Dutzende Male. Wird er gehört? Schwer zu sagen. In Teheran hat Rohani zunehmend Schwierigkeiten, seinen Gegnern und Anhängern klar zu machen, dass „Vernunft und Hoffnung“ doch noch Früchte tragen könnten.