Das grosse „Sie“ blieb allerdings, denn man wollte Verwechselungen vermeiden. Dadurch wurde das „du“ noch kleiner. Manche störte das, manche nicht, und das kleine „du“ passte zur lässigen Orthographie von E-Mails und SMS. Aber nicht jeder konnte sich damit abfinden.
Das „Du“ kleinzuschreiben, wirkte auf manche so, als würden sie eine elementare Form der Achtungsbezeugung weglassen und gleichsam grusslos in ein Zimmer treten.
In derselben Zeit wiederum wurde eine andere Achtungsbezeugung zwar subversiv – also nicht durch eine dieser so segensreich wirkenden offiziellen Rechtschreibrefomkommissionen - aber mit grosser Energie durchgesetzt: das Binnen-I für die betonte Anfügung der weiblichen Form in Worten, die von ihrer grammatischen Eigenart her eigentlich keinerlei weibliche Endung benötigen.
Dieses Binnen-I sieht jedesmal fast wie ein Ausrufezeichen aus, wirkt wie ein Fanfarenstoss und enthält eine Warnung des bis zur Einführung des Binnen-I so benachteiligten Geschlechts: Tretet uns bloss nicht auf unsere empfindlichen Füsse! In Anbetracht dieses schrillen I wirkt die kleingeschriebene Anrede „du“, „dich“, „ihr“, „euch“ ganz besonders mickrig.
Grosszügig bequemten sich die Rechtschreibreformer im Prozess der weiteren Reformen der Reform, die Grossschreibung der persönlichen Anrede zuzulassen – aber nur in Mails und Briefen, nicht in Texten für einen nicht näher spezifizierten Empfängerkreis, in denen – unhöflich – einfach geduzt wird: „Vor der ersten Benutzung musst du deine neue elektrische Zahnbürste aufladen. Beachte dabei die Sicherheitshinweise!“
Die höfliche Grossschreibung der persönlichen Anrede wird jetzt also mehr toleriert als gebilligt. Dafür muss man den Reformern und den Reformern der Reform geradezu dankbar sein. Denn was könnte schöner die Achtung ausdrücken als eine Form, die sich nicht mehr von selbst versteht, sondern für die man sich ganz bewusst entscheiden muss.